Barfuß & unschönes Latein (Hobby? Barfuß! 2)
Hi Jay!
Vielen Dank für die ausführliche Replik!
Nach München komm ich allerdings nicht; meine "Aktivitäten" müssen sich aus zeitlichen Gründen dann doch auf Aktionen im Rheinland beschränken, die von mir aus in relativ kurzer Zeit erreichbar sind (und von denen gibt es demnächst ja auch schon einige).
Ich gehe hauptsächlich auf Deinen ersten Abschnitt ein. Zunächst mal Thema "Barfüßigkeit, innerer Protest und freie Denkweise": Ich war in den 80ern auf der Schule, Zeit des Kalten Kriegs und einer ziemlich deutlichen politischen Polarisation. Der einzige Schüler, der dort barfuß war (allerdings nur im Hochsommer, und auch dann mit Ökoschlappen an der Jutetasche hängend, also nicht gerade hardcore), war ein ziemlich alternativ eingestellter Schüler, der übrigens auch gerade mit dem Lateinlehrer trefflichen Zoff hatte (nicht primär wegen Barfüßigkeit, sondern ziemlich unverhüllt wegen politischer Sachen, der Lateinlehrer war CDU-Ratsherr und auch nicht gerade abgeneigt, ihm politisch mißliebige Schüler diskret zu diskriminieren, und so hatten sich zwei Feindbilder gesucht und gefunden; übrigens wüßte ich nicht, daß man dem Schüler das Barfußlaufen entweder vonseitens dieses Lehrers oder eines anderen oder der Schulleitung verboten hätte, es war auch nur eine ziemlich unbedeutende Facette in einer politischen Konfliktsituation).
Was ich persönlich an dieser Zeit sehr unschön fand, war die extreme duale Polarisierung, die sich bis in Äußerlichkeiten niederschlägt: Wer in dieser Klasse barfuß gewesen wären, hätte in dieser politischen Auseinandersetzung (was nicht heißen soll, daß man wirklich viel über Politik diskutiert hätte, man hatte halt verschiedene Anschauungen und trug sie ziemlich äußerlich zur Schau) ganz klar Stellung bezogen. Mehr noch: Barfuß war irgendwie Teil eines Weltbilds, das damals irgendwas mit alternativ und ökomäßig, aber auch mit "Null-Bock-Haltung" zu tun hatte. Politisch war ich persönlich nie besonders interessiert, ob einer nun links oder rechts steht, ist für mich heute noch kein wirklich interessantes Klassifikationsmerkmal, aber diese ablehnende "Null-Bock-Haltung" war nie mein Ding, und vielleicht bin ich (und vielleicht auch andere) deshalb nie barfuß gewesen, weil ich eben Angst vor solcher schematischer Einordnung hatte.
Und in der Hinsicht scheint sich heute doch manches ein wenig weiterentwickelt zu haben, derart, daß man nicht mehr so einfach an bestimmten Äußerlichkeiten die Haltung eines Menschen ablesen kann (etwa barfuß oder langhaarig = öko-alternative Nullbock-Haltung, übrigens müssen Leute, die "alternativ" sind, auch nicht weltverweigernd sein, solche Klischees haben sich aber damals entwickelt, weil eben Umweltschutz ursprünglich Protesthaltung war). Kurz, ich bin froh, daß es solche Klischees, die binäre Kriterien auf Typen verteilen, heut nicht mehr (oder zumindest nicht mehr so ausgeprägt) gibt. Und was mich an Deinen Äußerungen eben etwas störte, ist, daß dort solchedort Klischees (in die ich mich einfach nicht subordinieren möchte) mitunter fröhlich weiterzuleben scheinen. Du scheinst mir irgendwie diese klischeehafte Konfrontationsmentalität der 80er Jahre (oder vielleicht aus noch früherer Zeit) konserviert zu haben und manches von den in ihr thesaurisierten Vorurteile. Und im übrigen find ich es auch nicht so schön (dies zu "free your feet etc"), Barfüßigkeit irgendwie als Merkmal einer "neuen" freien Denkweise zu nehmen. Warum soll jemand, der lieber ein schützendes Stück Kunststoff/ Leder unter den Füßen hat, weniger frei oder konstruktiv denken als derjenige, der dies nicht hat? Damit baut man doch m.E. wieder ein fragwürdiges Barfuß-Klischee auf, dem Barfußgegener dann - mit gleicher Borniertheit - entgegensetzen können, daß aus ihrer Sicht die paar Milimeter Sohle eben den "kultivierten" Menschen ausmachen.
Und noch eine kurze - off-topische - Anmerkung zu Caesar: In dessen Werken sieht man in moderner Forschung in der Tat nicht mehr das Kriegstagebuch für die Militärakademie, sondern gezielte und subtile Versuche der Selbststilisierung, die natürlich auch auf Beeinflussung der Öffentlichkeit angelegt sind. Ich selbst bin kein Caesar-Freund und kenne diese Tendenzen der modernen Forschung nur ziemlich von außen. Aber auch hier sind die Verhältnisse innerhalb der lateinischen Literatur sehr viel vieldimensionaler. Es gibt z.B. einen Dichter Catull, der Caesar auch als "Stinkstiefel" ansieht, ihm Machtkorruption und dazu noch sexuelle Perversion nachsagt und deutlich bekundet, daß ihn dessen Persönlichkeit nicht die Bohne interessiert (was damals zu Caesars Lebzeiten so deutlich zu äußern einiges an Courage erfordert). Und gerade dieser Dichtungsrichtung (Neoterik) ist auch eine grundsätzliche Abneigung gegen die große Politik und das Militär gewissermaßen als Stilmerkmal zueigen. Leider ist das sprachlich etwas schwieriger als Caesar selbst, und daher muß letzterer immer wieder (weil er eben sprachlich so schön klassisch ist) als Anfängerlektüre herhalten. Daß Caesar auf Latein-Anfänger inhaltlich interessetötend und ab-turnend wirkt, ist in der modernen Didaktik wohl ziemlich bekannt. Aber wenn man eine caesar-fremde Anfängerlektüre finden will, muß man schon etwas kreativ sein.
Gruß, Guenther