Verwaltungsjuristisches Konstrukt (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo Jay,
ich vermute, daß, wenn ein Schüler das Barfußlaufen (und das mit Unterstützung der Eltern) bis ins Extreme treibt, sich manch ein konservativer Schuldirektor oder anderer Behördenbüffel ärgert, daß er in einem demokratischen Rechtsstaat lebt und nicht so ohne weiteres auf Methoden eines "Schurkenstaates" (oder wie immer man auch sagt) zurückgreifen darf.
Jay:
In der Situation [1 oder mehrere Kinder einer Familie fallen dadurch auf, daß sie (u. U. sogar bei jedem Wetter) happy barfuß zur Schule kommen, Zusatzannahme: Sie sind gegen jede Kritik von Lehrern, Schulleiter immun und reagieren nicht darauf] würde meiner Vermutung nach folgendes eintreten:
Nachdem Kids wg. schulpflichtigem Alter natürlich und "eigentlich" nicht gefeuert werden können (unbekannt, ob Gymnasium bzw. Realschule an Hauptschule zurückverweisen können bzw. von dort aus wg. "Schwererziehbarkeit", hier Schuh-Befehlsverweigerung, eine Degradierung zum Sonderschüler vorgenommen werden kann) wird - nachdem "Disziplinarmaßnahmen" (barfuß zum Schularrest erschienen) versagten - relativ kurzfristig eine Kontaktaufnahme mit den Eltern versucht.
Michael:
Wer sich an einer höheren Schule nicht ordentlich benimmt, kann fliegen. Eine Unikollegin hatte auf einem erzkonservativem Gymnasium gepaukt und miterlebt, wie eine andere Schülerin dieses Gymnasium verlassen mußte, nur weil sie einmal auf dem Pausenhof barfuß lief. Grundsätzlich kann sich jede höhere Schule weigern, derartige "Dissidenten" aufzunehmen, und wenn sie noch so intelligent sind. Eine Hauptschule MUSS aber jeden nehmen: Ausnahme: die Intelligenz reicht nicht aus. Auch wenn Schüler durch Brutalität auffallen oder sonst wie den Unterricht erheblich stören, kann man sie (zumindest in der Schweiz) zumindest vorübergehend in eine spezielle Einrichtung stecken. Aber vermutlich reicht da barfuß nicht aus, selbst wenn man sich hartnäckig weigert, Schuhe anzuziehen, wenn der gestrenge Herr Lehrer es befiehlt. Erst wenn der Schüler gewalttätig wird, etwa wenn er die hingehaltenen Schuhe nicht anzieht, sondern damit auf den Schädel des Lehrers hämmert, so wie Nikita Sergejewitsch Chruschtschow angeblich auf den Tisch geschlagen hat, kann sich eine Hauptschule weigern. Die Eltern werden aber in jedem Fall geholt.
Jay:
Diese zeigen sich "uneinsichtig", argumentieren "warum soll sich mein Kind nicht wohlfühlen?" und/oder seien nicht willens oder in der Lage, Geld für Schuhe aufzubringen. Dann würde wahrscheinlich folgender oder ein ähnlicher Hebel nach einem erweiterten juristischen Subsumtionsprinzip angesetzt:
Auch wenn in D soziologisch bereits die Armutsschicht definiert ist, geht man davon aus, daß Eltern finanziell und unabhängig davon erzieherisch fähig sind, ihre Kids in die Lage zu versetzen, erfolgreich am Schulunterricht teilzunehmen.
Genau genommen sind sie dazu verpflichtet.
Dazu gehört z. B. die Ausstattung mit Heften und Schreibutensilien, selbstverständlich auf Kosten der Eltern. Als ähnliche Voraussetzung wird - nach "breitem gesellschaftlichen Konsens" - auch die Ausstaffierung mit Schuhen gesehen.
Michael:
In Deutschland oder der Schweiz wird es nie soweit kommen, daß Eltern derart wenig Geld zur Verfügung haben, daß ihre Kinder keine Schuhe tragen können bzw. die Lehrmittel für die Hauptschule nicht bezahlen können. In solchen Fällen stellt der Staat in irgendeiner Form schon die Mittel dafür zur Verfügung.
Jay:
Wird diese insbesondere bewußt verweigert, könnte - nach Information durch die Schule - das Jugendamt auf die Idee kommen, die Qualifikation der Eltern zur Kindererziehung in Frage zu stellen, sprich: Sorgerechtsentzug. Peng.
Michael:
Wenn aber die Eltern finanziell eher gut dastehen und womöglich selber oft barfuß laufen (und womöglich auch sonst die Kleidung nach dem Motto "so viel wie nötig, so wenig wie möglich" wählen), dann schaltet sich GARANTIERT das Jugendamt ein. Dieses wird überprüfen, ob die Kinder wirklich freiwillig barfuß laufen oder ob die Eltern, dieses den Kindern quasi aufgezwungen haben und die Kinder es nicht merken. Vermutlich werden dann die Behörden alles versuchen, um einem die Kinder wegzunehmen. Nur wenn die Eltern reich sind und sich die besten Anwälte leisten können, würden sie vielleicht ihre Kinder behalten dürfen.
Selber habe ich keine Kinder. Ich bin aber davon überzeugt, daß ich noch mehr Ärger mit Spießern und Polizisten hätte, wenn ich auf meinen Wanderungen von Kindern begleitet werde, die ebenfalls barfuß sind und wie ich deutlich weniger winterlich angezogen sind als die Allgemeinheit. Wer alleine barfuß und/oder in zu leichter Kleidung angetroffen wird, wird häufiger kontrolliert als einer, der in Begleitung von Erwachsenen (unabhängig von deren Aufmachung) unterwegs ist. Aber wenn man von Kindern begleitet wird, ist es ganz anders.
Manchmal frage ich mich auch, wie weit die Behörden einem erwachsenen Barfüßer gehen dürfen. Muß man womöglich auch vor Gericht ziehen, um das Recht auf Barfuß und das Tragen von Kleidung, die nicht verboten ist, auf öffentlichem Raum (unabhängig von irgendwelchen Jahreszeiten und Temperaturen) ausdrücklich zu erkämpfen? Oder würden dann die Behörden ihre "privilegierte Stellung" ausnutzen?
Früher war barfuß die Not der Armen, und heute? Ein Privileg derjenigen, die frei entscheiden können, ob sie Schuhe anziehen wollen oder nicht? Hoffentlich wird es nicht zum Privileg der Superreichen, die genügend Geld haben, um die teuersten Anwälte zu bezahlen.
Nachdenkliche Grüße
Michael aus Zofingen