Fragen an euch Barfüßer (Hobby? Barfuß! 2)

Kai (VS) @, Friday, 31.01.2003, 15:08 (vor 7911 Tagen) @ Sarah

Hallo, Sarah,
ich finde, du stellst kluge Fragen. Dass du dir die überhaupt stellst und dir so viele Gedanken machst, spricht für dich.

Soziale Isolierung im engeren Sinne:
So etwas kommt, glaube ich, nicht von irgendeinem Merkmal, das man mit sich herumträgt (Hautfarbe, Behinderung, Sprachfehler, Name, Mode, ...), sondern davon, wie aufgeschlossen man ist. Es gibt, vermute ich, Leute, die aus einer aggressiven Stimmung heraus "Andersartigkeit" zeigen. Dazu könnte Ulis Schulkameradin gehören (die eigentlich vielleicht gar nicht so wild war). Oder wenn jemand sich gegen Diskriminierung innerlich zur Wehr setzt und sich abschottet. Dieses Abschotten, stelle ich mir vor, isoliert, aber nicht der Ohrring oder die baren Füße.
Wenn man jemanden kennt, wiegt das alle äußerlichen Dinge auf. So wurde ich trotz Barfüßigkeit auch in Gremien gewählt. Ich bin ja auch nicht aggressiv.

"Andersartig" fühlt man sich vielleicht auch, wenn man gerne das Gras unter den Füßen spüren möchte, sich aber nicht traut -- und es dann vielleicht mit schlechtem Gewissen insgeheim tut (was ist das für eine Gesellschaft, die solche Dinge als unnormal ansieht!). Wer deswegen ein schlechtes Gewissen hat, könnte sich möglicherweise isoliert fühlen, und zwar genau genommen vor sich selbst. Aus der Anfangszeit der "Society for Barefoot Living", dem amerikanischen Pendant dieses Vereins, kenne ich einige Mails in diesem Sinne. Die Verfasser schrieben, allein zu erfahren, dass es ganz normal ist, gerne barfuß zu laufen, habe sie aus ihrer (gedachten) Isolation befreit.
Ist es nicht seltsam, wie die Leute denken? Aber so ist es.

Es könnte aber sein, dass es eine Isolation im weiteren Sinne gibt, eine Diskriminierung, die jenseits des persönlichen Kontaktes ist. So stand neulich in den VDI-Nachrichten ein Text über einen jungen Mann, der Bewerbungsfotos mit Ohrring verschickt hatte. Das reichte bei einigen kleinkarierten Empfängern, um ihn nicht zum Gespräch einzuladen. Bei Barfüßler-Fotos dürfte das ähnlich sein. Andererseits sind Barfüßler ja besser dran als Leute, die wegen ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe diskriminiert werden: Sie können sich ja einfach mal Schuhe anziehen.

Oder habt ihr einen Freundeskreis, einen Lebenspartner? Falls ja , sind es Menschen außerhalb der "Barfüßer" Szene?

Selbstverständlich. Meine Frau stört sich nicht dran, wenn sie mit Schuhen und ich ohne untewegs sind.

Lohnt sich konsequentes Verhalten, wenn es sozial isoliert? Kann der Mensch als soziales Wesen sich auf die Dauer erlauben, isoliert zu sein?

Das ist eine sehr allgemeine und grundsätzliche Frage, die mit dem barfuß Laufen nicht direkt eteas zu tun hat. Das weißt du sicherlich.

Kommt drauf an. Grundsätzlich ist es wahrscheinlich nicht gut, sich in eine Idee zu verrennen und sich zu isolieren. Einmal, weil es das Leben schwer macht, und zweitens, weil Gewalttätigkeit, zumal gegen sich selbst, schon für sich genommen schädlich ist.
Es gibt andererseits Menschen und Situationen, in denen sie nicht anders können, als sich zu widersetzen. Man könnte hier an Sokrates oder Diogenes (der in der Tonne) denken, an Luther, Bonhoeffer, an große Künstler wie van Gogh und viele mehr, die sicher nicht die schlechtesten Mitglieder der Gesellschaft waren oder sind.

Angst oder Aggressionen durch abweichendes Verhalten:

Es hat sich in der Entwicklung des Menschen bewährt, dass er die Dinge um ihn herum schnell bewerten und in nützlich / schädlich einsortieren kann. Wenn man nun etwas sieht, das man nicht sofort einordnen kann, ist man eben zunächst mal verunsichert. Ich weiß noch, was für Unruhe es in den Sechziger Jahren verursacht hat, wenn Jungs lange Haare hatten. Aber wenn mal eine gewisse Gewöhnung eingesetzt hat, legt sich die Aufregung wieder.

kein oberflächlicher Mensch, sondern eine sehr soziale, integre, >tiefgläubige und redliche Frau)

Tief gläubig und redlich: Vielleicht solltest du dem armen Barfüßler das doch in seinem Interesse ausreden ;-)

wieder an einen psychisch Kranken geraten zu sein. Sie macht sich ob >dieser "Oberflächlichkeit" schwere Selbstvorwürfe, aber ich denke in >ihrer derzeitigen Lage ist es für sie durchaus sinnvoll, sich zu >schützen.

Das kann ich gut verstehen. Mit einem psychisch Kranken zusammen zu sein, geht an die Substanz: Man zweifelt da bald daran, ob man selbst noch in der Realität lebt.
Wenn die Dame alles so ernst nimmt, sollte sie vielleicht wirklich einige Zeit erst mal zu sich selbst finden. Wenn sie dem aufrechten Barfüßler das erklärt, wird der es sicher verstehen.

Natürlich ist es nicht gesagt, dass der junge Mann (der auch bei >Minusgraden immer barfuß geht) psychisch krank ist

Sieh' es als eine Art Sport, ähnlich Schwimmen, Bergsteigen oder Eis-Baden. So etwas kann ein "normaler" Mensch zwar nicht so recht nachempfinden, aber krank ist es nicht.
In der Tat kann so ein Sport, wie auch Fußball- oder Schwimmbegeisterung, einen Menschen stabilisieren.

Lieben winterbeschuhten und dickbesockten Gruß

Hast du kalte Füße? Geh' mal kurz barfuß raus. Du wirst sehen, dass dir das mehr bringt als dicke Socken.

--
Gruß, Kai (VS)


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