sorry, ich find´s einfach nur ekelhaft (Hobby? Barfuß! 2)

Markus(31) @, Monday, 23.07.2001, 09:16 (vor 8464 Tagen) @ beate

Hallo Beate,

danke für deinen Beitrag und die hochinteressante Diskussion, die daraus entstanden ist!

Was mich stört ist einfach nur der sozial-hygienische Aspekt der Sache. Ständig werde ich von irgendwelchen Leuten (Lehrer, Nachbarn, Bekannte) angesprochen, ob ich das nicht ekelhaft finde, ob ich da nicht eingreifen müßte bzw. mir wird sogar die Schuld zugeschoben ("kaufen Sie Ihrer Tochter keine Schuhe???").

Ich verstehe, dass es unangenehm ist, ständig auf ein "Fehlverhalten" der Tochter angesprochen zu werden. Aber wer gibt diesen Leuten das Recht, dich darauf anzusprechen und sogar ein "Eingreifen" zu fordern? Warum fragen diese Leute nicht deine Tochter? Als Mutter ist man nicht für die Kleidung einer fast erwachsenen Tochter zuständig, man sollte seinen Kindern auf diesem Gebiet jede Freiheit lassen. Es gibt ungleich wichtigere Fragen, bei denen auch erwachsene Kinder den Rat und manchmal auch die Einmischung ihrer Eltern brauchen.
In diesem Alter würde ich auch das Barfusslaufen eher als ein Experimentieren denn als eine feste, unveränderbare Lebenseinstellung ansehen. Aus den Erfahrungen, die sie mit dem Barfusslaufen macht, auch aus der Ablehnung, die ihr mitunter entgegenschlägt, wird sie für ihr Leben eine Menge lernen.

Ich fände nichts dabei, wenn Sie im Haus und im Garten barfuß oder im Sommer auf irgendwelchen Wiesen barfuß läuft. Aber auf öffentlichen Straßen in der Stadt finde ich das einfach ekelhaft. Ich schüttele mich vor Ekel, bei dem Gedanken, durch Kot und Urin von Tieren oder ausgespuckte Kaugummis anderer Leute mit bloßen Füßen laufen zu müßen.

Einspruch! Wiesen sind NICHT sauberer als öffentliche Straßen in der Stadt. Exkremente findet man gerade dort, nur sieht man sie - anders als auf der Straße - zu spät oder gar nicht. Straßen und Gehwege werden regelmäßig gereinigt, öffentliche Grünflächen selten oder gar nicht. Dazu kommt die sehr reale Gefahr durch Spritzen.

Meiner Tochter macht dies aber gar nichts aus, im Gegenteil: Sie behält solche "Souvenirs" tagelang unter ihren pech-schwarzen Fußsohlen, und wenn sie von anderen Leuten kritisch darauf angesprochen wird, zeigt sie frech ihre verdreckten Sohlen.

Du hast selbst geschrieben, dass Dreck an den Sohlen nicht schädlich ist. Deine Tochter ekelt sich offenbar nicht davor, was zeigt, dass das Gefühl "Ekel" individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Wenn deine Tochter tatsächlich Kaugummis an den Sohlen nicht entfernt, finde ich das allerdings ungewöhnlich (ist schießlich auch etwas, was die Sohlen vom Boden trennt).
Ob man dreckige Sohlen mag oder sich davor ekelt, ist nur eine Frage des Geschmacks bzw. der Ästhetik. Mit rationalen Argumenten kommt man hier nicht weit.
Ich frage mich nur, wie ihr das in der Wohnung regelt. Bei mir ist es selbstverständlich, dass Strassenschuhe draussen bleiben, und wenn ich barfuss in die Wohnung komme, wasche ich mir genauso selbstverständlich erst mal die Füße. Dreck an den Sohlen ist für mich kein Problem, aber auf dem Teppich oder auf dem Sofa möchte ich ich ihn nicht verteilen. Wenn bei euch aber Strassenschuhe in der Wohnung üblich sind (diese absolut unhygiensiche Unsitte ist bei Deutschen ja sehr verbreitet), wirst du deine Tochter wohl kaum davon überzeugen können, ihre Sohlen beim Betreten der Wohnung zu reinigen.

Ich habe sie angefleht, sie soll, wenn sie aus dem Haus geht, Sandalen an ihren nackten Füßen (von mir aus auch im Winter) tragen, aber dies lehnt sie schlicht als "Weichei-Marotte" ab.

Warum fleht du sie an? Wenn sie sich mit Schuhen besser fühlen würde, würde sie welche anziehen. Sie scheint stolz darauf zu sein, ohne Schuhe zurechtzukommen. Diesen Stolz solltest du ihr lassen, sie verdient sogar deine Bewunderung. Oder willst du mit dem "Anflehen" Schuldgefühle in ihr wecken?

Sie setzt sogar ihren Ehrgeiz darin, gleichaltrige Bekannte (die, was ich für Mädchen dieses Alters im Sommer ganz normal und natürlich finde, barfuß in Sandalen oder Schlappen gehen) zu "bekehren" und ebenfalls auf diesen "Luxus" zu verzichten. Bei vielen erntet sie nur Kopfschütteln, bei einigen ist sie aber auch erfolgreich, und ich bekomme dann mitunter böse Anrufe von deren Eltern.

Sei stolz auf deine Tochter! Sie hat nicht nur ein sehr ausgeprägtes Selbstvertrauen, sondern kann auch ihre Mitmenschen beeinflussen. Wirklich erschreckend finde ich es, wenn die Eltern der Bekannten deiner Tochter bei DIR anrufen. Was um alles in der Welt wollen sie damit erreichen? Du sollst deiner Tochter etwas verbieten, was sie ihren eigenen Kindern nicht verbieten können bzw. wollen?

Ich selbst mußte in meinen ersten Schuljahren (Nachkriegszeit in einem Dorf in Oberbayern) im barfuß laufen und habe daran nur unangenehme Erinnerungen: ständige Unbeholfenheit trotz wochenlanger Gewöhnung, eingetretene Steine (Glas war damals sehr selten), heißer Untergrund im Sommer. Man humpelte ständig wegen irgendwelcher kleiner Verletzungen (die natürlich keinen ernsthaften Schaden brachten), aber wegen der natürlichen Bodenunebenheiten (asphaltiert war damals kaum etwas) war eigentlich jeder Schritt eine Qual, zumal wenn man jeden Tag kilometerweit zur Schule laufen mußte. Ich habe mir damals nichts sehnlicher als ein Paar ausgelatschter Sandalen gewünscht.

Dass du nach diesen Erfahrungen froh darüber bist, nicht barfuss laufen zu müssen, verstehe ich genauso, wie ich deine Tochter verstehe. Für dich war das Barfusslaufen sicher eine wichtige Erfahrung, weil du deine eigenen Grenzen kennen gelernt hast und den Luxus Schuhe heute zu schätzen weisst. Die Situation heutiger Jugendlicher ist allerdings eine völlig andere. In einer vom Wohlstand geprägten Gesellschaft, in der es an kaum etwas mangelt, ist gerade der freiwillige Verzicht auf manche Dinge ein besonderes Erlebnis und eine wichtige Erfahrung.

Daß es heute Leute gibt, die trotz vorhandener Schuhe lieber barfuß laufen, akzeptiere ich natürlich, finde es aber (gerade bei meiner Tochter) doch unverständlich und eigentlich abstoßend.

Es gibt sehr verbreitete Verhaltensweisen, die ich wirklich unverständlich und abstoßend finde und die dazu noch gesundheitsschädlich sind - z.B. hochhackige Schuhe oder Piercing. Aber hier geht's wieder um eine rein ästhetische Frage, bei der rationale Argumente nicht zählen. Du findest es abstoßend, deine Tochter findet es toll - so wie deine Tochter deinen Geschmack akzeptieren muss, solltest du dich auch mit ihrem arrangieren.

Zu einer kultivierten jungen Frau auf der Straße gehört für mich mindestens ein Paar Sandalen im Sommer.

Mit dieser Aussage versuchst du, dein persönliches ästhetisches Empfinden zum allgemein verbindlichen gesellschaftlichen Maßstab zu erheben. Du verlässt die Ebene der rationalen Argumentation und machst deinen persönlichen Geschmack zum Dogma. Schade, denn dein Posting ist bis zu dieser Stelle ausgesprochen sachlich.

Ich hoffe, Ihr akzeptiert diese Meinung in Eurem Forum, wo sicher die meisten ganz anders denken.

Noch mal: Vielen Dank! Du hast den Anstoß zu einer sehr sachlichen Diskussion gegeben, die dieses Forum bereichert.

Sei stolz auf deine Tochter, akzeptiere, dass sie in manchen Dingen anders empfindet als du, und steh ihr mit Rat und Kritik bei den wirklich wichtigen Fragen des Lebens zur Seite. Die Frage "Schuhe oder nicht" ist doch vergleichsweise unerheblich und es auf keinen Fall wert, ein gutes Verhältnis zur Tochter aufs Spiel zu setzen.

Alles Gute,

Markus


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