Selbstbewußtsein / Autistisches Prinzip (Hobby? Barfuß! 2)

Jay, Stammposter, Friday, 18.05.2007, 13:30 (vor 6336 Tagen) @ Ulrich (Berlin)

Hi Ulrich,
dies ist eine der schwierigsten Repliken, die ich seit Kennenlernen dieses Forums je sozusagen schreiben mußte. Die Nacht, in der ich Ursprungsbeitrag, auf den sich deine Replik bezieht, 'reindrückte, schlief ich extrem schlecht (einer meiner Industriehauptkunden in D bekommt eine neue Holding - er kennt mich bereits seit meiner KONTRON-Zeit, genau gesagt seit 1989 - was das wohl für meine Auftragslage & auch meine typische nichtwinters voll BFige Appearance dort bedeuten wird? Zum Arbeiten zu müde - zum Schlafen zu aufgekratzt. Was macht man dann als BF? Klar, man schaut ins Internet & ins HBF, liest & drückt zu jenem, was einen grad' besonders bewegt hat, seinen Senf 'rein (ich bin weit mehr repliken- als postingaktiv). Hätt' ich´s bloß bleiben lassen. Schon hat man Korrespondenzanforderung...ich hab' derzeit was ganz was anderes zu tun & wollte hier eigentlich 1 - 2 Monate Pause machen.
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Hallo Jay
Du hast völlig recht damit, dass ein gewisses Maß an Selbstvertrauen zum Barfußlaufen sehr wichtig und unglaublich hilfreich ist. Ich bin sogar der Meinung, dass das Selbstbewusstsein durch Barfußlaufen wunderbar trainiert werden kann.

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Tatsächlich meinte ich mit der These, daß man als BF irgendwo auch Autist sein muß, etwas anderes. Es ist vor allem eine pauschale Gleichgültigkeit, Wurschtigkeit dem gegenüber, was andere Menschen machen (und wie sie beispielsweise auf BF reagieren), Menschen sind für Autisten mehr [begrenzt] berechenbare Objekte als Subjekte. Selbstbewußtsein ist für mich ein ausgesprochen unscharfer Begriff. Ich bin ein extrem technisch-mathematisch denkender Mensch, bei mir muß z. B. Selbstbewußtsein = Selbstrealismus sein. Ich bin gezwungen, genau zu wissen, wie schnell oder wie leistungsfähig ich bei diesem & jenem bin. Autisten sind die geborenen BFs. Wikipedia schreibt gegenwärtig:
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Es gab zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Vorstellungen über die Entstehung von Autismus. Im zaristischen Russland etwa glaubte man, dass autistische Kinder als besonders religiöse Menschen zur Welt gekommen seien und sich freiwillig für ein Leben jenseits aller Konventionen entschieden hätten. Aus überlieferten Berichten weiß man, dass Autisten in Lumpen durch den russischen Winter liefen, ohne sich vor der Kälte zu schützen. Sie sprachen selten, ihr Verhalten erschien merkwürdig und sie missachteten Gesetz, Ordnung und soziale Regeln. Man nannte sie deshalb "heilige Narren" und glaubte, ihr Verhalten verschlüssele göttliche Botschaften.
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& selbstverständlich liefen sie nicht nur in Lumpen, sondern zusätzlich BARFUSS (eine erweiterte Darstellung findet oder fand sich im Web, ich hab' grad' 'rumgestochert, diese Sache auf die Schnelle aber nicht mehr ums Verrecken gefunden). Eugen hat hier einmal ca. zu Jahresbeginn einen sehr schönen Beitrag [wenn ich etwas gut finde, dann schreibe ich das auch, egal wer hinter dem Geschriebenen steckt] mit russischer Kunstmalerei 'reingesetzt, die Bilder belegen eindeutig, daß vor allem arme Kinder in РОССИЯ (in CCCP wohl nicht mehr, totalitäre Systeme bekämpfen BF) wohl außer, wenn für Extremkälte noch Schuhe zur Verfügung standen, wohl immer BF liefen. Ich hab' selbst einen mächtigen autistischen Einschlag in meiner Persönlichkeitsstruktur (darauf führe ich z. B. zurück, daß ich NIE Hemmungen gekannt habe, in der Öffentlichkeit BF zu laufen, aber keinesfalls wg. Selbstbewußtsein [das hab' ich nämlich gar nicht, auch nicht Personality, seit Drogen noch weniger]). Mit Selbstbewußtsein ist das so eine Sache. Es gibt auch viele Arrogante, die haben ein enormes Selbstbewußtsein - bloß stimmt es nicht mit der Wirklichkeit überein. Sie wissen hinten & vorn nicht, was sie wirklich 'draufhaben & was nicht.
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Ich bin aber auch immer wieder über Äußerungen von dir überrascht, wodurch es mir einfach nicht gelingen will, deinen Charakter irgendwie einzuschätzen. Prinzipiell halte ich dich ja doch für einen eher selbstbewussten Barfüßer...

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Wir werden uns auf jeden Fall auf dem Streetlife-Festival sehen & ich freue mich gerne auch auf ein längeres, ausführliches Gespräch. Ich will jetzt gar nicht groß 'rumreden, sondern kann einfach folgendes sagen: Du machst dir bei dieser Gelegenheit am besten dein eigenes Bild über mich, das ist im übrigen eine sehr sichere Sache. Wer mich kennt, weiß, daß ich keinerlei schauspielerisches Talent habe, du erlebst mich also wirklich so, wie ich WIRKLICH bin. Es ist anders, als meine "Schreibe" vermuten läßt, tatsächlich bin ich sogar eher schüchtern & introvertiert, mitunter sogar sehr wortkarg, insgesamt schwer beschreibbar.
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...aber dann kam dieser Absatz:

Vielleicht kannst du sie aber wg. "Vorzeigbarkeit" damit beruhigen, daß es letzten Endes nur darum geht, zu zeigen, DASS IHR GELD HABT! Bist du Raucher? Es gibt hervorragende oberflächenvergoldete Imitate von Cartier- oder Dupont-Feuerzeugen, die sich hervorragend als Zusatzaccessoire zur Armbanduhr "Rolex Oyster Perpetual Datejust" (kostete 1989 im Original 28000 DM, meine kann nur vom Gewicht her vom Original unterschieden werden & kostete 15 New Taiwan-$) eignen; die Welt, die auf so etwas schaut, hat meiner Meinung nach nichts Besseres als Bluff verdient. Es kommt darauf an, daß man als Barfüßer die Insignien von GEHOBENEM Kapitalismus zeigt, man signalisiert: Die Dimension "Kleidung" hab' ich nicht mehr nötig. Beim Auto (gibt bekanntlich keine Imitate) hab' ich nicht grundlos bis zur finanziellen Verblutensgrenze hochgerüstet, es hat sich bestens bewährt.

Wer wirklich selbstbewusst ist, der braucht doch nicht solche Accessoires, um zu zeigen, dass er Geld hat! Geht es fremde Leute etwas an, ob du nun Vermögen hast oder nicht? Möchtest du Einbrecher zu dir locken? Wie es sich bewähren kann sich die teuersten Autos "bis zur finanziellen Verblutensgrenze" anzuschaffen, ist mir schleierhaft. Selbst kleine Gebrauchtwagen sind üblicherweise teurer als ein paar Schuhe. Welcher halbwegs intelligente Mensch sollte also annehmen, dass du dir keine Schuhe leisten kannst und das Geld nur für einen Kleinwagen reicht? Meinst du, wenn du ein paar tausend Euro weniger für deinen Wagen ausgegeben hättest, würden dich die Leute für verarmt halten, weil du dir Schuhe anscheinend nicht leisten könntest?

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Längst hat man gemerkt, daß diese Kapitalismus-Insignien-Show einfach ein komplett vorbereitetes System ist, in das der BF-Gegner 'reinrennt (ich will mich damit nicht ständig stressen, sondern hab' es im Laufe der Jahre kontinuierlich ausgebaut & weiterentwickelt, um es ggf. ohne viel GRÜBEL GRÜBEL anzuwenden). Weshalb ich teilweise von Psycho-K.O.-Schlägen spreche & auf BF-Gegnerisches je nach Situation u. U. BRUTALST reagiere, hat folgenden Grund:
Seit nunmehr knapp 33 Jahren laufe ich - sofern es draußen nicht kalt ist - fast ständig BF. Zwar sind mir noch nicht viele "dumme" Ansprachen von BF-Gegnern vorgekommen, aber ich habe Angriffe auf meine BFigkeit oder auf mein Outfit stets als schweren Angriff auf meine Gesamtpersönlichkeit empfunden, so wie ich auch auf Kleider- & Frisurvorschriften äußerst allergisch, neurotisch & psychotisch reagiere. Das Pseudonym "Descalzar" hätte ich für mich genauso verwenden können, so tief ist BF bei mir in der Persönlichkeit verwurzelt, ich glaube, bestens zu verstehen, weshalb jener Schreiber diesen Namen für sich gewählt hat - trotz ein paar krasser Gegensätze dürfte er mir unter den (wenn auch nur von der "schriftlichen Konversation") bekannten Personen dieses Forums am meisten ähneln.
Inszeniertes, genau geplantes theatralisches Showgebaren hat vor allem meine Mutter gerne praktiziert, während mein Vater ein introvertierter Denker war (Dr. der Philosophie). So mußte ich einmal mit 21 Jahren (im Sommer 1979) in vollem Schlips & Nadelstreifen [fungierte zusätzlich als Anti-BF-Sicherheitsmaßnahme, weil nach meinem Dafürhalten Anzug & BF bekackt aussieht] auf irgendeine Familienfeier (es war glaube ich die Firmung eines Cousins), mir war außerdem strengstens verboten, zu erwähnen, daß ich in Wirklichkeit niemals so 'rumlief - Teile der Firmario wußten außerdem längst um mein [Nichtwinter-] Permanent-BF. Beim nachmittäglichen Kaffeeklatsch brach ich die Diskretion. Show hin. Meine Mam' schrie genauso 'rum, wie wenn ich gleich in Jeans, T-Shirt & BF gekommen wäre (übrigens sind meine Firmario größtenteils sehr lockere Leute, die mich unterstützten "laß ihn doch, geh zu, bei dieser Hitze" - ich war unter den jungen "Herren" der absolut "best"gekleidetste).
Insgesamt finde ich es aber auch eine Unverschämtheit, wenn sich jemand erlaubt - noch dazu vor weiteren Passanten in der Öffentlichkeit - an meinem BF oder meinem sonstigen Äußeren herumzumäkeln.
Halten wir es daher ruhig am besten mit dem von Markus U. geprägten Pauschalsatz: Man hat insbesondere wildfremde Leute nicht wg. ihres Äußeren zu kritisieren. Das sollten Eltern schon ihren Kleinstkindern beibringen.
Ferner hat es schon etwas für sich, wenn manchmal zynische BF-Gegner schon fast mit dem Finger auf einen zeigen & am Parkplatz erwartungsvolle große Augen machen, in was für ein Fahrzeug man einsteigt. Vor langem hatte ich einmal diesen Fall. Neben meinem Mercedes 500 SEL (W126) stand ein verrosteter Fiat Panda. Die Blicke eines "kultivierten" Ehepaares in Nerz & Maßanzug weiteten sich freudevoll, weil sie nach Ziehen des Schlüssels bis zum Schluß hofften, ich würde die Beifahrertür des Panda ("Die tolle Kiste") aufsprerren. Statt dessen sperrte ich die Fahrertür meines 500 SEL auf. Mit gramerfüllten, zerissenen Gesichtern wandten sie sich ab & sahen hocherhobenen Hauptes geradeaus, als ich an ihnen vorbeifuhr. Was hatten die bloß? Der 500 SEL ist doch auch eine tolle Kiste. Übrigens fahre ich diese 4räder primär deswegen, weil ich das Fahrfeelling & -handling dieser Schiffe mag, ich bin z. B. überhaupt kein Sportwagentyp.
Genug davon. Es geht einfach darum, bestimmte verheißungsvolle Erwartungen von BF-Gegnern eben einfach überhaupt nicht funktionieren zu lassen. Ganz falsch ist gespielte Coolness. Das Prinzip souveränen BFigen Auftretens in der Öffentlichkeit besteht meines Erachtens mehr darin, beim Beobachter eine unnahbare, mehr geheimnisvolle, alles andere als ärmlich wirkende "Welt" zu "erzeugen", aus der er nicht so recht schlau wird.
Abschließend darf ich betonen: Niemand wird von mir am Auto oder an der Kapitalstärke gemessen. Bei mir ist der Mensch Mensch, jeder der mich kennt, weiß es & jeder, der mich kennenlernt, wird es erfahren.
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Und wenn schon. Mir wäre das egal, denn Leute, die so dusselig sind, interessieren mich nicht. Diejenigen, die mich kennen, wissen wer ich bin, und wer mich wegen meiner Barfüßigkeit für verarmt hält, kann nur belächelt werden.
Vielleicht ist es doch eher ein Zeichen für Selbstbewusstsein, wenn einem die unsinnigen Gedanken anderer Leute egal sind, als wenn man sich extra zur Vermeidung solcher Gedanken teure Autos, Fotoapparate oder sonstiges zulegt.

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Das ist auch bei mir in letzter Instanz so, weil ich selbstverständlich auch schon verloren hab' (& dann braucht man als Selbstbewußtsein das berühmte dicke Fell, wenn nichts anderes mehr übrig bleibt als die Alternative, sich auszuweinen oder die Sache insbesondere aus ihr LERNEND wegzustecken). Es gibt auch hochintelligente, argumentationsclevere BF-Gegner, allerdings ganz selten. Es ist im wesentlichen ein Spiel, das ich mit blöd daherredenden Personen spiele - warum soll ich mich noch dazu in Gegenwart Dritter blöd anreden lassen, ohne blöd zurückzureden? Ich möchte mich nicht besser machen, als ich bin - nochmals darf ich betonen, daß die von 'Anfängern' oft bewunderte Schlagfertigkeit im Blöd-Zurück-Reden, wenn 'Erfahrene' dumm angeredet werden, auch bei mir nicht unwesentlich auf Zurückgreifen auf ein in der Gehirnsoftware bereits bestehendes Repertoire, ggf. mit situationsbedingtem Abwandeln hiervon, beruht.
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Da kann ich nur das Selbstbewusstsein eines Michael aus Zofingen bewundern, der mit einem Minimum an Kleidung und ohne irgendwelche teuer wirkenden Accessoires ganz selbstverständlich durch die Gegend reist ohne sich darum zu kümmern, was andere über ihn denken.

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Das führe ich wiederum einfach auf eine Pauschalgleichgültigkeit zurück. Selbstverständlich möchte ich mir keinesfalls erlauben, Michael aus Zofingen Autistisch-Interpretatorisches nahezulegen, die Erfahrung lehrt jedoch, daß Autisten oft Naturwissenschaftler/Techniker werden, weil sie sich mit Sachen & nicht mit Menschen beschäftigen.
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Also trainiert euer Selbstbewusstsein, dass ist die beste Waffe gegen dumme Bemerkungen beim Barfußlaufen.

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Stimmt zweifellos, was die Nonchalance beim 'Rauslassen entsprechender Gegen-Sprechblasen anbelangt. Es ist eine, aber nicht die alleinige Voraussetzung für Kreativität beim Erzeugen derselben. Sicher trainiert auch BF-Gehen das Selbstvertrauen per se (wie deinerseits oben erwähnt) - man müßte sich einmal fragen, ob sich betonte schuhversessene Psychopathen ohne Schuhe z. B. auch schutzlos fühlen. Mir haben jedenfalls (außer in RATIONALEN Situationen wie extreme Kälte oder z. B. 'Rumwaten in Säurebädern) Schuhe noch nie ein Feeling von Schutz & Sicherheit gegeben. Würde man hier auf sämtliche Psychologismen der Barfüßigkeit eingehen, könnte man Postings der 50 - 100 fachen Länge von normal schreiben. Das will ich aber nicht tun, da ich schon wieder extrem lang geworden bin.
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Viele Grüße
Ulrich

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Bis zum Streetlife, auch von mir (ich wollte eigentlich in diesem Monat nur passiv [lesend] am HBF teilnehmen).
Jay
PS: Deinen schönen Reisebericht mit den ansprechenden Fotos aus Brandenburg hab' ich selbstverständlich gelesen. Ich schweige bloß meistens dazu, weil ich einfach pauschal kein Barfuß-Wanderinteressierter, sondern einfach ein BF-Alltagsmensch bin, der zum Wandern außerdem zu faul ist.


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