Unrealistische Bilder einer Gerichtsverhandlung (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo Jay,
genau wie Du möchte ich am liebsten gar nichts mit Gerichten zu tun haben. Zwar interessiert es mich, wie man barfuß vor Gericht behandelt wird, aber ich werde deswegen doch nicht extra straffällig werden.
Nehmen wir mal folgende Fälle an:
Person A kommt mit Krawatte, langer Hose und Schuhen von einer Geschäftsreise und wird am Bahnhof von Skinheads zusammengeschlagen. Bei der Gerichtsverhandlung erscheint der Geschädigte ebenfalls in Dienstkleidung.
Person B kommt barfuß und in kurzen Hosen von einer Ferienreise und wird am Bahnhof von Skinheads zusammengeschlagen. Bei der Gerichtsverhandlung erscheint der Geschädigte jedoch in Dienstkleidung.
Person C kommt mit Krawatte, langer Hose und Schuhen von einer Geschäftsreise und wird am Bahnhof von Skinheads zusammengeschlagen. Bei der Gerichtsverhandlung erscheint der Geschädigte dagegen barfuß und in kurzen Hosen.
Person D kommt barfuß und in kurzen Hosen von einer Ferienreise und wird am Bahnhof von Skinheads zusammengeschlagen. Bei der Gerichtsverhandlung erscheint der Geschädigte ebenfalls barfuß und in kurzen Hosen.
Die Täter, die Person A zusammengedroschen haben, werden "normal" wegen Körperverletzung verurteilt. Die Täter, die Person B ans Leder gingen, bekommen vermutlich nur halb soviel Strafe aufgebrummt mit der Begründung, sie durch den Anblick einer barfüßigen/kurz behosten Person derart irritiert waren, daß sie quasi zum Prügeln genötigt waren. Die Täter, Person C verprügelten, kommen ebenfalls mit einer relativ milden Strafe davon. Denn ein Mensch, der sogar vor Gericht barfuß und in kurzen Hosen erscheint, dürfte vermutlich öfters in dieser Aufmachung im öffentlichen Raum erscheinen und somit auch bekannt sein. Daß C während des "Attentats" normal gekleidet war, wird nur als Zufall gewertet. Die Täter, die Person D verprügelten, würden vielleicht sogar völlig straffrei ausgehen, denn sie haben im Grunde genommen nur das vollzogen, was ein "normaler" Richter dem barfüßigen Dissidenten heimlich gönnt.
Und wenn man einer etwa wegen Steuerbetrug vor Gericht ist (und tatsächlich schuldig ist), dann würde die Strafe sicher härter ausfallen, wenn man barfuß vor Gericht erscheint! Allzu gute Kleidung kann aber auch von Nachteil sein. Wenn etwas ein junger Automechaniker, der normalerweise im Blaumann arbeitet und auch sonst immer leger gekleidet ist, in bestem Zwirn vor Gericht erscheint, dann wird das quasi als "Schuldgeständnis" interpretiert. Wenn ein junger Bankangestellter so erscheint, hat es keinerlei Einfluß. Möglicherweise hätte es auch Nachteile, wenn einer, der als Barfüßer bekannt ist und auch keinen Beruf ausübt, bei dem er Schuhe trägt, zum Gericht im Maßanzug erscheint. Im Raum Zofingen kennt man mich entweder barfuß und in kurzen Hosen (und ohne Krawatte) oder aber in langen Hosen in Kombination mit geschlossenen Schuhen und Krawatte. Also müßte ich am besten in Dienstkleidung vor Gericht erscheinen. Wenn nicht, dann gleich barfuß, kurze Hose und keine Krawatte. Würde ich barfuß in Kombination mit langer Hose und Krawatte oder mit Schuhen in Kombination mit kurzer Hose und Krawatte erscheinen, dann wäre das "verdächtig" und das Urteil würde noch härter für mich ausfallen.
Wie aber sähe der Fall aus, wenn ein schweres Verbrechen geschehen ist und die Richter zwischen zwei verdächtigen Personen entscheiden müssen, wer der wahre Täter ist? Falls der eine Verdächtige barfuß und der andere fett beschuht vor Gericht erscheint, dann würden sich selbst dann, wenn Richter und Staatsanwalt militante Barfußfeinde sein sollten, alle Mühe geben, den wahren Täter zu ermitteln. Denn kein deutsches oder Schweizer Gericht würde wissentlich, nur um einen Barfüßer zu bestrafen, einen Schwerstkriminellen laufen lassen. Dieser könnte ja weiteres Unheil anrichten. Anders sähe es aus, wenn der eine Verdächtige barfuß vor Gericht erscheint und der andere Verdächtige nicht mehr lebt. Dann würde sich das Gericht vielleicht weniger Mühe geben, den wahren Täter zu finden. Ein Toter kann keinen Schaden mehr anrichten und einem fälschlich wegen eines schweren Verbrechens verurteilten Barfüßer weint kein Spießer eine Träne nach.
Und als Zeuge barfuß vor Gericht? Wenn ein guter Freund von mir angeklagt ist, dann bin ich daran interessiert, daß er keine Strafe aufgebrummt bekommt bzw. möglichst viel Schadenersatz bekommt. Würde ich barfuß erscheinen, würde man mich nicht für glaubwürdig halten, und mein Freund käme schlechter davon. Also lieber nicht! Und wenn es darum geht, durch meine Zeugenaussage einen Menschen, den ich überhaupt nicht mag, zu belasten, etwa einen Polizisten, der mich bei einer Kontrolle besonders schäbig behandelt hat, dann wäre barfuß vor Gericht auch kontraproduktiv. Wobei Schuhe bei der Gerichtsverhandlung in diesem Fall vermutlich auch nichts nützen, ich wäre in jedem Fall als Zeuge unglaubwürdig. Wenn nämlich der Verteidiger des Polizisten "ganz nebenbei" sagt, ich wäre schon oft wegen barfuß in Polizeikontrollen geraten, dann würden die Richter daraus interpretieren, daß ich einen gewissen Haß auf Polizisten hätte und ich sogar zu Meineid bereit wäre.
Nachdenkliche Grüße
Michael aus Zofingen