Mentalitätsunterschiede bei Deuschen und Amis (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Friday, 19.10.2007, 13:41 (vor 6246 Tagen) @ Bastian aus Mönchengladbach

Hallo Bastian,

ich war bisher erst einmal in den USA, und zwar zu Zeiten, als ich noch nicht barfuß lief. Ich sah auch das Schild in einem Restaurant: "No shoes, no shirt, no service!" Meine Gedanken damals: Kaum jemand wird hier wohl barfuß erscheinen, der Boden draußen ist so unangenehm. Und ohne Oberbekleidung? Wäre ich auch sonst nicht gekommen. Ich interpretierte das Schild aber so, daß man in dem Restaurant einfach nicht bedient werden würde, wenn man barfuß oder/und ohne T-Shirt auftaucht. Auf den Gedanken, daß 4 schwerbewaffnete Security-Schergen einen unbewaffneten Barfüßer abführen (während zum Abführen eines bewaffneten und fett beschuhten Ladendiebes nur 2 Hilfssheriffs aufgeboten werden), hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber Lothar hat das ja erlebt und vor Jahren mal hier geschildert.

Nicht nur in Sachen Politik, sondern auch in Sachen (Fuß-)Bekleidung scheinen die USA ein Widerspruch in sich zu sein:
Ein Uniassistent, der für einige Zeit in den US-Bundesstaat Georgia war, sagte: "In das Land paßt du gut hin. Da kannst du das ganze Jahr über in kurzen Hosen laufen, und keiner sagt was.

Eine Arbeitskollegin dagegen erzählte, daß sie mal mit anderen im Disneyland war. Auf dem Parkplatz war die Sonne so heiß, daß sich einige Männer das T-Shirt auszogen. Prompt wurden sie von den Parkplatzwächtern gezwungen, sich ordentlich anzuziehen.

In einem Buch las ich, daß Amerikaner enorm prüde seien. Was stimmte nun?

Als ich dort war, sah ich in New York bei ca. 30°C sehr viele Leute (Männer und Frauen) in Sandalen ohne Socken, auch waren kurze Hosen/Röcke keine Seltenheit. Barfuß sah ich niemanden, Männer mit nacktem Oberkörper auch nicht. Im Central Park konnte ich mir das T-Shirt ausziehen, auch sagte niemand etwas, als ich so durch die Straßen ging. Als ich aber mit der U-Bahn fahren wollte, wurde ich von Bahnpersonal gezwungen, ein T-Shirt überzuziehen. Zu meinen kurzen Hosen und meinen nicht vorhandenen Socken sagte keiner was.

Bei nur 25°C war ich eine Woche später in Boston in einem Park. Dort war ich ähnlich gekleidet, zog sogar die Sandalen aus, um die Füße in einen Teich zu tauchen. Prompt tauchte ein berittener Bulle auf. Ich mußte die Füße aus dem Wasser nehmen. Ob ich Schuhe anziehen mußte oder es freiwillig tat, um wegzugehen, kann ich nicht mehr sagen.

Nach weiteren 2 Wochen (Ende September) in San Francisco, gerade 13°C. In der Schweiz oder in Deutschland wären die Leute überwiegend in "Winterkleidung" mit geschlossenen Schuhen rumgelaufen. Hier aber nur unwesentlich weniger sockenlose Leute in kurzen Hosen/Röcken als im wesentlich wärmeren New York. Auch fiel mir auf, daß es in den USA völlig egal ist, ob man "schön" oder "häßlich" ist: Auf die Kleidung hat es keinen Einfluß. Wenn ein dicker US-Bürger bei 13°C mit Krampfadern und verkrüppelten Zehen kurze Hosen und Sandalen ohne Socken tragen will, dann tut er es einfach. Kaum einer sagt: "Wie kann man nur!" Und die Polizei schreitet auch nicht ein.
In der Schweiz/Deutschland würde sich eine so gewachsene Person genieren, sich so in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Und wer es trotzdem macht, wird verspottet. Und auch die Polizei sieht bei solchen Personen eher einen Grund zum Einschreiten als wenn eine Sportkanone sich so gibt.

Wie ist diese Diskrepanz zu erklären. Gilt man in den USA, wenn man barfuß ist, bereits als "nackt", mit Sandalen aber noch nicht? Andererseits macht es ja auch nicht viel Unterschied, ob man Badekleidung trägt oder nicht. In Deutschland kann aber nur letzteres als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, ersteres nicht. Vielleicht liegt die Grenze zwischen "nackt" und "nicht nackt" etwas höher. Vielleicht werden Füße in den USA fälschlicherweise für Geschlechtsorgane gehalten, die mindestens mit Sandalen "bedeckt" werden müssen (oder gilt lediglich die Fußsohle als Geschlechtsorgan, der Rest des Fußes aber nicht?).

Wie dem auch sei, es macht sowieso keinen Sinn, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, was in einem Land, in dem es von Widersprüchen nur so wimmelt, logisch ist und was nicht.

Aber etwas positives bleibt dran: Auch wenn die Amis die Pfui-Grenze falsch gelegt haben, so finde ich es doch gut, wenn Leute, unabhängig von Geschlecht, Alter, "Schönheit" usw. nicht lange überlegen, was andere Leute denken könnten, sondern es einfach tun.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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