Als Volljurist im Gerichtsaal (Hobby? Barfuß! 2)

Ludwig E., Tuesday, 13.03.2007, 20:02 (vor 6402 Tagen) @ Markus U.

Nur ein kurzer Beitrag aus der Praxis zu der Diskussion, was im Gerichtssaal erlaubt ist, was der Richter noch hinnehmen würde und was nicht:
Ich bin Strafrichter, außerdem zuständig für Bußgeldsachen (also hauptsächlich Straßenverkehrsdelikte).

I. Barfuß Autofahren:
Ich hatte noch nie über einen Bußgeldbscheid zu entscheiden, bei dem jemand wegen barfüßigen Autofahrens belangt wurde. Zwar habe ich das Thema nicht so gründlich recherchiert wie es dankenswerterweise Markus U. getan hat, würde aber einen auf barfüßiges Fahren gestützten Bußgeldbescheid sofort und ohne weiteres aufheben. Grund: ich halte Barfußfahren erstens für ungefährlich, sehe zweitens keine Rechtsgrundlage, auf die sich eine Ordnungswidrigkeit stützen würde und fahre drittens selber regelmäßig barfuß Auto (und Fahrrad) ohne das Gefühl zu haben, ich gefährdete damit den Straßenverkehr. Damit ist es (wie wir es nennen) "gerichtsbekannt", dass barfüßiges Autofahren unbedenklich ist. Und damit ist es (zumindest in meinem Amtsgerichtsbezirk) auch erlaubt. Basta.

2. Barfuß im Gerichtsaal
Ich lege schon Wert darauf, dass im Gerichtssaal eine gewisse Ordnung herrscht und ziehe, was Kleidung und Auftreten angeht, Grenzen. Ich selbst trage an Sitzungstagen ja schließlich auch Robe weißes Hemd, dunkle Hose und Halbschuhe. Barfuß, Sandalen, Jeans kämen für mich persönlich aus Respekt vor der Sache nicht in die Tüte - wenn ich Leute in den Knast schicke oder ihnen den Führerschein abnehme, finde ich es unangemessen, dies ganz locker in Shorts und Badelatschen zu tun. Entsprechend erwarte auch von den unmittelbar Beteiligten zumindest das Bemühen um in Minimum an Form. Genau gesagt: Auf die Zuschauer achte ich relativ wenig, bei Anwälten, Angeklagten und Zeugen gibt es die klare Anweisung: Mütze ab, Kaugummi raus und Telefon aus. Was Kleidung betrifft, hatte ich allerdings(abgesehen von Mützen, die auf meinen Hinweis auch immer brav abgenommen werden) eigentlich noch nie Probleme, aber ich würde mal sagen: Nackte Oberkörper würde ich keinesfalls tolerieren, extrem kurze Hosen würde ich zumindest rüffeln, aber trotzdem hinnehmen (man will den Termin ja irgendwie auch zum Ende bringen), nackte Füße in Sandalen sind bei Zeugen und Angeklagten sowieso allgemein üblich und bei Anwälten (zumindest Anwältinnen - scheint eher ein Frauenphänomen zu sein) eigentlich auch. Barfuß kam tatsächich noch nie vor, aber damit hätte ich nicht das geringste Problem. Es kommt doch auf den Gesamteindruck an: Wenn ein Zeuge in Badekleidung und mit Schuhen erscheint, würde mich das eher stören, als wenn er eine lange Hose trägt und dafür keine Schuhe. Aber wie gesagt: Angesichts von randalierenden oder betrunkenen Angeklagten und anstrengenden Konfliktverteidigern (sorry, Markus)hat man in der Regel wirklich andere Sorgen, als sich noch Gedanken über das Schuhwerk zu machen.

III. Im Gerichtsgebäude allgemein
Außerhalb des Gerichtsaals ist es relativ locker: Meine Geschäftsstellenbeamten (Sekretariat) latschen mir regelmäßig barfuß durchs Büro, was ich an heißen Sommertagen nur voll unterstützen kann, und von meinen Referendaren bin ich zu meiner Belustigung schon gefragt worden, ob ich Sandalen erlauben würde - was ich mit der Bemerkung quittiert habe, dass sie gerne barfuß in die Sitzung kommen dürfen, solange sie ein weißes Hemd/Bluse tragen.

Viele Grüße,
L.


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