Hi!
Dieser Beitrag ist aus meiner und sicher auch aus allgemeiner Sicht besonders erfreulich, zumal in diesem Forum ein deutliches West-Ost-Gefälle herrscht, d. h. man liest kaum etwas aus den sog. Neuen Bundesländern.
Dresden hat in meinen biografischen BF-Erinnerungen einen ganz besonderen Platz. Kurz, so wie die Stadt und ihre Menschen jedenfalls 1992 'drauf waren, war es für mich als BF-Freak ein Paradies. Aspekte (kann ich wg. Länge nur im Zeitraffer-Telegrammstil darstellen):
1992 war ein sehr heißer, regenarmer Sommer. Tatsächlich kenne ich DD überhaupt nur barfuß, nie hatte ich auch nur im Auto jemals Schuhe mit. Es war das 1. Jahr meiner beruflichen Selbstständigkeit und mein 1. Großprojekt als eigenständige Fa. Da gab es eine Fa. in der Lingneralle 3 ganz in der Nähe des einstigen Dynamo-Stadions: Was so bescheiden "Meßelektronik Dresden" hieß, war einst nichts Geringeres als immerhin das berühmte Kombinat "Robotron", worin u. a. immerhin gebaut wurde:
* Die Elektronik für die sowjetische Raumstation "Mir";
* Technologien, anhand der (signaltheoretischen) Auswertung von Ächz- u. Knarzgeräuschen sowjetischer Erdgas- u. Erdölpipelines drohende Leckage- u. Bruchstellen zu antezipieren (gingen verloren!)
Zwar hatte der einst real existierende Sozialismus in den Laborbereichen "geschlossenes Schuhwerk" vorgeschrieben und die Belegschaft hatte sich dem nach der "Wende" erfolgreich entledigt (viele machten Quasi-BF meist in Berkemanns), die Art, wie eine der technisch-wissenschaftlich feinsten Firmen des gesamten Ostblocks von unfähigen "Besserwessis" "abgewickelt" wurde, war ein Skandal. Weitere Details wären hier zu off-topic.
Wahrscheinlich ist heute DD wesentlich anders als vor 15 Jahren. In Deutschlands wildem Osten herrschte damals eine hyperliberale Pionier- u. Aufbrauchsstimmung (kein Anzug, keine Krawatte? Barfuß? Völlig egal!), Braunes wäre undenkbar gewesen. So lernte ich das kennen. Dresden war BF-Paradies u. Abenteuer zugleich, ein paar Erinnerungs-Facetten:
* Barfuß autofahren ist schön. Noch schöner, reizvoller und auch abenteuerlicher war es in DD (ich hatte damals ein Mercedes SL-Cabrio), weil sich ständig Straßen und Straßenbahnschienen auf bizarren, verschlungenen Wegen vermengten und man mußte ständig nach allen Seiten schauen, ob nicht einer der (im Vergleich zur Münchner Tram) rasend schnellen und geradezu irrwitzig beschleunigenden gelben Straßenbahnzüge in die Quere kam, das war aufmerksames, sportliches BF-Autofahren pur!
* die welligen, chaotisch mit zerbrochenen Platten übersäten Gehsteige (darunter wuchs Grünzeug hervor) waren eine interessante BF-Welt. Charakteristisch: Auch bei prallem Sonnenschein und fast 40° war dieser Untergrund niemals zu heiß. Ebenso vielfältig: die vielen Altbauten mit ihren teils gekachelten, teils Stein-, teils Holztreppenhäusern und Linoleumfußböden etc.
Chaos im "Dschungel": ich mußte regelmäßig durch eine "Stübelalle(?)" fahren, DD war damals stark "bewaldet". Die Straßenbeleuchtung (kunstvolle, altertümliche Laternen) brannte Tag und Nacht...
* "Soziologische" Probleme wg. BF? Nie. Hotels gab es 1992 nicht viele, statt dessen besorgte eine "Zimmervermittlung" ein Übernachtungsquartier. Man bekam eine Tel.nr. und fuhr zur Besichtigung des "Zimmers" hin. Ich war in wildester Montur, meine Matte war ultralang, Rasieren war mindestens 1/2 Wo her, hatte eine gequälte Jeans (sonst klar, BF) u. ein schwarzes Achselshirt an
und traf auf ein nicht mehr junges Ehepaar, das mir -ohne mit der Wimper zu zucken- irgendwelche einstigen Privatgemächer überließ. Das "Zimmer" war eine komplette Suite im 17.(!) Stock eines Plattenbaues in der Reitbahnstr. mit Riesenwohnzi, Balkon (mit traumhaftem Blick auf ganz DD), getrennter Dusche & Bad für 15,- DM pro Tag überließ. Abgesehen davon, daß die Plastikwasserhähne u. WC-Bewässerungsventile ständig tropften, war das eine eigentlich luxuriöse Wohnung. Der riesige Wohnzimmerschrank war voll mit niveauvoller Literatur aller Sparten und Schallplatten erlesener klassischer Musik, ich konnte dieses Kulturangebot gar nicht ausschöpfen. Heute ist dieses Building abgerissen.
Ob abends in den Straßenrestaurants in der Prager Straße (da gab es auch irgendwelche Wasserspiele, neben die man sich bequem hinflacken konnte) oder, als dann Mitte August eine kurze tropische Regenzeit kam, als BF-Gast im feinen Hotelrestaurant "Newa" (bedient von mehreren Kellnern im Livree!), nie hatte jemals irgendwer mein Outfit kommentiert...ich darf mein Ehrenwort geben, daß das wahr ist.
Über alles, was ich 1992 in DD erlebte, ließe sich ein Kurzroman schreiben, um nicht ins Schwärmen zu geraten, muß ich hier zum Ende kommen.
Heute dürfte das alles wesentlich anders sein. Es fing damit an, daß man den "Sächsischen Landtag" mit vergoldeten Lettern beschriftete und sich Hr. Kurt Biedenkopf eine Toilette ganz für ihn allein, in Marmor und mit Goldarmaturen für DM 226 000,- bauen ließ.
Laß gerne wieder von dir hören, wie es heute in DD in Sachen BF ist.
Alles Gute für dich, Jay