Eine Reaktion von den SBB wegen Barfußärger (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Wednesday, 19.12.2007, 16:54 (vor 6119 Tagen)

Nach dem "Barfußärger" am Bahnhof in Bellinzona schrieb ich an die Bahn am 19.11. 2007 folgende Beschwerde:

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Sehr geehrte Damen und Herren,
ich finde es toll, welche Angebote Ihnen immer einfallen. So auch die vergünstigte Tageskarte zu 39 SFr, mit der man einen Tag in der gesamten Schweiz herumfahren darf. Ich machte von dem Angebot am letzten Samstag (17.11.2007) Gebrauch. In der Regel bin ich mit der Komfort der Schweizer Bahnen sehr zufrieden, auch von den Fahrplänen, der Pünktlichkeit der Züge. Wenn bei gewissen Situationen (etwa Witterung) mal ein Zug Verspätung hat, kann ich es nachvollziehen. Daher nehme ich es auch gelassen, dass der Cisalpino 151 nicht wie geplant um 9.24 Uhr in Bellinzona eintraf, sondern erst gegen 9.45 Uhr. Mich störte nicht, dass ich die S-Bahn nach Locarno nicht mehr erreichte, denn es fuhr um 10.00 Uhr bereits ein Interregio. Kein Verständnis habe ich jedoch dafür, dass 3 Minuten vor dem Eintreffen des Interregio die Bahnpolizei eintraf und mich an einer sofortigen Weiterreise hinderte. Obwohl ich eine gültige Fahrkarte besass und auch eine Identitätskarte dabei hatte, hielten mich die Bahnpolizisten etwa eine Stunde fest, so dass ich erst um 10.40 Uhr die Weiterreise nach Locarno antreten konnte, wobei mich die Bahnpolizisten auch noch bis zum Zug begleiteten und mir erst in letzter Minute meine Papiere zurückgaben. Dabei habe ich überhaupt nichts verbotenes getan, ich war lediglich weniger winterlich bekleidet als einer, der in ein Skigebiet reist. Aber das ist doch sicher in Ihren Zügen mit funktionierender Heizung nicht nötig. Auch fand ich es unverhältnismässig, dass die Polizisten mich fragten, warum ich unterwegs bin, wohin ich noch wollte. Dazu haben die Beamten doch kein Recht. Als freier Schweizer Bürger, der einer geregelten Arbeit als Chemiker in einem mittelständischen Zofinger Chemie- und Pharmaunternehmen nachgeht, darf ich mich, solange ich eine gültige Fahrkarte besitze, soviel in den öffentlichen Verkehrsmittel bewegen wie ich will, solange ich nicht gegen die Beförderungsbedingungen verstosse. Ein Verstoss gegen die Beförderungsbedingungen wäre etwa die Beschädigung von Fahrzeugen oder Bahnanlagen, nicht aber das Tragen von Kleidung, die nicht unbedingt der Jahreszeit entspricht. Den Kondukteuren ist es übrigens völlig egal, welche Art von Kleidung ich trage. Warum müssen sich die Bahnpolizisten so intolerant verhalten? Wer gibt ihnen das Recht, mich wie einer "Aussätzigen" zu behandeln? Ein derartiges Verhalten der Ordnungshüter kann ich leider nicht akzeptieren. Auch Bahnpolizisten haben sich an die in der Schweiz gültigen Gesetze zu halten. Für Beamtenwillkür ist in einem demokratischen Rechtsstaat kein Platz. Zu einem seriösen Verkehrsunternehmen gehört, dass alle Fahrgäste unabhängig von Äusserlichkeiten wie Kleidung oder Hautfarbe menschenwürdig behandelt werden, und zwar von JEDEM Mitarbeiter, auch den Bahnpolizisten. Wenn mir so etwas noch mal passieren sollte, sehe ich mich leider genötigt, in Zukunft statt der Bahn nur noch das Auto oder das Velo zu benutzen.
Mit freundlichen Grüssen
Michael Oelting

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Heute erhielt ich endlich Antwort von den SBB bzl. meinem "Barfußärger" am Bahnhof in Bellinzona:

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Sehr geehrter Herr Oelting

Vielen Dank nochmals für Ihre E-Mail vom 19.11.2007. Ich musste bei der Bahnpolizei nachfassen, weil unsere Anfrage von Ende November irgendwo untergegangen ist; deshalb erst heute unsere Antwort, tut mir sehr leid.

Vorab möchten wir uns für das äusserst unangenehme Erlebnis am 17.11. mit der Bahnpolizei in Bellinzona entschuldigen! Ich verstehe sehr gut, dass Sie sich deswegen aufgeregt haben. Die Entschuldigung kommt von der Leitung der Bahnpolizei; diese hat mit den involvierten Polizisten gesprochen. Nachfolgend der Sachverhalt aus dem Rapport Ihres "Falles", den ich leider nur in italienisch bekommen habe:

"In data e ed ora di cui sopra, ci veniva segnalato una persona in stato confusionale che si aggirava a nord del marciapiede due. Giunti in loco, notavamo il sopraccitato scalzo, in camicia e pantaloncini corti nonostante la rigida temperatura mattutina (3 gradi). Condotto presso i nostri uffici si accertava quanto segue. Nessuna ricerca in merito, già noto alle autorità di Zofingen, le quali ci confermano che da parte del proprio medico curante non vi sono obiezioni, riguardo il suo abbigliamento. Al termine dei controlli di rito lo si lasciava proseguire."

Die Bahnpolizei hatte kurz vor der Begegnung mit Ihnen den Auftrag erhalten, eine verwirrte, aus einem Heim entflohene Person in sommerlicher Kleidung und Sandalen (die Temperatur betrug nur +3 Grad) zu suchen und zurückzubringen. Sie halte sich momentan auf dem nördlichen Perron 2 im Bahnhof auf. Der Zufall wollte es, dass dann ausgerechnet Sie sich zu Ihrem Pech dort aufhielten. Auf solche Meldungen aber ist es die Aufgabe der Bahnpolizei, den Sachverhalt sauber abzuklären, um sicher zu sein, dass sich der Kunde nicht selber gefährdet. Diese Abklärungen dauern in der Regel zwischen 30 bis 60 Minuten. Im vorliegenden Fall lag die benötigte Zeit bei ca 30 Minuten, als die Polizisten bei Ihrem Arbeitgeber in Zofingen nachgefragt haben.

Herr Oelting, ich hoffe, Sie müssen auf Bahnreisen nie mehr so etwas erleben.

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Irgendwie finde ich die Reaktion Bahn bessser als das, was sich die Stadtpolizei Renens erlaubt hat. Einen Sandalenträger habe ich übrigens nicht gesehen. Wenn die Polizei bei meinem Arbeitsgeber angerufen hat (ich hatte meine Visitenkarte dabei), wird sie nur den Portier erreicht haben, es war ein Samstag. Mich hat auch keiner von den "oberen Siechen" in unserem Unternehmen auf den Vorfall angesprochen.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen


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