21. Urlaubstag, 1. Teil: Sinsheim - Bretten (Hobby? Barfuß! 2)
Donnerstag, 26.7.2007: Nun hieß es Abschied nehmen von meinen Gastgebern. Barfuß und mit den letzten bisher ungetragenen und somit noch sauberen (und nicht ausgefransten) Kleidungsstücken verließ ich mit dem Fahrrad die Große Kreisstadt Sinsheim. In der Melanchthonstadt Bretten war ich noch Lebensmittel einkaufen, eigentlich nichts besonderes. Als ich die eingekauften Dinge beim vor dem Laden abgestellten Velo einpacken wollte, entdeckte ich, daß die eine Packtasche (die schwerer beladene) etwas beschädigt war. Um den Schaden auf ein Minimum zu beschränken, lud ich die schweren Dinge in die andere Packtasche, bevor ich weiter radelte. Früher waren Packtaschen wirklich stabiler!
So machte ich mich auf den Weg. Ich dachte mir auch nichts dabei, als mir ein Polizeifahrzeug entgegen kam, kann ja immer mal passieren in einer Stadt. Aber weit gefehlt. Kurze Zeit später überholte mich dasselbe Polizeifahrzeug (oder war es ein anderes?) und fuhr dann so scharf an den Bordstein, daß ein Vorbeifahren rechts vom Auto nicht möglich war. Bevor ich überprüfen konnte, ob ein Vorbeifahren auf der anderen Seite möglich war, ohne mich selbst oder andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, waren die Polizisten ausgestiegen: ein dicker Fahrer, ein schlanker Mann mit Brille und eine nicht gerade schlanke Polizistin mit aufgedunsenem Gesicht. Sie nötigten mich zum Anhalten und zwangen mich, mein Velo auf dem Bürgersteig abzustellen. Nachdem ich mein schwer beladenes Velo mühsam über die recht hohe Bordsteinkante auf den Fußsteig befördert hatte, fuhr der Fahrer den Wagen an eine Stelle, wo er den übrigen Verkehr nicht mehr behinderte. Der bebrillte Beamte sprach mich an: "Wir erhielten eine Meldung, daß sich vor einem Supermarkt ein Mann ohne Schuhe und in kurzen Hosen ungewöhnlich lange vor einem wertvollen Fahrrad aufhielt und dann unsicher damit wegfuhr. Der Verdacht liegt nahe, daß diese Person das Fahrrad entwendet hat. Und die Personenbeschreibung könnte auf Sie zutreffen. Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen?" Während ich meine Ausweistasche aus dem Seitenfach der Packtasche kramte, wurde die Polizistin ungeduldig und rief barsch: "Wird es nun bald! Wir haben nicht ewig Zeit." Ich blieb ruhig und sagte eher leise und jede Silbe einzeln und akzentuiert: "A-ber bit-te nicht in die-sem Ton!" Ich gab dem bebrillten meine Schweizer Identitätskarte, dieser gab sie dann weiter an den Fahrer, der zurückgekommen war. Dieser sagte: "Aha, ein Ausländer! Genau wie wir vermutet haben. Sagen Sie ja nicht, daß das Ihr Fahrrad ist. Ein Mensch, der keine Schuhe und ärmliche Kleidung trägt, paßt wirklich nicht zu einem teuren Fahrrad! Sicher haben Sie auch mit den anderen Diebstählen teurer Fahrräder in dieser Gegend zu tun." Darauf entgegnete ich: "Das ist aber mein Fahrrad! Ich habe es erst vor wenigen Wochen gekauft." "Haben Sie denn die Kaufquittung?" fragte der Dicke. "Seit wann ist das denn Vorschrift, so etwas immer dabei zu haben? So etwas pflege ich immer zu Hause zu lassen." "Pflicht ist es nicht. Aber man kann sich erhebliche Schwierigkeiten einsparen, wenn man sie dabei hat", sagte der Beamte mit Brille.
Ich wies auf das Schutzblech, auf dem das Siegel mit Anschrift und Telefon meines Velohändlers klebte und auf die Haftpflichtversicherungsplakette, wie sie in der Schweiz Pflicht ist. "Haftpflichtversicherung für Fahrräder? Solchen Quatsch können Sie anderen erzählen, uns nicht", sagte die Polizistin, die mir von den dreien am allerwenigsten sympathische war (nicht weil sie eine Frau war und nicht wegen ihres aufgedunsenen Gesichtes, sondern wegen des Gesamteindruckes. Nach einiger Zeit sagte sie: "So etwas dummes ist mir noch nie begegnet. Stiehlt ein Fahrrad und trägt so auffällige Kleidung. Und dann noch barfuß!" Darauf entgegnete ich: "Barfuß Fahrrad fahren ist auch nicht verboten. Ich bin ohne Schuhe aus der Schweiz bis in die Gegend von Dresden geradelt und bin nun auf dem Rückweg in die Schweiz." "Erzählen Sie mir keine Märchen, aus dem Alter bin ich raus", sagte der Dicke. "Wer sich bereits beim Befördern des Rades auf den Bürgersteig so abquält, ist niemals in der Lage, so weite Strecken zurückzulegen. Sie sind doch nicht einmal in der Lage, mit dem Rad bis nach Karlsruhe zu fahren!"
Diese Beamten schienen nicht allzu viel Ahnung zu haben. Auch hatte ich den Eindruck, als ob sie nicht an einer zügigen Bearbeitung interessiert waren. Möglicherweise verzögerten sie das ganze, weil sie auf Verstärkung warteten. Kaum kam ein Polizei-Kleinbus in Sicht, da sprach der Bebrillte: "Wir müssen das Fahrrad zur Überprüfung auf die Wache nehmen." Zwei Beamte stiegen aus dem Polizeibus, wollten mein Velo samt Gepäck ins Fahrzeug laden. Als sie merkten, daß es nicht so einfach ging, befahl einer: "Nehmen Sie die Sachen vom Fahrrad!" Ich tat es, darauf versuchten sie es noch mal, und das nicht gerade schonend, wobei ich sagte, diesmal recht laut: "Gehen Sie gefälligst vorsichtig mit meinem Rad um!" Darauf der Dicke: "Das wird sich zeigen, ob das wirklich Ihr Rad ist!" Darauf ich: "Solange das Fahrrad nicht IHNEN gehört, haben Sie nicht das Recht, so schofelig damit umzugehen, wem immer es auch gehören mag. Oder wurde Ihnen das Rad gestohlen?" Schweigen! "Na bitte!"
Fahrrad und Gepäck wurden in den Kleinbus geladen, ich mußte ins andere Fahrzeug einsteigen. Dann fuhren wir zur Polizeistation im Stadtzentrum Brettens. Ich mußte in einen Raum, wobei ich meistens alleine war. Was zwischenzeitlich mit Fahrrad und Gepäck geschah, konnte ich nicht sehen. Nur ab und zu kam mal einer der Beamten vorbei und stellte irgendwelche Zwischenfragen. Einmal fragte die Polizistin: "Wieso tragen Sie den keine Schuhe? So etwas macht man am Strand, aber doch nicht in der Stadt. Das ist asozial. Und auf dem Fahrrad ist das bodenloser Leichtsinn!" Darauf entgegnete ich: "Barfußlaufen ist gesund und beim Radfahren hat man mehr Gefühl als beim Fahren mit Schuhen. Und verboten ist das auch nicht, genauso wie das Radfahren ohne Helm nicht verboten ist. Und solange kein Unfall passiert, kann man mir keine Geldbuße dafür aufbrummen." Die Polizistin entgegnete: "Irgendwann wird das aber verboten. Als die Gesetze gemacht wurden, hat keiner auch nur geahnt, daß es Verrückte geben könnte die barfuß radfahren. Auch wenn wir keine Buße dafür verhängen können, können wir aber unseren Arbeitsaufwand in Rechnung stellen." Irgendwie war ich überrascht, als ich die Antwort des "Flintenweibes" hörte. Wollte die Frau mich einschüchtern. Oder hatte sie keine Ahnung? Wenn die Polizei wirklich willkürlich entscheiden kann, ihren Aufwand in Rechnung zu stellen, dann kann ja barfuß Radfahren insgesamt einem teurer zu stehen kommen als wenn einem eine Buße für Fahrradfahren gänzlich ohne Kleidung (Ordnungswidrigkeit) aufgebrummt wird, jedoch der Aufwand nicht in Rechnung gestellt wird.
Etwa zwei Stunden haben mich die Polizeischergen festgehalten, dann durfte ich weiter. Der Bebrillte (der vernünftigste unter den Beamten) meinte, er hätte beim Fahrradhändler angerufen und mein Name wäre in dessen Kundenkartei vorhanden. Er empfahl mir, im nächsten Laden Schuhe zu kaufen, dann würde ich weniger Ärger haben. Das "Flintenweib" plärrte noch: "Diesmal kommen Sie noch ohne Kosten davon. Beim nächsten Mal werden wir den Aufwand in Rechnung stellen."
Ich war frei. Ich schaute um mich: Da war die Polizeistation, das Haus daneben eine Schule. Und vor dem Schulgebäude auch noch die Statue des Philipp Melanchthon. Und eine Straße war auch noch nach Pestalozzi benannt, wobei mir in diesem Zusammenhang auch immer barfüßige Kinder einfallen, egal ob auf Gemälden oder auf Statuen. Jetzt ins nächste Schuhgeschäft? Nein danke! Ich rechnete nicht damit, daß mich die Polizei weiter beobachtete, um zu sehen, ob ich ein Schuhgeschäft ansteuere. Und ich wurde auf der weiteren Rückfahrt nicht mehr von der Polizei schikaniert.
Sicher war Barfüßigkeit (bzw. Kleidung) nicht der Hauptgrund für das teilweise recht schäbige Verhalten der Brettener Polizei. Vermutlich scheint es im Raum Bretten irgendwelche schrägen Sieche zu geben, die "gewerbsmäßig" hochwertige Fahrräder entwenden und sie dann möglicherweise im Ausland zu verschachern. Und wenn das häufiger passiert, dann sind sowohl die Bevölkerung, als auch die Polizei sensibilisiert. Ich vermute aber, daß mir nichts passiert wäre, wenn ich "hochgestylte" Radfahrerkleidung (mit Schuhen) getragen hätte. Oder Dienstkleidung. Oder lange Jeans und barfuß. Kein Spießer hätte dann wegen vermeintlichem Velodiebstahl die Polizei gerufen. Und vielleicht wäre nicht einmal die Polizei eigenmächtig eingeschritten, wenn sie mich auf freier Strecke gesehen hätte (zumindest nicht bei Temperaturen über 20°C und strahlendem Sonnenschein). Es war halt eine unglückliche Verstrickung mehrerer Dinge. Aber soll man deswegen auf angenehme Dinge wie das Barfußlaufen verzichten? Nein!
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen