Bedauerliche Ignoranz (Hobby? Barfuß! 2)

Markus U., Stammposter, Monday, 21.01.2008, 23:50 (vor 6151 Tagen) @ Markus (Oberbayern)

War die Durchsetzung von Kleiderordnungen in Betrieben, sofern es nicht um staatliche Institutionen wie Bundeswehr und Polizei (Uniformen) handelte oder zwingende betriebliche Belange (Unfallverhütungsvorschriften; Schutz des Arbeitnehmers vor Verletzungen) es erforderten, früher nicht justitiabel, so gilt heute die Kündigung eines Arbeitnehmers, der sich solchen Kleiderordnungen nicht unterwerfen will, als gerechtfertigt.


Gibt es dazu Urteile? Etwa eines von früher und eines zum Vergleich heute?

In den siebziger Jahren gab es Urteile, denen zufolge Arbeitnehmer, welche sich internen Dienstanweisungen bezüglich der Kleidung nicht fügten, vor den Arbeitsgerichten obsiegten. Ausnahmen bildeten lediglich solche Betriebe, in denen die Arbeitnehmer uniformiert waren oder Unfallverhütungsvorschriften das Tragen spezieller Schutzkleidung erforderlich machten. Spätestens seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich dieser freiheitliche Trend leider umgekehrt.

Ein anderes Beispiel für die Entliberalisierung der Gesellschaft ist die Wiedereinführung der sogenannten "Kopfnoten" in den Schulzeugnissen nordrhein- westfälischer Schüler (während in meinen Grundschulzeugnissen nur drei "Kopfnoten" standen, sind es jetzt indessen deren sechs), damit künftige Arbeitgeber Auskunft über sogenannte "soft skills" bekommen und so schärfer selektieren können.


Das hört sich natürlich schlimm an, aber macht durchaus Sinn. Denn dann wird diesen ganzen rumpöbelnden Hauptschülern und pubertären Tokio-Hotels-Teenies, die Flaschen durch die Gegend schmeißen und sich mit Alkopops zudröhnen, andere Mitschüler verprügeln und mit dem Handy filmen (ich habe das jetzt mal bewusst plakativ gemeint), endlich mal gezeigt wo hier der Hammer hängt. Solche Leute haben es nicht anders verdient, als später keinen Job zu haben.
Währendessen werden die vernünftigen Schüler mit guten Kopfnoten belohnt und bekommen ihren Job.

Du machst es Dir sehr einfach. Was mußte ich mir früher zu Hause anhören, wenn in "Führung" (= "Betragen") nur "befriedigend" im Zeugnis stand! Ich war darum sehr froh, daß es nach meinem Wechsel auf's Gymnasium keine Kopfnoten mehr gab. Entsprechend groß ist bei uns im Nordrhein- Westfalen die Aufregung infolge ihrer (gegenüber damals sogar noch verschärften) Wiedereinführung. Erst heute hörte ich im Radio eine Sendung, der zufolge "befriedigend" in den Kopfnoten eigentlich "mangelhaft" bedeutet und daß Schüler, die nicht durchgehend "sehr gute" Kopfnoten erhalten, bei den meisten Arbeitgebern von vornherein chancenlos sind.
Natürlich heiße auch ich es nicht gut, wenn unreife Jugendliche Flaschen zerschmeißen oder lautstark über Barfüßer lästern (ich bin freilich eher selten "Opfer", weil ich bei Bedarf eine entsprechend finstere Miene mache), aber ein solches Verhalten führe ich eben auf die Unreife der Jugendlichen, auf deren Verschwinden mit deren zunehmendem Alter ich vertraue, zurück. Jemandem wegen entwickungsbedingter Unreife mittels Kopfnoten die Zukunft zu verbauen, ist unverhältnismäßig!
Zudem sind Kopfnoten kein geeignetes Mittel, unreife Jugendliche zu einem angemessenen Verhalten Barfüßern gegenüber zu bewegen, denn die Lehrer können ja nur solches Verhalten bewerten, das sie in der Schule beobachten; sie kennen ihre Schüler nur insoweit als diese sich ihnen gegenüber "zeigen". Auch habe ich die Befürchtung, daß barfüßiges Auftreten in der Schule (oder lange Haare bei Jungen, oder der Trend zu flippiger Kleidung, kurzum alles was auf mich einen sehr guten Eindruck macht) sich tendenziell äußerst ungünstig auf die alles entscheidenden Kopfnoten auswirken dürfte, so daß den Jugendlichen das, was wir Barfüßer uns von ihnen wünschen, noch mehr als bisher durch frühzeitig eingesetzten "Gegendruck" gründlichst ausgetrieben wird!

Es ist ein Unrecht, wenn jemand gegenüber der Not seiner Mitmenschen die Augen zukneift. Barfüßer sollten Menschen sein, die mit zwei offenen Augen und Ohren durchs Leben gehen und sich Mitmenschen in Not gegenüber offen und solidarisch erweisen (auch das gehört für mich zur barfüßigen Lebensphilosophie).


Man soll sich aber nicht so sehr mit Leid und Elend zudröhnen, dass man hinterher depressiv ist.

Gewiß nicht. Aber auf dieser Erde ist nun mal leider nicht alles tralala. Es gilt, solidarische Anteilnahme, wo sie angebracht ist, und genüßliche Aktivitäten, wo sie angebracht sind, in eine sinnvolle Balance zu bringen.

Es steht Dir nicht zu, darüber zu urteilen, was jemand, der einen Tafelladen aufsucht, dort zu empfinden hat und ob er dies barfuß tut oder nicht.


Ich gebe hier kein Urteil ab sondern habe versucht, eine Empfehlung abzugeben bzw. mich in Dominik hineinzuversetzen und ihm die Ängste zu nehmen, barfuß einen Tafelladen zu betreten. Der Meinungsfreiheitsparagraph unserer bundesdeutschen Verfassung macht das möglich.

Da hast Du allerdings recht, und es steht Dir frei, Deine Meinung zu äußern. Du hast aber keinen Anspruch darauf, daß Deine Äußerungen unwidersprochen oder gar beifällig aufgenommen werden. Lange habe ich überlegt, ob ich Deine Bekundungen ignorieren oder ihnen kräftig widersprechen soll. Ich habe mich für letzteres entschieden, auch deshalb, weil es meine Art ist, mich zu meinen Freunden und zu Werten wie Solidarität mit gesellschaftlich Benachteiligten sowie Freiheit zu bekennen.

Markus U.


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