Verlorengegangener Standard & barfüßige Ehrgeizprofile (Hobby? Barfuß! 2)

Jay, Stammposter, Sunday, 17.06.2007, 18:03 (vor 6306 Tagen) @ Markus U.

Hallo Markus,
das schöne daran ist, daß Training wirklich Erfolg bringt. Nicht sofort und auch nur langsam, aber ganz plötzlich merkt man, daß man ja schon sehr viel weiter ist, als man sich zu Beginn des Trainings als Ziel gesetzt hatte. Allenfalls daß man das Ziel beharrlich vor sich herschiebt läßt einen zuweilen wieder unzufrieden werden. Aber das ist vielleicht überhaupt der Motor des menschlichen Erfolges. Wir montieren uns eine Karotte vor die Nase und ärgern uns ein Leben lang, daß wir -- so schnell wir auch laufen -- sie nie einholen :-))
Herzliche Grüße vom Barpfotenbären


Hi Barpfotenbär,
das Ziel des Trainings (und trainieren tun wir bereits dann, wenn wir BF außer Haus gehen, auch wenn wir dessen vieleicht grad nicht eingedenk sind) ist die volle BF- Tauglichkeit im Alltage. In der Stadt ist diese im allgemeinen einfach zu erreichen; das "Trainings- Bewußtsein" stellt sich bei mir immer auf schwierigen Untergründen wie grobem Bruchschotter (am schlimmsten ist Gleisbettschotter) ein. Da heißt es die Zähne zusammenbeißen und durch. Freilich muß hier jeder darauf achten, wieviel er sich zumuten kann. Den besten Trainingseffekt erzielt man in der Gruppe oder wenigstens zu zweit. Wenn man alleine losgeht, neigt man dazu, auf den bequemen gewohnten Wegen zu bleiben und umgeht in den meisten Fällen neue Herausforderungen. Was meine eigene "BF- Geländegängigkeit" betrifft, habe ich das Gefühl, meine Grenzen weitgehend erreicht zu haben (was mich gar nicht zufrieden stimmt), aber gesellschaftlich ist gewiß noch so manch neue Situation "drin" (barfüßige Auftritte vor Gericht werden indessen wohl auch künftig nicht stattfinden).
Barfüßige Sommergrüße,
Markus U.

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Hi Markus, hi Barpfotenbär,
ich weiß, daß ich jetzt möglicherweise verlacht werde, aber BF-Alltagstauglichkeit ist meines Erachtens auch etwas sehr Relatives & Ansichtssache. So fordere ich von mir nicht, einen BFigen Sprint über 250 m Gleisbettschotter mit unbewegtem Gesicht ablaufen zu können (wann kommt denn das im Leben situativ vor?), weitaus stärker stört mich schon meine ausgesprochen geringe Hitzebeständigkeit, sodaß ich - so, wie sich der Sommer voraussichtlich entwickeln wird - wie einst in Amerika bei prallem Sonnenschein im Zeitraum von 12 - 15 h zugegebenermaßen auf eine Sohlen-Wärmeisolation durch irgendwelche MinimalSTschuhe angewiesen sein werde.

Übrigens biete ich jedem im Forum folgende Wette an:
Kriterien: Freisinger Innenstadt, Sommer, praktisch wolkenloser Himmel, T außen >= 27° C, Zeitraum: 13 - 15 h. Es ist die Untere Hauptstr., beginnend ab Heiliggeistgasse über den Marienplatz bis Ende Obere Hauptstr. (Anfang der Wippenhauser Str.) und zurück auf der sonnenbeschienenen Seite auf dem dunkelrotbraunen Kachelpflaster barfuß in normaler Gehtechnik abzuWANDERN. Laufen, Hüpfen, "Tapsen" etc. sowie jede chemische Imprägnierung der Fußsohlen sind verboten. Danach wird 1/4 h auf normalem Terrain weitergegangen.
Behauptung: Undurchführbar, ohne danach [Beobachtungszeitraum: 2 h] Brandblasen aufzufinden & auch zu spüren. Man zeige das Gegenteil.

Für ungünstig halte ich, im Forum & anderswo lautstark zu verbreiten, daß Barfußlaufen ERLERNT werden müsse. Das schreckt u. U. Interessenten ab, die die Sache außerhalb der Privacy erstmalig ausprobieren wollen. Gleichwohl ist es aber auch erschreckend zu hören, daß es heutzutage Menschen geben soll, die tatsächlich außerhalb ihres Schlafzimmer-Teppichs nicht barfußlaufen KÖNNEN, das wäre dann tatsächlich ein verlorengegangener zivilisatorischer Standard (ebenso wie die weitreichende Tolerierung von Fußschäden bis hin zu bereits motorisch behindernder Wirkung).
Man sollte eigentlich erwarten, daß jeder normale gesunde Mensch Alltagshandlungen [BF aus dem Auto aussteigen, im Supermarkt einkaufen & wieder zurück] physisch ausführen kann (psychisch bekanntermaßen weit weniger). Wenn selbst das nicht mehr "geht" & womöglich förmlich geübt werden muß, ist das eindeutig eine "Behebung" eines 'zivilisatorisch' degenerierten Status.

Ungewöhnliche BFige Fähigkeiten wird es immer geben, gelegentlich sind auch Tricks dabei. Soll man aber "ehrgeizmäßig" soweit gehen, schlimmstenfalls per Extremtraining mit dem indischen Yogi gleichzuziehen, der ja tatsächlich BF über glühende Kohlen gehen kann? Irgendwo ist für mich eine Vernunftgrenze erreicht, mir genügt es, problemlos den Weg vom einen Ende "meiner" Stadt zum anderen barfuß zurücklegen zu können. Dann gibt es auch noch Sachen, hinter denen gar kein Trick steckt. Vor kurzem waren wir [Markus U. & ich] im Deutschen Museum in München, welches in der Abteilung Starkstromtechnik eine wunderschöne Hochspannungsanlage mit eindrucksvollen Demonstrationsversuchen beherbergt. Ganz früher wurden bei den Vorführungen manchmal Besucher gefragt: "Wer traut sich freiwiliig, sich in die Faraday´sche Käfigkugel zu setzen & sich [SCHEINBAR, das wurde nicht gesagt] unter 160 000 Volt setzen zu lassen?" Ich hätte mich sofort gemeldet & sogar demonstrativ meine Zehchen von innen an das feinmaschige Metallgitter gesetzt. Nicht fachkundige Zuschauer hätten überproportional über die Sache "Barfuß" gestaunt...

Daher würde ich die beiden Ehrgeiz-Dimensionen "Kältefestigkeit" & "Geländegängigkeit" nicht unbedingt zum alleinigen Maß aller Dinge erheben, wenn es darum geht, den genauen Performance Level eines Premium Grade Barfüßers zu ermitteln. Dazu ist die Sache nämlich viel zu mannigfaltig, wie folgendes Beispiel zeigt:
Vor vielen Jahren flackte ich immer wieder mal im Wohnzimmer [frei, Eltern verreist] eines Freundes zusammen mit anderen Freunden 'rum, weil sich eben zum x-ten Mal eine spontane, wilde abendliche Party ergeben hatte. Wir lagen mehr auf dem Sofa als wir saßen, hatten i. d. R. unsere Füße auf dem sehr niedrigen Tisch, glotzten TV oder hörten plaudernd Musik, dabei wurden natürlich auch mächtig die Verdauungswege mit verdünntem C2H5OH* gespült. Aufgrund des kurzen zurückgelegten Weges in die Nachbarschaft waren meine Füße noch verhältnismäßig sauber. Es wäre nun ein reizvoller Partygag gewesen, mit den Zehen des einen Fußes eine Bierflasche am Hals zu umklammern, festzuhalten & mit dem anderen Fuß einen Kronkorken-Hebelöffner zu ergreifen & die Flasche zu öffnen. Ich konnte es jedenfalls nicht & kann es auch heute nicht; über so ein Kunststück würde eine contergangeschädigte Person mit verstümmelten Armen & Händen nur müde lächeln**.

Vor einigen Tagen hatten Leo, Markus U. & ich einen kurzen Abschnitt zum Gipfel eines Mini - Mount Everests zurückgelegt. Weitaus mehr als den ganzen Berg barfuß erklimmen zu können interessiert mich z. B., wie man einen Hubschrauber perfekt BF fliegt. Das dürfte nicht einfach sein, Markus & ich hatten im Deutschen Museum verschiedene Modelle besichtigt & dabei gesehen, daß deren Pedalerie sogar für Schuhträger recht ungünstig war, weil sie in allen Fällen nur aus rechtwinkling umgebogenen Metallstangen bestand.

Tatsächlich hab' ich ein ganz anderes BF-"Ehrgeizprofil". Wenn ich z. B. auf orthodoxe Theologie abfahren würde, würde ich meine Gehirnzellen solange auf Höchstleistung arbeiten lassen, bis ich einen Dreh gefunden hätte, die im Altarraum bestehende BF-Prohibition zu kippen, weil es einfach keinen vernünftigen Grund (gegeben durch Physik etc.) dafür gibt. Persönlich glaube ich, denselben Drang wie Michael aus Zofingen mit der Minimalkleidung bei niedrigen Temperaturen in anderer Ausführung zu haben: Vor Nobelrestaurants, Kultstätten etc. hab' ich eines mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder gemein, der einst am Gitterzaun des Bundeskanzleramts rüttelte: Ich will da rein, & zwar in meinem Standard-Outfit & barfuß! Kein Trick ist mir zu abgefeimt, um das jeweilige Ziel zu erreichen. Dieser Art ist in etwa MEIN Ehrgeiz, ich will ihn von der Dimension "BF & Gesellschaftliches" ebensowenig verabsolutieren, wie wohl mir Olympiaden in den beiden genannten Ehrgeizdimensionen [bei minus 70° C über die zugefrorene & zusätzlich mit Schottersplit überschüttete Beringstraße flott von Rußland nach Alaska gewandert] ebenfalls fremd sind.

Freundliche Grüße vom Kälteresistenz- & Geländegängigkeits-Papiertiger Jay, der allerdings in Sachen 'Gesellschaftliches' hyperharte Zähne hat.

*) chemisch für: [Äthyl-]Alkohol
**) Diese durch teratogene Medikamentenwirkung schwerstbehinderten Personen haben mit den Füßen Sachen 'drauf, von denen unsereins nicht einmal träumen kann. Sehr eindrucksvoll waren z. B. die TV-Bilder, in denen eine Contergan-Mutter ihr gesund zu Welt gekommenes Kind mit den Füßen fütterte.


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