Äpfel mit Birnen vergleichen? (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Tuesday, 19.12.2006, 10:00 (vor 6487 Tagen) @ Jay

Hallo Jay,

wenn man versucht, bestimmte Religionen als barfußfreundlicher oder barfußfeindlicher zu eruieren, besteht leider allzu leicht die Gefahr, daß man Äpfel mit Birnen vergleicht. Wie schon Pedro geschrieben hat, ist es von Land zu Land verschieden. Meistens ist man auf das Verhalten der Leute verschiedener Religionen im eigenen Land fixiert oder gar auf die Umgebung, in der man aufgewachsen ist. Wenn aus meinen bisherigen Erlebnissen der Eindruck entstehen könnte, Muslime wären gegenüber Barfüßern intoleranter und sogar gewalttätiger als "Christen", dann stimmt es nicht. Nicht alle Leute, die "europäisch" aussehen, sind Christen (manche fühlen sich als Christen, obwohl sie es "steuermäßig" nicht sind, andere zahlen Kirchensteuer, haben aber mit der Kirche nicht allzu viel am Hut).

Wenn man die Leute bzl. Barfußfeindlichkeit/freundlichkeit vergleicht, muß man noch mehr Dinge ins Kalkül ziehen. Erst wenn man Leute mit gleichem Bildungsstand und vergleichbarem Lohn usw., jedoch unterschiedlicher Religion miteinander vergleicht, könnte irgendwelche Rückschlüsse ziehen. Aber das ist meist nicht möglich. Leider ist es so, daß in Deutschland oder der Schweiz der Durchschnitt aller Ausländer mit muslimischer Religion eine tiefere berufliche Qualifikation hat als einheimische und auch stärker von Arbeitslosigkeit betroffen ist. Das macht unzufrieden, der Hang zur Gewalt wird höher. Und auch der das Verlangen, sich gegen Leute, die sie in der "Hierarchie" für noch tiefer halten, abzugrenzen. Die Religion an sich ist da Nebensache. Andere "verkrachte Existenzen", reagieren ähnlich, so etwa der "Hausammann" an der Uni, Bern, der es auf Dominik abgesehen hat oder der Türsteher vor einer Lidl-Filiale in Berlin oder auch eine Klofrau oder ein Penner. Und meistens ist es auch nicht speziell Barfüßigkeit, es kann auch ein anderes auffälliges Merkmal sein, z.B. Invalidität.

Hier in der Schweiz regen sich viele "Christen" darüber auf, wenn eine Stadt einer muslimischen Glaubensgemeinde erlaubt, ihre Moschee mit einem Minarett zu versehen. Mich persönlich stören Minarette überhaupt nicht. Ansonsten müßte ich mich auch daran stören, wenn in einem überwiegend katholischem Gebiet die evangelischen Kirchen einen Turm haben (und umgekehrt). In einem demokratischen Rechtsstaat hat nicht nur die "Hauptreligion" das Recht, ihre Gotteshäuser mit Türmen, Orgeln, Glocken oder was auch immer so auszustatten, wie es üblich ist, sondern jede, soweit dieses nicht auf Kosten der Allgemeinheit geht. Und wenn ich beim Betreten eines Gotteshaus egal welcher Religion von irgendeinem Menschen wegen barfuß gehindert werden sollte, dann bedeutet es noch lange nicht, daß die gesamte Glaubensgemeinschaft barfußfeindlich eingestellt ist, sondern in erster Linie dieser eine Mensch.

Offensichtlich spielt sich im Gehirn folgendes ab: Wenn ein Mensch irgendetwas macht (egal ob etwas schlechtes oder etwas gutes) und dieser Mensch fällt durch etwas bestimmtes auf, was eher ungewöhnlich ist, dann wird beides sehr leicht miteinander in Verbindung gebracht. Wenn in einem Kaufhaus an einem Wintertag etwa Schuhe und warme Kleidung gestohlen wurden und zufällig im oder vor dem Kaufhaus ein Mensch gesichtet wurde, der barfuß und in eher leichter Kleidung unterwegs war, dann wird dieser als erster verdächtigt. Aber nicht nur im Gehirn "der anderen", sondern auch (und manchmal sogar stärker) im Gehirn des Vertreters einer Minderheit gibt es derartige Gedanken. Ein Beispiel:

Ein großes Schweizer Unternehmen will zwei gut bezahlte Stellen besetzen. Total bewerben sich 30 Personen, alle sind von der Qualifikation her gleich. Alle Bewerber sind Schweizer Staatsbürger, nur einer ist Türke, jedoch in der Schweiz aufgewachsen und christlichen Glaubens (ja, das gibt es). Alles sind Christen, nur einer ist Jude. Unter den Bewerbern ist gerade eine Frau. Ein Mann hat eine schwarze Hautfarbe. Ein Mann steht politisch einer kommunistischen Partei nahe. Und einer läuft ganz zufällig in der Freizeit (und nur dann) barfuß. Wer wird eingestellt? Mit großer Wahrscheinlichkeit zwei Männer mit Schweizer Staatsbürgerschaft christlichen Glaubens. Beide sind hellhäutig, nicht kommunistisch angehaucht und tragen sogar in der Freizeit Schuhe.

Das ist Statistik. Aber aus Sicht der abgeblitzten "Minderheitenvertreter" sieht es ganz aus:

"Das Unternehmen ist frauenfeindlich!" sagt die Frau.
"Das Unternehmen ist ausländerfeindlich!" sagt der Türke.
"Das Unternehmen hat was gegen Juden!" sagt der Jude.
"Die Leute in dem Unternehmen sind Rassisten!" sagt der "Neger".
"Die Leute im Unternehmen sind Faschisten!" sagt der Kommunist.
"In diesem Unternehmen wimmelt es nur so von militanten Barfußhassern!" sagt der Freizeitbarfüßer.
Diese Leute bilden sich ein, daß ihre "Auffälligkeit" der Grund für die Nichteinstellung ist. Was meistens aber nicht der Fall ist.

Und was sagen die 22 Leute, die keiner Minderheit angehören und trotzdem die angestrebte Stelle nicht bekamen? Nichts!

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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