Etwas für die Autofahrer (Hobby? Barfuß! 2)

beka ⌂, Friday, 20.04.2007, 14:44 (vor 6429 Tagen)

Vielleicht können sich die hier im Forum vertretenen Juristen an dem folgenden Gerichtsurteil delektieren. Inwieweit man diese OLG-Entscheidung als allgemein verbindlich bewerten darf, kann ich als Nicht-Jurist nicht einschätzen.

Bernd

Fahren ohne Schuhe

GG Art. 103 II; StVO §§ 1 I; 1 II; 23 I 1; 23 I 2; 49 I Nr. 22; StVZO § 31 II; FeV §§ 2 I 1, 75 Nr. 1; OWiG §§ 3; 80 I Nr. 1; 80 II Nr. 1; SGB VII §§ 15 I; 209 I Nr. 1; Unfallverhütungsvorschriften "Fahrzeuge" (BGV D 29) §§ 32 44 II; 58

Das Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Schuhe oder mit hierfür ungeeignetem Schuhwerk erfüllt nicht den Tatbestand des § 23 I 2 i.V. mit § 49 I Nr. 22 StVO. Allerdings können in diesen Fällen Ordnungswidrigkeiten nach § 1 II i.V. mit § 49 I Nr. 1 StVO oder § 209 I Nr. 1 SGB VII i.V. mit den Unfallverhütungsvorschriften "Fahrzeuge" in Betracht kommen.

OLG Bamberg, Beschluß vom 15. 11. 2006 - 2 Ss OWi 577/06

Zum Sachverhalt:
Das AG verurteilte den Betr. wegen vorsätzlichen "Führens eines Fahrzeugs ohne vorschriftsmäßige Besetzung" zu einer Geldbuße von 50 EUR. Nach den Feststellungen befuhr der Betr. mit seinem Lkw mit Anhänger die BAB A9 in nördlicher Richtung, wobei er keine Schuhe trug, seine Füße waren vielmehr lediglich mit Socken bekleidet.
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betr. war erfolgreich.
Aus den Gründen:
Die mit Einzelrichterbeschluss gem. § 80 I Nr. 1, II Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassene Rechtsbeschwerde ist begründet. Die vom AG getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betr. nicht. Das bloße Fahren ohne geeignetes Schuhwerk ist - jedenfalls bei einer nicht dem Anwendungsbereich des § 209 SGB VII unterfallenden Fahrt - weder nach § 23 I 2 StVO noch nach anderweitigen Vorschriften des Straßenverkehrsrechts mit Bußgeld sanktioniert.
a) Dem AG ist allerdings insoweit beizupflichten, als es mit den Pflichten eines sorgfältigen Kraftfahrzeugführers unvereinbar ist, ein Kraftfahrzeug ohne oder mit hierfür ungeeignetem Schuhwerk zu führen. Da wesentliche Fahrzeugfunktionen über Pedale mit Fußkontakt gesteuert werden, kann das Fahren ohne oder mit ungeeignetem Schuhwerk infolge einer dadurch bedingten Fehlbedienung der Pedale oder eines Abrutschens von den Pedalen mit erheblichen Risiken verbunden sein. Wird dadurch ein von der Rechtsordnung missbilligter Erfolg herbeigeführt, insbesondere ein Dritter geschädigt, gefährdet oder auch nur belästigt (§ 1 II StVO), kann der Fahrzeugführer über die zivilrechtliche Haftung für einen dadurch verursachten Schaden hinaus (vgl. BGH, VM 57, 32) auch strafrechtlich oder bußgeldrechtlich verantwortlich sein.
Ein solcher "Erfolg" ist nach den getroffenen Feststellungen jedoch nicht eingetreten. Der Betr. könnte deshalb nur dann bußgeldrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sein Verhalten über die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 1 I StVO hinaus auch gegen eine bußgeldbewehrte Verhaltensvorschrift verstoßen hätte. Dies ist jedoch nach den bisherigen Feststellungen nicht der Fall.
b) Die insoweit maßgeblichen verkehrsrechtlichen Regelungswerke (StVG, StVO, StVZO, FeV) enthalten keine (ausdrückliche) Bestimmung, die dem Fahrzeugführer das Tragen bestimmten Schuhwerks vorschreiben oder verbieten.
(1) Das AG stützt die Verurteilung des Betr. auf § 23 I StVO, ohne zwischen S. 1 und S. 2 dieser Vorschrift zu differenzieren, wobei ein Verstoß gegen § 23 I 1 StVO von vornherein nicht in Betracht kommt, da eine Beeinträchtigung der Sicht oder des Gehörs des Fahrzeugführers nicht in Rede steht. Nach § 23 I 2 StVO muss der Fahrzeugführer dafür sorgen, dass die Ladung und die Besetzung des Fahrzeugs vorschriftsmäßig sind und die Verkehrssicherheit durch Ladung und/oder Besetzung nicht beeinträchtigt wird. Nachdem die Ausrüstung des Fahrzeugs und die Kleidung des Fahrers schon begrifflich nicht zur Ladung gehören (Janiszewski/Jagow/Burmann, StraßenverkehrsR, 19. Aufl., § 22 StVO Rn 2), rechnet das AG, ohne dies auszuführen, den Betr. als Fahrer offensichtlich zur Fahrzeugbesetzung i.S. des § 23 I 2 StVO. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Soweit § 23 I 2 StVO dem Fahrzeugführer die Verantwortlichkeit für die Besetzung des Fahrzeugs auferlegt, können damit nur die Personen gemeint sein, die sich neben dem Fahrer noch im Fahrzeug befinden (BayObLG, DAR 1979, 45; Hentschel, StraßenverkehrsR, 38. Aufl. § 23 StVO Rn 22). Dies ist u.a. auch § 31 II StVZO zu entnehmen, der für den Fahrzeughalter eindeutig zwischen seiner Verantwortung für die Eignung des Fahrzeugführers einerseits und die (Ladung und) Besetzung andererseits differenziert, den Fahrer somit nicht als Teil der Besetzung ansieht. Dementsprechend wird im Rahmen des § 23 I StVO die Besetzung insbesondere in den Fällen als nicht vorschriftsmäßig angesehen, in denen sie den Bestimmungen des § 21 StVO nicht entspricht und dadurch die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird (vgl. Hentschel, § 23 StVO Rn 22; Janiszewski/Jagow/Burmann, § 23 StVO Rn 16). § 21 StVO wiederum regelt die Sorgfaltspflichten des Fahrers bei der Mitnahme anderer Personen. Der Fall, dass durch eigenes Verhalten des Fahrers, das sich nicht auf die Ladung oder Besetzung des von ihm geführten Fahrzeugs bezieht, die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird, wird von § 23 I 2 StVO nicht umfasst.
(2) Auch §§ 2 I 1, 75 Nr. 1 FeV tragen die Verurteilung des Betr. nicht. § 2 I 1 FeV bezieht sich nur auf solche Fälle, in denen ein körperlicher oder geistiger Mangel zur Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit beim Führen eines Kraftfahrzeugs führen kann. Fehlendes oder ungeeignetes Schuhwerk stellt schon begrifflich keinen körperlichen Mangel dar. Es kann auch nicht mit dem ggf. im Rahmen des § 2 I FeV beachtlichen Tragen eines Gipsverbandes (BayObLG, r+s 1986, 270; vgl. hierzu auch Pluisch, NZV 1995, 173; Rothardt-Habel, DAR 93, 275 - jew. mwN) verglichen werden, da durch diesen - zumindest vorübergehend vorhandene - körperliche Mängel kompensiert werden sollen, auch wenn in technischer Hinsicht das Führen eines Kraftfahrzeugs mit Gipsverband und mit ungeeignetem Schuhwerk in vergleichbarer Weise geeignet erscheinen, die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen. Die beiläufige Feststellung des AG, der Betr. habe noch an den Folgen einer Sprunggelenksverletzung gelitten, ist für die Annahme eines körperlichen Mangels i.S. des § 2 I 1 FeV nicht ausreichend.
(3) Schließlich kommt auch eine Verurteilung nach §§ 209 I Nr. 1, 15 I SGB VII i.V. mit §§ 44 II, 58 und 32 der Unfallverhütungsvorschriften "Fahrzeuge" (BGV D29) derzeit nicht in Betracht. Zwar heißt es in § 44 II BGV D29: "Der Fahrzeugführer muss zum sicheren Führen des Fahrzeugs den Fuß umschließendes Schuhwerk tragen." Als Unfallverhütungsvorschrift kann § 44 II BGV D29 aber nur im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses nach dem SGB VII Geltung beanspruchen (soweit der gesetzliche Unfallversicherungsschutz reicht; vgl. Lauterbach/Fröde, UV-SGB VII, 4. Aufl., § 15 Rn 47). Dementsprechend richtet sich der Bußgeldtatbestand des § 58 BGV D29 im hier maßgeblichen Regelungsbereich über die Verweisung auf § 32 BGV D29 nur an Unternehmer und Versicherte als Normadressaten (vgl. Kasseler Komm, SGB VII § 15 Rn 7, § 209 Rn 6). Das angefochtene Urteil enthält jedoch keine ausreichenden Feststellungen dafür, dass der Betr. die Fahrt am 20. 9. 2005 als Unternehmer oder Versicherter i.S. des § 32 BGV D29 durchgeführt hat. Das Führen eines Lkw mit Anhänger ist auch im rein privaten Bereich möglich.
c) Eine entsprechende Anwendung der unter (1) und (2) angeführten Ordnungswidrigkeitentatbestände auf die vorliegende Fallkonstellation oder der §§ 209 I Nr. 1, 15 I SGB VII i.V. mit §§ 44 II, 58 und 32 der Unfallverhütungsvorschriften "Fahrzeuge" (BGV D29) auf außerhalb des Anwendungsbereichs des SGB VII liegende Fälle scheidet als unzulässige, mit Art. 103 II GG und § 3 OWiG nicht zu vereinbarende Ausdehnung der Bußgeldbewehrung ebenfalls aus. Zwar schließt Art. 103 II GG auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht die angesichts der Vielfältigkeit möglicher Fallgestaltungen unumgängliche Verwendung auslegungsfähiger oder -bedürftiger Rechtsbegriffe nicht aus; die Auslegung solcher Begriffe findet jedoch im erkennbaren und aus Sicht des betroffenen Verkehrsteilnehmers verstehbaren, sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergebenden Wortsinn der Norm ihre Grenzen (BVerfGE 71, 108 [114] = NJW 1986, 1671; BGHSt 4, 113 [114] = NJW 1953, 1070; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 1 Rn 11). Deshalb verbietet sich eine ausdehnende Auslegung der oben unter (1) und (2) näher dargelegten Bußgeldtatbestände auf die vorliegende Fallkonstellation, da sie tatsächlich eine unzulässige Analogie zu Lasten des Betr. darstellen würde. Dies gilt auch für § 23 StVO, auch wenn dieser allgemein als Auffangtatbestand für anderweitig nicht normierte Pflichten eines Fahrzeugführers angesehen wird (vgl. Janiszewski/Jagow/Burmann, § 23 StVO Rn 1). Auch die "Auffangfunktion" lässt eine den Wortsinn überschreitende Auslegung nicht zu. Dabei ist es unerheblich, aus welchen Gründen der Gesetzgeber es unterlassen hat, im Straßenverkehrsrecht, anders als im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung, Anordnungen hinsichtlich des von einem Fahrzeugführer zu tragenden Schuhwerks zu erlassen. Die sich aus § 44 II BGV D29 ableitende Ordnungswidrigkeit ist bereits durch die Verweisung auf § 32 BGV D29 in ihrem personalen Anwendungsbereich ausdrücklich auf Unternehmer und Versicherte beschränkt, auf die sich (bei der konkreten Tätigkeit) der gesetzliche Unfallversicherungsschutz erstreckt. Eine entsprechende Anwendung auf außerhalb des Sozialversicherungsrechts liegende Fallkonstellationen ist unzulässig. Allein das vom AG als naheliegend erachtete Bedürfnis, ein bestimmtes, als verkehrswidrig beurteiltes Verhalten zu unterbinden, kann eine Ahndung ohne entsprechenden gesetzlichen Tatbestand nicht stützen (BayObLG, DAR 1979, 45).

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