Als "Nichtjurist" barfuß im Gerichtsaal (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo Markus,
ich glaube nicht, daß es einen allgemeingültigen Zusammenhang zwischen Kleidung und Arbeitsleistung gibt. Es hängt jeweils von der Person ab. Wenn ich mal die Hilfe eines Anwalts benötige, ist es mir völlig egal, ob er am Arbeitsplatz immer mit Krawatte, fettem Schuhwerk und Socken erscheint oder "quasibarfuß". Selbst wenn dieser Anwalt in der Freizeit nie barfuß läuft, wäre es für mich noch lange kein Grund, dessen Fähigkeiten anzuzweifeln. Und wenn sich ein Anwalt (und nicht nur der) auch in der Freizeit in Anzug und Krawatte am wohlsten fühlt, dann ist es seine Sache.
Dein folgender Satz hat mich zum Nachdenken angeregt:
"Es gibt freilich auch Richter, die in puncto Kleidung wenig Spaß verstehen. So vergaß ich einmal, meine Robe mitzunehmen und mußte erleben, daß meine Ausrede, sie sei gerade in der Reinigung, auf den Richter einen unangenehmen Eindruck machte (dennoch wurde die Klage abgewiesen [ich hatte den Beklagten vertreten]). Und im Sommer las ich gar in der FAZ, daß in München ein Richter einen Anwalt, der unter seiner Robe nur ein einfaches weißes T- Shirt trug, nicht zur Verhandlung zuließ."
In diesen Fällen gingen die Richter restriktiv mit Leuten um, die mit Juristerei ihr Brot verdienen. Nun gibt es bei Gerichtsverhandlungen neben Richter, Staats- und Rechtsanwälten und Gerichtsdienern auch Leute, die als Angeklagte, als Zeugen oder auch nur als "neugieriger Zuschauer" im Gerichtssaal erscheinen. Gibt es für diesen Personenkreis auch irgendwelche Anzugsordnungen?
Ich könnte mir vorstellen, daß ein "neugieriger Zuschauer", der barfuß erscheint, von einem Gerichtsdiener am Zuschauen gehindert werden kann, er macht vom "Hausrecht" Gebrauch, so wie es "Domschweizer" schon bei barfüßigen Kirchenbesuchern getan haben. Ein "normaler Zuschauer", der mit dem Gerichtsfall nichts zu tun hat, ist ja nicht zwingend notwendig.
Wie aber sieht es mit Angeklagten aus? Ist da eine Bekleidung vorgeschrieben, die "besser" ist als die, die man im Normalfall etwa in der Straßenbahn trägt. Wenn der Angeklagte barfuß erscheint, darf dann der Richter die Verhandlung vertagen und die Verhandlung erst dann fortsetzen, wenn der Angeklagte geschniegelt und gebügelt erscheint? Ich vermute, daß selbst dann, wenn der Richter nicht zu derartigen Maßnahmen greift, es durchaus möglich sein kann, daß ein Richter, der bei Anwälten Wert auf "gerichtskonforme Kleidung" legt, bei einem barfüßigen (oder kurz behosten, unrasierten, struppig behaarten) Angeklagten ein strengeres Urteil verhängen könnte als bei einem geschniegelten und gebügelten Angeklagten.
Wer angeklagt ist, wird sich vielleicht schon im eigenen Interesse "obrigkeitskonform" kleiden und auf Barfüßigkeit verzichten. Wie aber sieht es mit Zeugen aus, etwa wenn man einen Verkehrsunfall beobachtet hat, ohne selbst am Unfall beteiligt zu sein. Wie weit darf da ein Richter gehen? Wäre es nicht ein Eingriff in die persönliche Freiheit einer unschuldigen Person, wenn der Richter Schuhe verlangt. Soweit ich weiß, kann ein Zeuge, der zu einem Gerichtstermin geladen wird und nicht erscheint, mit einer Ordnungswidrigkeit belegt werden. Was aber kann geschehen, wenn der Zeuge zwar erscheint, jedoch barfuß (und womöglich in Kombination mit T-Shirt und kurzen Hosen und noch dazu im Winter). Darf sich der Zeuge weigern, sich umzuziehen? Oder wäre das "Widerstand gegen die Staatsgewalt?" Wird dann womöglich der Zeuge härter bestraft als der Angeklagte?
Eigentlich möchte ich mit Gerichten nichts zu tun haben. Aber wenn schon, dann würde es mich doch reizen, zumindest als Zeuge barfuß und in kurzen Hosen im Gerichtsaal zu erscheinen. Als Angeklagter nur dann, wenn ich die drohende Höchststrafe verkraften kann. Wenn man mir etwa Steuerdelikte vorwirft, würde ich es tun (auch dann, wenn ich wirklich die Steuerbehörden beschissen haben sollte). Wenn man mich aber wegen Tötungsdelikten, Kindesmißhandlung, Brandstiftung oder Drogenhandel in Verdacht gerate, dann würde ich im Gerichtsaal Dienstkleidung (mit fetten Schuhen und Socken) tragen, auch dann, wenn der Verdacht völlig aus der Luft gegriffen sein sollte (etwa aufgrund der Falschaussage eines Spießers, der persönlich was gegen mich hat). Auch wenn die Schweiz ein demokratischer Rechtsstaat ist, so sind die Richter doch Menschen. Und selbst Richter könnten das Vorurteil haben, daß Barfüßigkeit verdächtig ist, und daß sie voreilig einen unschuldigen Barfüßer verurteilen anstatt auf seriöse Weise nach dem wahren Täter zu suchen.
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen