Barfuss im Job (Hobby? Barfuß! 2)

Harald 2, Friday, 28.03.2003, 23:51 (vor 7855 Tagen) @ aquajeans

Hi!

Es ist grundsätzlich eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, wie sehr man sich an die Erwartungshaltungen, mit denen einen ein Job konfrontiert, anpassen soll. Und es ist keine Frage, die man so klar ein für alle mal beantworten kann. An sich halte ich es persönlich so, dass ich mir eher einen Job gesucht habe, der meiner Persönlichkeit entspricht, als meine Persönlichkeit an die Arbeitswelt anzupassen. Ich weiß auch gar nicht, ob ich anders könnte.

2 grundsätzliche Gedanken dazu:
- Mich wundert immer, wenn pauschalierend davon gesprochen wird, was "die Arbeitswelt" von einem erwartet, sowohl was Charakterzüge als auch was Äußerlichkeiten (Kleidung etc.) angeht. Ich denke, es ist schon möglich, seine ganz individuelle Nische zu finden. Teils ist es eine Frage des Mutes. Aber irgendwie frage ich mich schon, ob nicht einer, der frustriert als Anwalt mit Anzug und Schuhen rumläuft und lieber barfuß irgendwo draußen wäre, nicht doch auch ein paar andere Möglichkeiten gehabt hätte.
- Ich glaube auch nicht daran, dass es die Garantie für tolle Jobaussichten ist, sich möglichst stromlinienförmig an das anzupassen, was die anderen tun. Ein Mensch mit Ecken und Kanten, starken Interessen und Engagement findet dann doch vielleicht eher das Richtige für sich.

Jetzt konkreter: Ich arbeite seit 8 Jahren als freiberuflicher "consultant" bei Naturschutzprojekten. Es ist ein Job, bei dem man manchen Leuten dreimal erklären muss, was man eigentlich tut;-) Es ist auch ein Job, mit dem ich wohl niemals zu den Spitzenverdienern zählen werde. Es ist ein Job, bei dem ich manches erst mitaufbauen muss und einer, bei dem mir nie langweilig wird. Ich bin glücklich darüber, dass ich letztlich für Dinge bezahlt werde, die mir auch Spass machen. Und auch darüber, dass die Ausbildung, die ich dafür gebraucht habe, diejenige war, die meinen Interessen entsprochen hat. Natürlich bin ich für so einen Job auch bereit, Kompromisse zu schließen.

Wie halte ich es jetzt mit nackten Füssen im Job? Zunächst: Ich hab kein Problem damit, von irgendjemand privat barfuß gesehen zu werden. Ich denke, es passt zu einem unkonventionellen Typ;-)) Oder doch: Irgendwo muss eine Grenze zwischen Privatleben und Job sein. Natürlich kann ich in meinem Büro, das ein Zimmer in meinem Haus ist, anziehen was ich will. Bei "Geländearbeit", die ich alleine oder mit KollegInnen erledige, habe ich auch kein Problem mit meinem Barfußtick. Eine Grenze die ich mit möglichst viel "Fingerspitzengefühl" (eigentlich "Zehenspitzengefühl"!) ertaste, ist die, wie weit ich mit dem Barfußlaufen gegenüber "Kunden/Klienten" gehen kann. Das sind zum Teil Landwirte und zum Teil Bürgermeister und Gemeinderäte. Meistens ist die Situation dadurch ein bisschen verzwickt, als die ja nicht direkt meine "Kunden" sind. Sondern ich werde von der Naturschutzbehörde bezahlt, um gemeinsam mit ihnen etwas zu planen oder zu organisieren.
Da habe ich bis zu einem gewissen Grad schon das Gefühl, ein wenig auf mein Äußeres achten zu müssen. D.h. bis zu einem gewissen Grad bin ich es meinen Auftraggebern schuldig, nicht durch eine provozierende Art etwas zu verpatzen.

Aber es hat Grenzen: Jeans, T-Shirts und Sandalen finde ich fast immer ok. Schließlich treffen wir uns ja mitunter draußen in Wald und Flur oder ich bin zumindest derjenige, der nach dem Gespräch im Gemeindeamt gleich dorthin geht. Und ich hätte auch das Gefühl, zu mir nicht ehrlich zu sein, wenn ich mich hier wesentlich "gepflegter" kleiden müsste. Wenn ich schon jemand beeindrucken muss, soll es schon eher mit Fachwissen geschen als mit einem Sakko;-)

Trotzdem: Kurz einmal Schuhe anzuziehen, um bei einem Termin nicht barfuß aufzukreuzen, finde ich ok und erspart mir das Gefühl von Unsicherheit und Peinlichkeit. Ob ich dann nach einiger Zeit die Schuhe doch wieder ausziehen kann, entscheide ich "aus dem Bauch heraus" und ich kann mich kein einziges Mal daran erinnern, deshalb negative Reaktionen bekommen zu haben.

Das bringt mich noch auf einen Gedanken: Ich habe das Gefühl, dass negative Reaktionen auf barfuß umso seltener sind, je selbstbewußter man dabei ist. Unsichere Barfüßler provozieren ungute Reaktionen! Auch ein Grund, manchmal doch einmal kurz zu Schuhen zu greifen. Solange es Teil eines Kompromisses (mit dem Job, mit der family ...) ist, der insgesamt stimmt.

So, ich hoffe, ich hab jetzt keine(n) mit meinen verworrenen abendlichen Barfußgedanken gelangweilt...
Ich wünsch euch ein tolles barfüßiges Wochenende!

PS (v.a. für Aquajeans): Barfüßige PolitikerInnen hätten bei mir schon einen Vertrauensvorschuß. Wählen würde ich sie natürlich nur, wenn mir auch ihr politisches Programm entspricht.
Und: Nein, barfüßigen Vermögensberatern würde ich keinen Cent anvertrauen! Echt nicht! (Beschuhten natürlich auch nicht:-)))


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