Als "Nichtjurist" barfuß im Gerichtsaal (Hobby? Barfuß! 2)
Hi Michael!
Zunächst muß ich folgendes klarstellen:
1. Da ich mich mit Schweizer Recht und Schweizer Gerichtsbarkeit nicht auskenne, bezieht sich alles, was ich nachfolgend schreibe, auf deutsches Recht und deutsche Gerichte.
2. Da ich nie barfuß ein Gericht betreten habe, kann ich nicht von Erfahrungen berichten, sondern muß mich mit Mutmaßungen begnügen.
Dein folgender Satz hat mich zum Nachdenken angeregt:
"Es gibt freilich auch Richter, die in puncto Kleidung wenig Spaß verstehen. So vergaß ich einmal, meine Robe mitzunehmen und mußte erleben, daß meine Ausrede, sie sei gerade in der Reinigung, auf den Richter einen unangenehmen Eindruck machte (dennoch wurde die Klage abgewiesen [ich hatte den Beklagten vertreten]). Und im Sommer las ich gar in der FAZ, daß in München ein Richter einen Anwalt, der unter seiner Robe nur ein einfaches weißes T- Shirt trug, nicht zur Verhandlung zuließ."
In diesen Fällen gingen die Richter restriktiv mit Leuten um, die mit Juristerei ihr Brot verdienen. Nun gibt es bei Gerichtsverhandlungen neben Richter, Staats- und Rechtsanwälten und Gerichtsdienern auch Leute, die als Angeklagte, als Zeugen oder auch nur als "neugieriger Zuschauer" im Gerichtssaal erscheinen. Gibt es für diesen Personenkreis auch irgendwelche Anzugsordnungen?
Ich könnte mir vorstellen, daß ein "neugieriger Zuschauer", der barfuß erscheint, von einem Gerichtsdiener am Zuschauen gehindert werden kann, er macht vom "Hausrecht" Gebrauch, so wie es "Domschweizer" schon bei barfüßigen Kirchenbesuchern getan haben. Ein "normaler Zuschauer", der mit dem Gerichtsfall nichts zu tun hat, ist ja nicht zwingend notwendig.
Es ist heute gar nicht so einfach, überhaupt in ein Gerichtsgebäude hineinzugelangen. Früher konnte man einfach so hineingehen, aber seit einigen Jahren gibt es an den meisten Eingängen zu deutschen Gerichtsgebäuden Sicherheitskontrollen, die freilich unterschiedlich sind. In manch ein kleineres Gericht kommt man auch heute noch relativ einfach hinein, aber wer beispielsweise das Landgericht Kassel oder das Amts- und Landgericht Krefeld betreten will, muß seinen Personalausweis vorzeigen und eine Sicherheitsschleuse passieren. Anwälte haben es etwas einfacher; sie brauchen einfach ihren Anwaltsausweis vorzuzeigen oder werden, wenn sie in dem betreffenden Gericht häufiger zu tun haben und den Wachtmeistern von Ansehen bekannt sind, einfach so durchgelassen. An den Wachtmeistern kommt man also nicht ungesehen vorbei, und daher kann ich mir vorstellen, daß jemand, der nur mit einer extrem kurzen Hose und einem dünnen Hemdli bekleidet ist, ohne Ladung gar nicht hineingelassen wird. Im übrigen gelten während der Verhandlung die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgerichtes (GVG). bezogen auf Deine Frage kommen vor allem folgende Vorschriften in Betracht:
§ 175 Abs. 1 GVG:
"Der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen kann unerwachsenen und solchen Personen versagt werden, die in einer der Würde des Gerichts nicht entsprechenden Weise erscheinen."
§ 176 GVG:
"Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden."
§ 177 GVG:
"Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die den zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen nicht Folge leisten, können aus dem Sitzungszimmer entfernt sowie zur Ordnungshaft abgeführt und während einer zu bestimmenden Zeit, die vierundzwanzig Stunden nicht übersteigen darf, festgehalten werden. Über Maßnahmen nach Satz 1 entscheidet gegenüber Personen, die bei der Verhandlung nicht beteiligt sind, der Vorsitzende, in den übrigen Fällen das Gericht."
§ 178 GVG:
(1) "Gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, kann vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden. Bei der Festsetzung von Ordnungsgeld ist zugleich für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, zu bestimmen, in welchem Maße Ordnungshaft an seine Stelle tritt."
(2) "Über die Festsetzung von Ordnungsmitteln entscheidet gegenüber Personen, die bei der Vehandlung nicht beteiligt sind, der Vorsitzende, in den übrigen Fällen das Gericht."
(3) "Wird wegen derselben Tat später auf Strafe erkannt, so sind das Ordnungsgeld oder die Ordnungshaft auf die Strafe anzurechnen."
§ 179 GVG:
"Die Vollstreckung der vorstehend bezeichneten Ordnungsmittel hat der Vorsitzende unmittelbar zu veranlassen."
Bleibt noch zu erwähnen, daß gegen ein Ordnungsmittel nach § 178 GVG innerhalb einer Woche Beschwerde eingelegt werden kann, sofern sie nicht vom Bundesgerichtshofe oder einem Oberlandesgerichte getroffen ist, daß die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat und daß das Oberlandesgericht über die Beschwerde entscheidet.
Wie zu erwarten, nennt das Gesetz keine konkreten Beispiele von Ungebühr, und da mir daheim keine Kommentarliteratur zur Verfügung steht, kann ich dazu nicht viel schreiben, aber ich werde nachsehen, ob ich etwas "Passendes" finde. Einen "klassischen" Fall von Ungebühr dürfte die Entblößung im Gerichtssaal darstellen, wobei aber die Entblößung nur der Füße nicht ausreichen dürfte. In der Praxis werden Ordnungsmittel in der Regel (außer bei ganz schweren Verstößen) auch nicht "einfach so" verhängt, sondern vorher angedroht. Barfüßigkeit allein dürfte wohl nicht ausreichen, um nach § 175 Abs. 1 GVG den Zutritt zu versagen, während ich mir bei Michael's üblicher Freizeitkleidung insgesamt gesehen da nicht so sicher bin.
Interessanterweise sind Anwälte in allen zitierten Vorschriften NICHT erwähnt, und die Vorschriften sind auch nicht entsprechend auf Anwälte anwendbar, aber auch gegen Anwälte gibt es bekanntlich eine gerichtliche Handhabe.
Wie aber sieht es mit Angeklagten aus? Ist da eine Bekleidung vorgeschrieben, die "besser" ist als die, die man im Normalfall etwa in der Straßenbahn trägt. Wenn der Angeklagte barfuß erscheint, darf dann der Richter die Verhandlung vertagen und die Verhandlung erst dann fortsetzen, wenn der Angeklagte geschniegelt und gebügelt erscheint? Ich vermute, daß selbst dann, wenn der Richter nicht zu derartigen Maßnahmen greift, es durchaus möglich sein kann, daß ein Richter, der bei Anwälten Wert auf "gerichtskonforme Kleidung" legt, bei einem barfüßigen (oder kurz behosten, unrasierten, struppig behaarten) Angeklagten ein strengeres Urteil verhängen könnte als bei einem geschniegelten und gebügelten Angeklagten.
Der angeklagte muß bei der hauptverhandlung gewöhnlich zugegen sein, und wenn er nicht freiwillig erscheint, kann er sogar von der Polizei vorgeführt werden. Selbstverständlich kann der Angeklagte auch barfuß zur Verhandlung erscheinen, was ich aber keinem Angeklagten raten werde. Sonst könnte nämlich tatsächlich der Effekt eintreten, daß der Richter gegen einen barfüßigen (oder kurz behosten, unrasierten, struppig behaarten) Angeklagten ein strengeres Urteil verhängt als gegen einen geschniegelten und gebügelten Angeklagten. Das darf der Richter zwar nicht, aber er wird sich das tunlichst nicht anmerken lassen und folglich sowohl mündlich als auch schriftlich mit keinem Worte darauf eingehen, aber die Gedanken sind bekanntlich frei.
Ich selbst würde übrigens nur fett beschuht und besockt auf der Anklagebank erscheinen, und zwar sowohl aus den schon von Michael angeführten Erwägungen als auch deshalb, weil mir in so einer bescheidenen Situation nicht im geringsten nach barfuß zumute wäre (völlige Abwesenheit des Lebensfreude- Faktors).
Wer angeklagt ist, wird sich vielleicht schon im eigenen Interesse "obrigkeitskonform" kleiden und auf Barfüßigkeit verzichten. Wie aber sieht es mit Zeugen aus, etwa wenn man einen Verkehrsunfall beobachtet hat, ohne selbst am Unfall beteiligt zu sein. Wie weit darf da ein Richter gehen? Wäre es nicht ein Eingriff in die persönliche Freiheit einer unschuldigen Person, wenn der Richter Schuhe verlangt. Soweit ich weiß, kann ein Zeuge, der zu einem Gerichtstermin geladen wird und nicht erscheint, mit einer Ordnungswidrigkeit belegt werden. Was aber kann geschehen, wenn der Zeuge zwar erscheint, jedoch barfuß (und womöglich in Kombination mit T-Shirt und kurzen Hosen und noch dazu im Winter). Darf sich der Zeuge weigern, sich umzuziehen? Oder wäre das "Widerstand gegen die Staatsgewalt?" Wird dann womöglich der Zeuge härter bestraft als der Angeklagte?
Für Zeugen gilt der zitierte § 178 GVG, und möglicherweise wird der Richter gegen einen Zeugen, der im Winter barfuß und in kurzen Hosen erscheint, nach dieser Vorschrift vorgehen. wenn er clever ist, wird er das jedoch nicht tun, sondern den Zeugen vernehmen, um mit der Beweisaufnahme "zu Potte zu kommen" und fertig zu werden.
Eigentlich möchte ich mit Gerichten nichts zu tun haben. Aber wenn schon, dann würde es mich doch reizen, zumindest als Zeuge barfuß und in kurzen Hosen im Gerichtsaal zu erscheinen. Als Angeklagter nur dann, wenn ich die drohende Höchststrafe verkraften kann. Wenn man mir etwa Steuerdelikte vorwirft, würde ich es tun (auch dann, wenn ich wirklich die Steuerbehörden beschissen haben sollte).
Falls Du also mal eine Zeugenladung erhältst oder wegen eines leichten Deliktes angeklagt wirst, dan berichte uns doch bitte von Deinem barfüßigen Auftritte vor Gericht.
Wenn man mich aber wegen Tötungsdelikten, Kindesmißhandlung, Brandstiftung oder Drogenhandel in Verdacht gerate, dann würde ich im Gerichtsaal Dienstkleidung (mit fetten Schuhen und Socken) tragen, auch dann, wenn der Verdacht völlig aus der Luft gegriffen sein sollte (etwa aufgrund der Falschaussage eines Spießers, der persönlich was gegen mich hat). Auch wenn die Schweiz ein demokratischer Rechtsstaat ist, so sind die Richter doch Menschen. Und selbst Richter könnten das Vorurteil haben, daß Barfüßigkeit verdächtig ist, und daß sie voreilig einen unschuldigen Barfüßer verurteilen anstatt auf seriöse Weise nach dem wahren Täter zu suchen.
Da dürftest Du wohl leider recht haben.
Barfüßige Frühlingsgrüße,
Markus U.