Das Sozialprestige des Barfußläufers (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo Beate,
Auch daß Barfußlaufen sich mit den"Belangen der Grundexistenz" in Verbindung setzen läßt, wage ich (Hausfrau ohne Pädagogikstudium) zu bezweifeln. Wird meine Tochter durch ihr "Fakir-Sein" denn auf die Dauer etwas anderes ernten als Lächerlichkeit?
Als ich gestern barfuß auf das städtische Weinfest zu Ehren der französischen Parnerstadt kam, stieß ich auf den Bürgermeister. Doch dieser lachte mich keinesfalls aus -- er rief freudig: "Griaß Eana (für die Norddeutschen: ich grüße Sie), Herr Dr. Kerscher, schee, daß Sie do san!" Und er hat Grund, mich freundlich zu grüßen, denn meinem Einsatz verdankt die Stadt eine kleine Naherholungsattraktion: einen Barfußpfad. Die Süddeutsche Zeitung schreibt im Lokalteil darüber:
"Die Fußgymnastik steht am Anfang des Feierabends für die Füße, den Kerscher an jedem ersten und dritten Mittwoch des Monats anbietet. Nach einem langen Arbeitstag sei es eine Wohltat, die Füße von den Schuhen zu befreien, findet der 50-jährige Biochemiker, der barfuß unterwegs ist, wann immer es geht. Der entstehende Barfußpfad ist ein Projekt Kerschers und der Lokalen Agenda und soll der Naherholung dienen. Das Projekt wird von der Stadt unterstützt"
Mit bloßen Füßen habe ich dieses Projekt sehr glaubwürdig verfechten können! Und gerade Gegenargumente wegen vermeintlicher Gefährlichkeit des Barfußgehens entkräfte ich als Dauerbarfüßer auf das Beste.
.... Meine Frage bleibt: Was spräche gegen Barfußlaufen bei allen passenden Gelegenheiten (Wohnung, Garten, Schwimmbad) und Sandalen auf öffentlichen Straßen? Wäre das der Selbstfindung so sehr abträglich?
Wenn die Tochter selbst den Wunsch entwickeln würde, in Sandalen zu laufen, würde ich dies als Selbstfindung gelten lassen. Nicht jedoch, wenn sie sich einem Zwang beugen würde.
Für meine Selbstfindung war Barfußgehen sehr hilfreich, denn nachdem ich mich nicht mehr dem Schuhzwang beugte, brachte es mir überall Sympathien ein! Auch im Bürobereich bin ich barfuß, in den Büros der Kollegen und auch des Chefs sieht man mich ohne Schuhe! Mein Erfolg mit dem Barfußpfad imponiert den Leuten (zumal mein Chef auch in der lokalen Agenda engagiert ist) -- man traut mir mehr zu, als vorher. Auch die Firmenzeitung hat einen sehr schönen Bericht über meine Aktivitäten geschrieben, und vor ein paar Tagen haben sich 15 Kolleginnen und Kollegen von mir über den Barfußpfad führen lassen.
Die Barfußaktivitäten sind das schönste und durch so viele nette Kontakte erfüllendste Hobby das ich je hatte -- und ich hatte schon schöne Hobbys: z.B. Aquaristik oder Musizieren in einem Laienorchester.
Falls dies alles wie Selbstbeweihräucherung wirken sollte: das ist nicht meine Art oder Absicht. Aber ich wollte meine Erfahrung in die Waagschale werfen, wie ich als Barfußläufer zu echtem Ansehen gelangt bin -- was ich selbst nicht für möglich gehalten hatte!
Beste Grüße, "barefoot doctor" Lorenz Kerscher