Auch Richter sind nur Menschen mit individuellen Meinungen (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo miteinander, hallo Ludwig,
Ich denke, dass es hier keine deutschlandweit einheitliche Linie aller Richter gibt. Als Anwalt erlebe ich schon tagtäglich, dass innerhalb ein und desselben Gerichts der eine Richter eine bestimmte Frage so, ein anderer ganz anders entscheidet. Und gerade, was Gepflogenheiten vor Gericht angeht, erlebe ich, je weiter ich mich vom Heimatgericht entferne, umso stärker, dass das, was in unserem Gerichtsbezirk gang und gäbe ist, an anderen Gerichten völlig anders gesehen und gehandhabt wird.
Kurz zu den angesprochenen Punkten:
I. Barfuß Autofahren:
Ich hatte noch nie über einen Bußgeldbscheid zu entscheiden, bei dem jemand wegen barfüßigen Autofahrens belangt wurde. Zwar habe ich das Thema nicht so gründlich recherchiert wie es dankenswerterweise Markus U. getan hat, würde aber einen auf barfüßiges Fahren gestützten Bußgeldbescheid sofort und ohne weiteres aufheben. Grund: ich halte Barfußfahren erstens für ungefährlich, sehe zweitens keine Rechtsgrundlage, auf die sich eine Ordnungswidrigkeit stützen würde und fahre drittens selber regelmäßig barfuß Auto (und Fahrrad) ohne das Gefühl zu haben, ich gefährdete damit den Straßenverkehr. Damit ist es (wie wir es nennen) "gerichtsbekannt", dass barfüßiges Autofahren unbedenklich ist. Und damit ist es (zumindest in meinem Amtsgerichtsbezirk) auch erlaubt. Basta.
Das siehst Du so, weil Du selber gerne barfuss gehst und Auto fährst und beziehst Dich ja auch ausdrücklich nur auf "Deinen" Gerichtsbezirk. Aber sieht das der Amtsrichter im Nachbarbezirk auch so? Vielleicht, weil er Dich kennt und schätzt. Oder er kann Dich nicht leiden und ist aus Prinzip anderer Meinung? Was ist mit dem stockkonservativen älteren Richterkollegen, der vielleicht drei Bezirke weiter judiziert?
2. Barfuß im Gerichtsaal
Ich lege schon Wert darauf, dass im Gerichtssaal eine gewisse Ordnung herrscht und ziehe, was Kleidung und Auftreten angeht, Grenzen. Ich selbst trage an Sitzungstagen ja schließlich auch Robe weißes Hemd, dunkle Hose und Halbschuhe. Barfuß, Sandalen, Jeans kämen für mich persönlich aus Respekt vor der Sache nicht in die Tüte - wenn ich Leute in den Knast schicke oder ihnen den Führerschein abnehme, finde ich es unangemessen, dies ganz locker in Shorts und Badelatschen zu tun.
Vollkommen richtig und lobenswert (sehen allerdings auch nicht alle Deine Kollegen so), wobei sich auch hier schon die Frage der Maßstäbe stellt. Du sagst, schon Jeans sind nicht okay. Andere würden vielleicht sagen, zu Beginn des 21. Jahrhunderts kann man problemlos zu weißem Hemd, Krawatte und Jackett auch Jeans tragen, ohne dass das dem Respekt vor irgendeiner Sache abträglich wäre. Wieder andere würden vielleicht aber noch weiter gehen und sogar den dunklen Anzug für unverzichtbar und bereits eine Business-Kombination für unangebracht halten.
Entsprechend erwarte auch von den unmittelbar Beteiligten zumindest das Bemühen um in Minimum an Form. Genau gesagt: Auf die Zuschauer achte ich relativ wenig, bei Anwälten, Angeklagten und Zeugen gibt es die klare Anweisung: Mütze ab, Kaugummi raus und Telefon aus. Was Kleidung betrifft, hatte ich allerdings(abgesehen von Mützen, die auf meinen Hinweis auch immer brav abgenommen werden) eigentlich noch nie Probleme, aber ich würde mal sagen: Nackte Oberkörper würde ich keinesfalls tolerieren, extrem kurze Hosen würde ich zumindest rüffeln, aber trotzdem hinnehmen (man will den Termin ja irgendwie auch zum Ende bringen), nackte Füße in Sandalen sind bei Zeugen und Angeklagten sowieso allgemein üblich und bei Anwälten (zumindest Anwältinnen - scheint eher ein Frauenphänomen zu sein) eigentlich auch.
Du legst offensichtlich Wert darauf, dass die Verfahrensbeteiligten die Mützen abnehmen. Kollegen von Dir wäre das vielleicht egal, aber sie würden sehr wohl feste Schuhe erwarten.
Barfuß kam tatsächich noch nie vor, aber damit hätte ich nicht das geringste Problem. Es kommt doch auf den Gesamteindruck an: Wenn ein Zeuge in Badekleidung und mit Schuhen erscheint, würde mich das eher stören, als wenn er eine lange Hose trägt und dafür keine Schuhe.
Und wer entscheidet über den Gesamteindruck? Was für Dich noch okay ist, ist es für den konservativen älteren Kollegen vielleicht schon lange nicht mehr.
Aber wie gesagt: Angesichts von randalierenden oder betrunkenen Angeklagten und anstrengenden Konfliktverteidigern (sorry, Markus)hat man in der Regel wirklich andere Sorgen, als sich noch Gedanken über das Schuhwerk zu machen.
Das kann ich ohne weiteres nachvollziehen. Zum Thema Konfliktverteidigung hätte ich zwar einiges zu sagen, aber das gehört nun wirklich nicht in ein BF-Forum. Falls es Dich interessiert, kannst Du mich gerne anmailen.
III. Im Gerichtsgebäude allgemein
Außerhalb des Gerichtsaals ist es relativ locker: Meine Geschäftsstellenbeamten (Sekretariat) latschen mir regelmäßig barfuß durchs Büro, was ich an heißen Sommertagen nur voll unterstützen kann, und von meinen Referendaren bin ich zu meiner Belustigung schon gefragt worden, ob ich Sandalen erlauben würde - was ich mit der Bemerkung quittiert habe, dass sie gerne barfuß in die Sitzung kommen dürfen, solange sie ein weißes Hemd/Bluse tragen.
Bei unseren Gerichten wäre (je nach Ausbilder) die Hemdfarbe der Referendare ziemlich egal, aber barfuss würde bestimmt nicht toleriert.
Viele Grüße,
L.
Fazit: Eine allgemeingültige Linie über die Gerichtsbezirke hinweg gibt es zum Thema Barfuss wahrscheinlich genauso wenig, wie zu allen anderen Themen und es wäre weltfremd anzunehmen, dass die persönlichen Moralvorstellungen eines Richters seine Auslegung des Rechts und seine Verhandlungsführung nicht prägen würden.
Du, Ludwig, weißt das natürlich, aber da ich angesichts der Antworten den Eindruck habe, dass einige Leser dazu neigen, Deinen Beitrag zu verallgemeinern und nun glauben zu wissen, wie das Thema BF vor allen deutschen Gerichten betrachtet würde, wollte ich das nochmal klarstellen.
Im übrigen freue ich mich, dass außer drei Anwälten nun auch ein sehr sympathisch und kompetent rüberkommender Richter im Forum schreibt und hoffe, demnächst noch mehr von Dir zu lesen.
Liebe Grüße
Oliver S.