Alptraum-Schulfach Deutsch, fleißige & BF-freundliche Lehrer & Orthografie (Hobby? Barfuß! 2)

Markus U., Stammposter, Tuesday, 10.07.2007, 15:46 (vor 6283 Tagen) @ Jay

Hi,
wie längst bekannt, kam ich in den späten golden 70s mit viel Glück durchs Abitur. Die Einführung der Kollegstufe stellte die Schule vor immense administrative Aufgaben; da das Gros der "Kollegiaten" meist nicht mehr zum Fixzeitpunkt 8 Uhr morgens einrückte, hatte es die Schulleitung aufgegeben, ihr wachendes Auge vor allem auf das Entree´ von Oberschülern zu richten (sie galten zu Recht als die Unzuverlässigsten in Sachen Befolgung des BF-Verbots).

Hi Jay,
wie Du weißt, gab es zu meiner Schulzeit in dem von mir besuchten Ratinger Gymnasium (1977 bis 1986) kein förmliches Barfußverbot, und auch sonst ist mir keine förmliche Kleiderordnung aus jener Zeit erinnerlich, aber dafür wurde sehr genau auf das Entreé auch der Oberstufenschüler geachtet, und zwar hinsichtlich vollzähligen und pünktlichen Erscheinens zum Unterrichte. Wenn jemand fehlte oder zu spät kam, wurde das sogleich in dem jeweiligen Kursbuche vermerkt. Über fehlende Schuhe gab es hingegen keinen Vermerk (weils bei uns nicht vorkam ;-))) *kicher*), denn es wäre dem Lehrkörper vermutlich egal gewesen. Als kleiner Sextaner hatte ich ja noch des Sommers barfüßig erscheinende Oberstufenschüler in nennensweter Zahl gesehen, aber nach 1980 war damit ganz ohne iregendwelche administrativen Maßnahmen der Schulleitung ziemlich schlagartig damit Schluß (vereinzelt mag es später wohl noch vorgekommen sein; ich habe nicht Buch darüber geführt, aber in unserer Jahrgangsstufe lief definitiv NIEMAND barfuß).

Tatsächlich erinnere ich mich meist nicht mehr, wie meine Prüfungen genau stattfanden. Da´s damals Mai oder Juni war, müßte ich sie eigentlich alle BF geschrieben haben, definitv weiß ich, daß ich mein Deutschabitur barfuß im sog. Großen Zeichensaal der Schule geschrieben & verhaut habe (3 "Punkte" = alte Note "5"). Das Fach war 3. Prüfungsfach & leicht, weil Grundkursfach, niemand nahm es ernst. So rückte nicht nur ich BF in der Vermutung ein, daß uns niemand deswegen die Teilnahme an der Prüfung verwehren konnte [während ich in der mündlichen Religionsprüfung (4. sehr bequemes Paukfach, man mußte nur bestimmte "Meinungen" zum Besten geben) höchstwahrscheinlich wg. Kundtun des "auf der richtgien Linie Liegens" irgendwie minimalbeschuht* war.]

Barfuß zu Prüfungen zu erscheinen, wäre mir niemals eingefallen, und zwar weder in der Schule noch später, auch bei meinem gegenwärtigen Studium nicht. Der Grund ist der, daß ich bei Prüfungen zu angespannt bin; der Lebensfreude- Faktor sinkt gewissermaßen unter den "kritischen Barfußgrenzwert", so daß dann auch bei mir "Minimalbeschuhung" angesagt ist, freilich nicht auf Rücksicht auf die Prüfer, sondern auf die eigene Befindlichkeit, oder ganz einfach ausgedrückt: Wenn ich mich unsicher fühle, gehe ich nicht barfuß, und bei Prüfungen fühle ich mich stets unsicher.

In meiner ersten 11. Klasse (Ehrenrunde wg. Latein & Geschichte) hatten wir einen Deutschlehrer, der sich überhaupt nicht um BF kümmerte. Er war überaus beliebt & nicht ehrgeizig ("was solls, ihr könnt doch alle Deutsch, habt es ja im Kindesalter gelernt") & arbeitete niemals daheim. 4 Klassenarbeiten mußte er pro Schuljahr schreiben, die korrigierte er selbstverständlich in der Klasse [in diesen Stunden war "Stillbeschäftigung" angesagt]. Es war sehr praktisch, denn offene Fragen konnten bequem geklärt werden. Nie werde ich die 'ambulante' Korrektur der letzten Schulaufgabe wohl ca. Juni/Juli 1975 vergessen (auch mein Sauf- & Drogenkumpan, die spätere BF-Häufigkeits-Platznr. 4, war selbstverständlich um diese Jahreszeit in seiner Stunde BF). Er sah kurz von seinem Pult zu mir auf:
"NN, i bin jetz grad bei Eahna. Des kon i grad ned lesn - schaung' S´amoi schney hea ?" [NN, ich bin jetzt gerade bei Ihnen. Da kann ich gerade was nicht lesen - schauen Sie einmal schnell her?]
"Ach, eine 3fach-Schlangenlinie. Das kann nur 'nun' heißen, weil andere Buchstabenkombinationen aus n & u keinen Sinn machen."
"A ja. Dangsche." [Ach ja. Dankeschön.]
Vorher war bereits jener bereits erwähnte, auch oft BFige & extrem langhaarige Mitschüler 'drangekommen, der übrigens gemein aggressiv aussah & in Wirklichkeit ein sehr freundlicher Mensch war. Er war noch seltener in der Schule als ich (ging als absoluter Rekordinhaber in die Schulgeschichte ein), weil nur im Wirtshaus (hatte trotzdem ein besseres Abitur als ich).
Auf einmal ging der Lehrer zu Schriftdeutsch über, was er sonst nie tat:
"Ich hab hier einen Absatz...Was soll das heißen? Was wollen Sie damit sagen?"
Mein Kumpan watschelte heraus (er hatte eigenartigerweise einen solchen Gang, wenn er barfuß lief), kraulte sich am Hinterkopf & sagte:
"Ja mei...jetz nach 3 Wocha...des is a so kompliziert...i woass jetz a nimmer..." [jetzt, nach 3 Wochen...ich weiß es jetzt auch nicht mehr]
"Schon gut." Er machte eine senkrechte rote Schlangenlinie am Rand und ein Fragezeichen daneben. "Nacha kumma grad no auf an 3er." [Danach kommer wir gerade noch auf die Note 3].

Welch ein angenehmes Lotterleben, dem Du da verständlicherweise nachtrauerst. Bei uns war das, was du da schreibst, ganz undenkbar, und ich nehme die Berichte aus Deiner Schulzeit immer wieder staunend zur Kenntnis.

Meines Erachtens sollte "Deutsch" kein Grund sein, sich hier zu streiten. Sokkenlosigkeit stört mich genausowenig wie Sockenlosigkeit, & Ziffern & Zeichen haben doch riesige Vorteile. Ich bin gegenwärtig gar nicht darüber informiert, was jetzt eigentlich korrekte Rechtschreibung ist; die Mehrzahl meiner zahlreichen Bücher ist alt. Die Rechtschreibreform hat nun einmal stattgefunden; Hauptsache, man kann den Text inhaltlich & begriffsmäßig [= Wörter als Begriffs/Bedeutungsträger] nachvollziehen.

Ich kann in der sogenannten "Rechtschreibreform", die in Wahrheit eine Schlechtschreib- Deform ist, keinen einzigen Vorteil, dafür aber sehr viele Nachteile entdekken, denn dadurch ist unsere schöne deutsche Muttersprache bis zur Unkenntlichkeit verhunzt und verunstaltet worden. Vor allem aber bringt es mich auf die Palme, daß diese Deform (mit "D", jawoll!) uns gewissermaßen handstreichartig und ohne jeden vernünftigen Zweck nur um ihrer selbst willen (weil irgendwelche Fuzzi's sich damit ein Denkmal setzen wollen) übergestülpt wurde, ohne daß man "ordentlich" dagegen hätte vorgehen oder sie verhindern können! Als Barfüßer (und damit komme ich zurück zum Thema) bin ich jedoch freiheitsliebend, so daß ich mir das nicht einfach so bieten lasse, sondern unter bewußter Nichtkenntnisnahme und weitgehendem Boykott (Totalboykott kann ich mir leider nicht leisten, weil ich meine Gesetzbücher immer wieder erneuern und bald auch wieder neue Kommentarliteratur anschaffen muß) so heftig wie möglich dagegen anbollere.
Was ich auch nicht verstehe, ist die Behäbigkeit der meisten Deutschen: kaum jemand liebt die Schlechtschreib- Deform, aber nach einem gewissen anfänglichen Murren fügen sich schließlich die meisten, weil es ja schließlich "von oben" befohlen worden ist, in dumpfem Untertanengeiste. Aber in demselben Geiste tragen die meisten Zeitgenossen ja auch Schuhe, ohne darüber nachzudenken, warum sie es tun, und gukken (falls sie es überhaupt mitkriegen) deppert aus der Wäsche, wenn sie jemanden barfuß laufen sehen...

Barfüßige Sommergrüße,
Markus U.


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