Stilbruch (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Thursday, 07.09.2006, 13:10 (vor 6655 Tagen) @ Guenther

Hallo Guenther!:

Guenther:
Ein "Normbruch", den alle gut finden, finden sie auch gut, einen solchen, den sonst keiner begeht, finden sie erst mal schlecht. Nur über den Sinn oder Unsinn der gebrochenen Norm (in dem Falle Schuhe tragen) denkt keiner nach.

Michael:
Barfußlaufen außerhalb von Strand usw. an sich ist ein "Normbruch", dabei sind im Prinzip nur dort sinnvoll, wo es zu kalt oder zu heiß ist oder aufgrund der Bodenbeschaffenheit, herumfliegenden Teilen usw. die Füße geschützt werden müssen. Wobei die Grenzen von Person zu Person unterschiedlich liegen. Wer etwa eine Wohnung mit Teppich hat, in einer klimatisierten Bank arbeitet und die Fahrt mit dem Auto zurücklegt, ohne kilometerweite Fußwege zurückzulegen, der könnte also das ganze Jahr über mit T-Shirt und kurzer Hose auskommen. Schuhe und winterlichere Kleidung müßten im Auto parat liegen für den Fall, daß man im Winter mal aussteigen muß, wenn das Auto in einer Schneewehe stecken geblieben ist. Aber erzähl das mal einem Bankdirektor!
Es gibt übrigens Normbrüche, die sich im Laufe der Zeit durchgesetzt haben: Früher trug man beim Autofahren (und auch sonst außer Haus) einen Hut (genauer: ein Herr trug einen Hut, ein Mann trug eine Mütze; H trägt H, M trägt M). Heute fahren viele barhäuptig Auto, die Unterschiede zwischen einem Mann und einem Herrn sind verwischt. Über Autofahrer mit Hut wird heute sogar gelästert, das findet keiner gut. Mützen (speziell Baseballmützen) werden dagegen wieder häufiger getragen (neuer Stilbruch!), dafür nicht nur beim Autofahren, sondern auch in der Kirche, aber das ist bei Jugendlichen halt in. Aber wehe, man hat die Mütze andersrum auf wie der Rest!

Stilbruch ist auch nicht Stilbruch, eine Frau hat es da einfacher. Ich vermute einmal, daß eine Mann bei Temperaturen um +5°C leichter Ärger mit der Polizei bekommt wenn er barfuß (oder sockenlos in Sandalen) mit kurzen Hosen unterwegs ist wie als eine Frau in Kleidung mit vergleichbarem Bedeckungsgrad. Der Grund: Für Frauen gibt es Nylonstrumpfhosen, die auch bei kälterer Temperatur getragen werden und man manchmal auf den ersten Blick nicht als solche erkennen kann. Also vermutet ein außenstehender halt eine Dame mit Feinstrumpfhosen und kaum erkennbaren Schuhen und schaut nicht näher hin, wenn sie barfuß im Minirock über die Straße geht. Beim Mann, der barfuß in kurzen Hosen geht, dagegen vermutet man keine Strumpfhosen und schaut näher hin. Und wenn der Mann tatsächlich eine Strumpfhose trägt, wird (zumindest außerhalb von Karneval, St.-Pauli-Milieu usw. die Polizei gerufen. Ein Mann mit Feinstrumpfhosen ist halt auch ein Stilbruch.

Im Sommer dagegen wird ein barfüßiger Mann kaum behelligt, wenn er in kurzen oder langen Hosen durch die Stadt geht, etwa in Kombination mit einem T-Shirt. Ein Anzugträger am gleichen Ort wird auch nicht beachtet. Ein dritter, der zwar Jackett und Krawatte trägt, dazu aber kurze Hosen und barfuß (oder auch mit Schuhen), wird sicher von der Polizei kontrolliert. Der Stilbruch ist doch zu groß.

Guenther:
Z.B. im Juli mußt ich mich in brütender Hitze bewerben, und das geht nicht ohne strengsten Dresscode. Wenn man den aber schon seit 6 Uhr morgens anhat und dann 13 Uhr zum Vortrag erscheint, ist das (zumindest in meinem Fall) geruchsmäßig eine ziemliche Zumutung für die Umwelt. Da man aber auch nicht unterwegs duschen kann, schleppt man die feinen, niegelnagelneuen Klamotten halt in der Reisetasche mit sich und zieht sie am Bahnhof/ Flughafen des Zielorts an (zum Glück hat die Stewardess beim Einchecken -Germanwings - keine Schuhe verlangt). Dieses Verfahren bringt mitunter auch Überraschungen mit sich, z.B. daß die Halbschuhe in Größe 46, die im Regal so schön aussehen, nicht wirklich an die Haxen passen, und daß die Haut der Fersen dann nach der Vortragstour erst mal für einige Wochen weg ist (wie es mir neulich bei einem Kongreß passiert ist). Am nächsten Tag hab ich diese sympathischen Schuhe dann wieder gern nach der strengen Ratinger Konvention behandelt.

Michael:
Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, als ich gegen Ende meines Studiums auf Stellensuche war und ich nur einen einzigen Anzug besaß. Darüber könnte ich Bände schreiben. Meistens reiste ich dann in Dienstkleidung an. Nach dem Vorstellungsgespräch hatte ich meistens Zeit, um noch die jeweilige Stadt zu besichtigen, wozu ich Dienstkleidung als weniger praktisch empfand. Meistens hatte ich es sehr eilig, in die Freizeitkleidung zu schlüpfen. Auf offener Straße tat ich das nicht, aber es konnte durchaus vorkommen, daß ich selbiges hinter einer Plakatwand an einer vielbefahrenen Straße tat (z.B. in Hanau), meistens waren es aber Parks (z.B. Taunusanlage in Frankfurt). Auf der Hintour wäre ein umgekehrtes Vorgehen durchaus auch denkbar gewesen, nur wußte ich in fremden Städten nicht, wo es geeignete Plätze gab. Es wäre doch peinlich, wenn man bis zum Termin keine Möglichkeit gefunden hat, sich umzuziehen. In manchen Fällen mißbrauchte ich die Zugtoilette, um kurz vor dem Zielort die von Freizeit- auf Dienstkleidung zu wechseln, jedoch nur bei weiteren Strecken, sicher nicht von Oldenburg nach Bremen. Bei allen Dingen machte ich es mir aus heutiger Sicht viel zu unbequem: Entweder (bei nicht allzu hohen Temperaturen oder Platzmangel) blieb ich in Halbschuhen oder ich nahm extra Sandalen mit. Heute würde ich einfach die Schuhe in die Tasche stecken und barfuß laufen. Seitdem ich in der Schweiz arbeite, war ich nicht mehr oft unterwegs, aber den Klamottenwechsel habe ich noch manches mal praktiziert (wenn ich alleine unterwegs war, nicht bei Reisen mit anderen). Aber seitdem ich barfuß laufe, war ich nur einmal geschäftlich unterwegs, und das war im letzten Juni in Basel. Und da nutzte ich den Baumbestand nahe der Tramhaltestelle Eglisee als "Umkleidekabine"

Gruß,
Michael aus Zofingen


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