Genau das passiert, was Du immer prophezeit hast (Hobby? Barfuß! 2)

Markus U., Stammposter, Thursday, 26.04.2007, 15:50 (vor 6423 Tagen) @ Oliver S.

Hi Oliver S.!

Ein nahezu zwingender Grund, sich eingehend mit der Angelegenheit zu befassen, war durchaus vorhanden: Es ging um die Rechtsfortbildung durch sog. Richterrecht. Daß es hierzu bis auf zwei alte, zu dem vorliegenden Falle (ganz abgesehen von der Binsenweisheit, daß jeder Rechtsfall ohnehin einzigartig ist) nicht passende Urteile aus dem Jahre 1957 (auf welche sich der ADAC in seiner kruden Stellungnahme berief) keine Entscheidungen gibt, zeigt sich schon daran, daß man im Stichwortregister bei Hentschel (für Nichtjuristen: ein bekannter Verkehrsrechtskommentar und gewissermaßen das "Standardwerk" der einschlägigen Kommentarliteratur) weder unter "barfuß" noch unter "Schuhwerk" fündig wird und die Kommentierung von § 23 StVO auch ansonsten nichts zu dem uns hier interessierenden Thema hergibt.


Was auch ein Beleg dafür sein kann, wie wenig Praxisrelevanz das Thema Barfuss-Autofahren tatsächlich hat und das Amtsgericht dazu hätte veranlassen können, das als Exotenfall abzutun ohne grundsätzlichen Klärungsbedarf.

Gerade bei "exotischen" Fallgestaltungen sehe ich grundsätzlichen juristischen Klärungsbedarf, weil gerade Entscheidungen in solchen Fällen die Grenzen der Anwendbarkeit einer Norm besonders gut sichtbar werden lassen. Nicht ohne Grund stößt man deshalb in der Literatur überdurchschnittlich häufig auf besonders seltsame Fälle (z. B. den "Siriusfall" in BGHSt 32, an dem ich mich schon während des Jurastudiums delektiert habe).

Regelungsbedarf geht im Zweifel zulasten der Freiheit.


Das ist aber auch eine zutiefst pessimistische Einstellung zum Rechtsstaat, der schließlich gerade kein Regulierungsstaat ist, die zu Deinem andererseits immer geäußerten Vertrauen in die Gerichte gar nicht passt...

Dieses "Vertrauen" ist reiner Zweckoptimismus, denn natürlich weiß ich auch, daß Richter sich täuschen lassen und daher Fehlurteile leider keine Seltenheit sind. Es gibt auch einen gewaltigen qualitativen Unterschied zwischen Richterrecht, das unmittelbar nur für den entschiedenen Fall Geltung hat und ansonsten für vegleichbare Fallgestaltungen lediglich einen Anhaltspunkt bietet, und einer Norm. Vorliegend ist eine solche sogar schon in der Versicherungsvorschrift für Berufskraftfahrer, welche "den Fuß fest umschließendes Schuhwerk" zu tragen haben, vorgebildet. Es wäre also ein leichtes, eine entsprechende Vorschrift auch in die StVO einzubauen. Das Oberlandesgericht, mit dessen Entscheidung wir uns hier befassen, legt eine solche "Lösung" schließlich nahe.

Um für uns selber barfusslaufen zu können (und nicht z.B. von einer verknöcherten BSV oder auch regulierungswütigen Politikern daran gehindert werden zu können), ist m.E. erforderlich, dass Barfusslaufen positiv, zumindest aber nicht negativ wahrgenommen wird. Es geht um ein Image, nicht darum, dass es plötzlich alle machen sollen. Die OLG-Richter z.B. hätten vielleicht anders formuliert, wenn sie Barfüssigkeit nicht negativ verknüpft hätten.

Barfußfreundliche Juristen sind leider äußerst selten. Gerade heute bin ich noch von einem Kommilitonen gefragt worden, was die Richter dazu sagten, wenn ich mit langen Haaren und barfuß vor Gericht auftrete. Da mußte ich ihm erklären, daß ich vor Gericht nicht barfuß auftrete und daß meine Haartracht (die so ungewöhnlich gar nicht ist) niemanden zu interessieren hat.

Da aber nunmal mit Barfuss kein Geld zu verdienen ist und deswegen keine Wirtschaftsbranche Image-Werbung für barfüssiges Leben betreiben wird, müssen zwangsläufig wir das tun. Und viele hier im Forum tun genau das, indem sie Homepages erstellen und pflegen, dieses Forum samt Best-Off und Pressespiegel administrieren, Barfussevents organisieren und in den Medien auftreten.

Ich glaube, daß einige von uns in gewissem Maße "betriebsblind" sind. Wir laufen (hoffentlich) täglich barfuß, lesen und schreiben in diesem Forum und kriegen dadurch bedingt ziemlich viel zum Thema barfuß mit. Für die "breite Masse", die von der Existenz dieses Forums und vermutlich auch von den von Dir genannten Homepages und Medienauftritten nichts weiß (gerade die letzten geraten erfahrungsgemäß besonders schnell in Vergessenheit), ist hingegen Barfußlaufen außerhalb der dafür vorgesehenen Zonen (Barfußpark, Strand & Schwimmbad) schlichtweg verrückt, wenngleich deutliche Reaktionen verbaler Art selten sind und ich auch nicht jedem Passanten ins Gesicht gukke, um aus seinen Blikken Schlüsse zu ziehen. Möglicherweise denken viele auch: "Soll doch jeder machen, was er will - für mich ist's nix".

Barfüßige Sommergrüße,
Markus U.


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