Meine Sicht der Dinge & Antworten (Hobby? Barfuß! 2)

Markus U., Stammposter, Saturday, 18.11.2006, 19:30 (vor 6518 Tagen) @ Jay

Hi Jay!

Rückblikkend meine ich, daß sich in den frühen 80'er Jahren des vorigen Jahrhunderts nach den eher "wilden" 70ern ein gewisser Konservatismus und ein Hang zum Spießertum immer mehr breitmachten - ein Zug, der sich zum Ende des Jahrhunderts eher verstärkte. Aktuell, also seit der Jahrhundertwende, geht es nicht mehr so spießig zu...


In einem Punkt gehe ich mit diesem Statement nicht konform. Unstrittig setzte Ende der 70er, spätestens in den frühen 80ern ein neokonservatives Retro ein:
* Forderung entsprechender Kreise: Das Rad der Geschichte zurückdrehen bis vor die James Dean-Ära in den 50ern, die Jugend hat sich anzupassen und unterzuordnen! Wurde meiner Wahrnehmung nach nach dem Ende der sozialliberalen Koalition auch politisch propagiert: "Ordentlich anziehen, das kommt wieder!" (E. Noelle-Neumann, war entweder bei Allensbach oder autonom, von der Union beauftragte Meinungs"forscherin" - oder evtl. doch eher "macherin?")

Vielleicht hängt das mit dem Beginn der Kohl- Aera im Jahre 1982 zusammen, die ja eine "geistig- moralische Wende" einleiten sollte?
Anderseits ist mir nicht entgangen, daß meine Jugendgeneration, obgleich damals noch minderjährig (und folglich 1983 noch nicht walhlberechtigt) schon deutlich konservativer war als die vorangegangene - zur Barfüßigkeit in meiner Schulzeit bzw. deren Fehlen trotz Nichtvorhandenseins entgegenstehender Regeln habe ich mich ja bereits geäußert.

* An einem ähnlichen Strang wurde auch in den USA gezogen (derzeit hier gerade brandaktuell), Schöpfung des Yuppie-Klischees: So jung und schon in allen Lebenslagen im geschlossenen Kostüm mit Schlips bzw. Sakko + Schlips!
* Erfolgreich war die Sache wohl weniger deshalb, weil man von dieser neuen "gesellschaftlichen Strömung" überzeugen konnte, sondern mächtig auch deswegen (konservative Kreise frohlockten), weil man über die langhaarige, vergammelte, gelegentlich barfüßige Jugend endlich die Keule 'Arbeitslosigkeit' schwingen konnte! So kam´s jedenfalls meinem Freundeskreis und mir vor, als wir uns für Bewerbungen "präparierten". Übrigens war BF in meinem Bekanntenkreis gar nichts so arg Besonderes. Man traf sich zur Plauderei etc. in den Höfen unseres Wohnviertels oder zum Freundschaftsbesuch in der Nachbarschaft und ließ über diese kurzen Entfernungen, wenn zuhause BF gegangen wurde, ebenfalls die Schuhe aus. Ich war allerdings schon extrem 'drauf und meine BFigen Entfernungsradien von zuhause wurden schnell immer größer, auch so könnte man eine Facette meines "Werdegangs" "geometrisch" beschreiben.

In meiner Generation war barfuß verpönt, und Sokkenlosigkeit wurde nur von einer Minderheit (einschließlich meiner) praktiziert. Langhaarige Jungs waren in meinem Jahrgang eine Rarität, und aiuch ich habe mir die Haare erst als Student lang wachsen lassen, nachdem ich das Elternhaus verlassen hatte (sonst hätte ich es schon früher getan).
Der Satz "Kleider machen Leute" ist vielleicht gar nicht so abwegig, denn ich ertappe mich dabei, daß ich z. T. ebenso verfahre, wenn auch vielleicht nach veränderten Kriterien, denn mit einem bekifften Punk in zerrissenen Klamotten und fetten drekkigen Stiefeln kann ich im Zweifel genausowenig anfangen wie mit einem erzkonservativen Anzug- und Krawattenträger mit schwarzen Sokken und Halbschuhen. Andererseits ist mir jemand auch nicht gleich deswegen sympathisch. weil er barfuß läuft, obwohl das natürlich zunächst mal ein großer Pluspunkt ist. Mein Grundsatz ist, daß ich ein endgültiges Urteil über einen Menschen erst fälle, wenn er gestorben oder aus meinem Gesichtskreis verschwunden ist. Ein Freund von mir kleidet sich (meiner Meiung nach) total langweilig und geht nie barfuß, und dennoch schätze ich ihn - wegen gewisser anderer Eigenschaften. Meine besten Freunde laufen freilich barfuß, und ich habe sie durch dieses Forum kennengelernt, aber sie sind nicht DESWEGEN meine Freunde - dazu bedarf es viel mehr.

Völlig unverständlich ist mir, inwieweit es deiner Ansicht nach seit 2000 weniger spießig zugehen sollte - auf welche Beobachtung gründet sich diese Aussage?

Naja, zumindest lange Haare bei Männern werden gesellschaftlich weitgehend akzeptiert (auch wenn einige Erzkonservative sich damit vielleicht noch schwertun), und auch in puncto Kleidung ist für uns Männer auch bei Tätigkeiten im Büro mehr möglich als früher - diese unsägliche "Yuppie- Welle" der 80er ist buchstäblich Schnee vom vergangenen Jahrhundert. Barfuß kann ich zwar bei der Arbeit (noch?) nicht sein, aber zumindest sokkenlos - und das ist ja (meiner Meinung nach) auch schon mal was.

...dafür macht mir die gesellschaftliche Entwicklung (Stichwort Armut) Sorge.


Die IST auch besorgniserregend und eine Folge der (von entsprechenden Kreisen in den Medien propagierten) "Winner & Loser Society". Fragt sich nur, ob das für Soziales eingesparte Geld nicht doch noch futsch ist - für Polizeistaatsmaßnahmen und Gefängnisneubauten. Gerne reden solche Herrschaften auch über "Anpassung", wollen wieder zurück zu alten "Kleider machen Leute"-Werten und sind bei konkreten Begegnungen sauer, wenn ich an ihnen vorbei in Richtung Parkplatz sehe. Passender Kommentar: "Davon hat man mehr!" (im Vergleich zu Klamotten).

Meiner Meinung nach ist es ganz einfach eine Begleiterscheinung des Kapitalismus, denn Kapitalismus und soziale Gerechtigkeit schließen einander aus. Ein wirkungsvoller Protest dagegen kann in weitgehendem Konsumverzicht bestehen - und dazu gehört (um den Bogen zum Thema zurückzufinden) auch Barfüßigkeit als besonders augenfällige Form desselben. Zu einer gänzlich geldlosen Lebensweise haben freilich nur die wenigen Mitglieder der "Schenker- Bewegung" gefunden, deren bekanntestes Mitglied eine Frau ist, die sich selbst "tüt- tüt" nennt (ihren bürgerlichen Namen kenne ich nicht) und ebenfalls barfuß geht.

Bei mir ist der Mensch in der Wahl seines Outfits grenzenlos frei und sonst gilt bei mir, was z. B. Jimi Hendrix schrieb, hätte er seine Autobiografie schreiben können (kann mich nur auf Interviews beziehen).


Was schrieb er denn?


Einer seiner Kernsätze war, daß jeder alles tun bzw. lassen darf, solange er damit nicht anderen schadet. Davon ist z. B. die gegenwärtige BF-feindliche amerikanische Gesellschaft meilenweit entfernt. Die besten seiner Statements finden sich häufig im Booklet exotischer CDs, Jimi Hendrix war ein so großer, übrigens sensibler und vergeistigter Mann, daß man ihn hier kurz überhaupt nicht erfassen kann. BF war er übrigens nie zu sehen.

Ich weiß nicht viel über ihn, denn ich war noch klein, als er starb. Ich kann allerding niemanden, der sich durch Drogen zugrunde richtet, als "groß und vergeistigt" bezeichnen. Grundsätzlich stimme ich dem zitierten Satze zu, aber wenn er dazu benutzt wird, Drogenkonsum zu rechtfertigen, kann ich ihn nicht tolerieren. Meiner Meinung nach gibt es auch kein Recht zur Selbstschädigung - zumal Drogenabhängige nicht die volle Herrschaft über andere haben und dadurch auch die Rechte anderer gefährden und schädigen, weshalb es auch verboten und sogar strafbar ist, alkoholisiert ein Straßen-, Schienen-, Wasser- oder Luftfahrzeug zu lenken.

Sei sicher, wir werden in absehbarer Zeit darüber persönlich konferieren. Dabei muß dann vor allem diese abrupte Generationstrennungs-Bruchlinie der frühen 80er aus BFiger Sicht besprochen werden, die sich wie ein rotfadiges Syndrom auch durch Beiträge anderer Teilnehmer zieht und einer von uns könnte dann evtl. ein Resumee über dieses Thema schreiben.

Ja, das werden wir machen, und ich freue mich auch schon auf dieses Gespräch und bin vor allem auf das Resumee gespannt.

Weiterhin ein schönes BF-Weekend, Jay

Dir ebenfalls ein schönes barfüßiges Wochenende,
Markus U.


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