Einstige Paradiesfirma für Barfußfreaks (Hobby? Barfuß! 2)
Hi Bernd, hi rudi,
dies ist in der Tat eine der schwierigsten Repliken, die ich - aufgrund des großen Interesses - sozusagen je schreiben mußte. Schwierig deshalb, weil man, um die KONTRON-Story zu erzählen, mindestens 3 - 4 ganze Nächte bräuchte, man konnte dort früher an 1 Tag mehr erleben als heute in einem ganzen Monat. Einige Details des großen Herrn Jürgen Kern, einem Stil- & Etiketteguru, der schon Mühe hatte, das Wort "Barfuß" überhaupt über die Lippen zu bringen (ähnlich, wie in bestimmten rückständigen US-Regionen bestimmte religiöse Kreise die Wörter für die menschlichen Geschlechtsorgane nicht aussprechen können, er sprach es, wenn überhaupt, dann immer ganz pikiert aus), meinem letzten großen Gesamt-Forschungs-& Entwicklungschef und Rausschmeißer (er flog übrigens selber Ende 1991 wg. miserabler Ergebnisse) habe ich hier bereits und werde ich hin & wieder einfließen lassen. Ich kann jetzt nur den Versuch unternehmen, die Frage in der Dimension "Chef und BFiger Untergebener" chronologisch zu beantworten. Für weitere Konversation sehe ich nur die Möglichkeit einer persönlichen Zusammenkunft auf einem Mega-BF-Treffen.
Im März/April 1984 heuerte ich direkt (schneite einfach von der Straße 'rein, mit größter Wahrscheinlichkeit beschuht, nachdem sämtliche normal-schriftlichen Bewerbungen fehlgeschlagen waren. Zwischendurch wieder mal bei den Eltern wohnend, gab´s Trouble & Druck, meine lange Matte stand wg. notwendiger Bewerbungserfolge zur Disposition), "dringend arbeitssuchend" bei KONTRON ELEKTRONIK, dem 2tgrößten Arbeitgeber des Landkreises Freising (30 km nordöstich von München) an. Sie hatten was: Logicanalyzer, Emulatoren und andere komplexe Digitalmeßtechnik im Wärmeraum (temperaturstabilisiert auf +40°) testen, weil die Gerätschaften, wenn sie verborgene Macken hatten, dann relativ schnell ausfielen und nicht erst als Garantiefälle vom Kunden zurückkamen. Stellte ich die Frage:
"Bei der Hitze werd' ich drinnen natürlich bloß ein ganz dünnes T-Shirt tragen. Eine Frage [ich druckste herum, um höflich zu wirken]: Darf ich da drin barfuß gehen? Einfach wegen der Hitze."
"Ja natürlich".
Den Lesern brauche ich jetzt nicht zu beschreiben, wie das war. Ich mußte mir äußerste Mühe geben, mir nichts anmerken zu lassen. Das durfte ja nicht wahr sein! Ich glaub', ich spinn'! Plus ein bequemer, wenn auch schlechtbezahlter Job.
Nach etwa 1 Monat kehrte Gesamt-F&E-Leiter Dr. Rudolf Wieczorek aus USA (die Fa. hatte dort 3 Dependancen) zurück. Wie er von mir erfahren hatte, weiß ich nicht. Er nahm sich mich vor, meine Zeugnisse interessierten ihn überhaupt nicht. Schuhe hatte ich bereits keine mit, weil ich längst erkundet hatte, daß ich sie weder beim morgendlichen Einrücken noch in der Kantine brauchte. Schließlich war ich ja Wärmeraumchecker... So ging ich mit zu seiner Chefsuite, in einem noch einigermaßen frischen T-Shirt, einer recht lausigen Jeans und BF. "Entschuldigen Sie...[druckste ich wieder herum]...ich wußte natürlich nicht, daß heute..."
"Interessiert mich überhaupt nicht. Davon [von deinen Schuhen] kann sich die Fa. nichts kaufen."
Nach einem brutal harten Fachgespräch, in dem ich ihn überzeugen konnte, und nach den ersten paar Arbeitstagen, an denen er mir äußerst gründlich auf die Finger sah, war ich in meinem eigentlichen Beruf gelandet, und zwar ebenfalls BF. Die Zentrale Forschung & Entwicklung in Echings Breslauer Str./Königsberger Str./Fürholzer Str. (heute größtenteils eine Geisterstadt, sie sieht jeder, der mit der S-Bahnlinie 1 von München nach Freising fährt) war eine äußerst verschlossene Geheimhaltungsabteilung mit strengsten damals möglichen (elektronischen) Sicherheits-Zugangskontrollen. Meine Kollegen und ich mußten x Sachen unterschreiben, wir durften mit niemandem darüber sprechen, woran wir arbeiteten. Scheißegal, ob man da drin BF lief. Über Sicherheitsaspekte wußte niemand besser Bescheid als wir Ingenieure selber. Ab 1985 erschien ich im Organigramm als Bereichsleiter Analoghardwareentwicklung. Mein Gehalt explodierte, ich finanzierte meine heutigen Räumlichkeiten & gebärdete mich automäßig wie ein Verrückter. Natürlich immer noch voll BF. KONTRON hatte sogar eine Kleiderhierarchie: Den weißen Labormantel durften nur die "Entwickler" tragen, für alle anderen war blau oder grau angesagt. Übrigens: Sah irre aus, das hellblaue T-Shirt & die mittelblaue Jeans darunter & als krönender Abschluß nach unten die nackten Füße. Ich bin wirklich nicht eitel (Markus U. weiß es), aber ich genoß es schon, mich in den dunkel getönten Glastüren zu spiegeln und grinste mir entgegen...
Ebenso im Silicon Valley. Die letzte Pionierzeit habe ich noch voll BFig miterlebt und wäre um ein Haar Vollamerikaner geworden. Ich danke meinen Eltern heute unendlich, daß sie es verhindert haben. Die Fa. geriet trotzdem in Schieflage (hatte zwischenzeitlich auch den Hoffman-LaRoche-Pharmakonzern als Holding, weil wir auch viel Medizintechnik machten) und wurde im April 1989 von BMW übernommen. Das alte Topmanagement flog wg. grundlegender "Meinungsverschiedenheiten" und wurde millionenschwer abgefunden. Von Dr. R. W. wurde ich wie folgt "geführt": Totalgleitzeit und konnte tun und lassen, was ich wollte. Allerdings mußten natürlich Erfolge her, nicht selten bei Komplikationen in 16Std.-Tagen. Nur wenn wichtige Kunden zu Besprechungen kamen und insbesondere, wenn der "Segen" mit einem Kunden einmal schiefhing, sagte er mir (wissend, daß er sich auf mich verlassen konnte): "Morgen bitte Schuhe [genügte BF in Adiletten, da die Groß-EDV und Sonstiges in dem Gebäude eine enorme Abwärme erzeugten, wofür auch ein stocksaurer Kunde Verständnis hatte, der schon nach kurzem sein Jackett ablegen "mußte"] & bitte nicht dieses Hemd, ja?"
Nach Übernahme durch BMW in 4/89 wurden die US-Locations dichtgemacht (alle entlassen) und ich bekam 2 neue Chefs gleichzeitig: Dr. Fahr & Dr. Ziebarth als F&E-Gesamtleitung. Der Clou: Die bekam ich im Zuge des allgemeinen Chaos und Umstrukturierungen auf höchster Ebene ÜBERHAUPT NIEMALS ZU GESICHT! (das Topmanagement residierte in einem anderen Gebäude als in F&E-City). Auch nicht auf der Firmenweihnachtsfeier. Kein einziges Telefonat hab' ich jemals mit ihnen geführt. F&E war praktisch eigentlich führungslos. Trotzdem war die Arbeit der Kollegen & meine hinreichend koordiniert, weil genügend Projekte durch das damals noch leistungsfähige und mächtige Produktmarketing initiiert wurden, gleichzeitig forschten, entwickelten, produzierten & verkauften wir 1990 wie die Blöden, weil die marode Telekommunikationsinfrastruktur der ehemaligen DDR Equipment benötigte. Trotzdem wies das Ergebnis im Geschäftsjahr 1990 bei einem Personalstand von 1600 Mitarbeitern einen Verlust von 120 Millionen DM aus. Von der Holding ganz oben wurden Konsequenzen gezogen. Ein neuer für mich zuständiger F&E-Gesamtchef kam ab 1991: Jürgen Kern.
Der hatte zwar von Technik keine Ahnung, sondern hatte, wenn überhaupt irgendwas, BWL studiert, ein Fach, bei dem bekanntermaßen schon die Erstsemester bei +50° im geschlossenen Jackett und entsprechender Beschuhung über den Campus laufen & von dem ich mir nicht vorstellen kann, daß ein einziger Vertreter dieser Disziplin in diesem Forum präsent ist.
Schon unser Kennenlernen verlief grotesk. Zuerst war er gar nicht da, um den 20. Februar 1991 gab es einmal einige Tage mit fast +20°. Im Prüffeld wurden plötzlich aufgrund eines VGA-Adapterfehlers die Farbmonitore plötzlich leicht gelbstichig, weil 1 Bit von Blau fehlte und ich legte, weil dringend geliefert werden mußte und das Personal auf dieses Gerät nicht "eingearbeitet" war, mit Hand an und "kurbelte" nach Fehlerbeseitigung die Farbe richtig, den Kampf gegen [Warenausgang nicht später als 17 Uhr] gewannen wir. Herr Kern sah sich allgemein in der Fa. um, dabei geriet das Thema auch auf diese von mir konstruierten Farbmonitore, die wir gerade in der Mache hatten. Er debattierte mit dem Prüffeldleiter und einigen Mitarbeitern über die Situation.
"Ah, der Herr NN! Hab' schon viel von ihm gehört. Wer is´n des eigentlich?"
"Der Herr NN bin ich!" sagte ich und richtete mich ein wenig auf. Da stand ich nun, in meinem absolut wildesten schwarzen Achselshirt, keiner besonders guten Jeans, unrasiert, ohne weißen Mantel & um ein freundliches Gesicht bemüht.
Er (in dunkelblauem Anzug, schwitzend) war starr. Er brauchte locker 3 Sekunden, bis sein Blick sich von meinem unteren Ende gelöst hatte. Er starrte auf meine Füße wie das Kaninchen auf die Schlange. Wie wenn er noch nie natürliche menschliche Füße gesehen hätte.
"Sie hätt' ich mir aber ganz anders vorgestellt" sagte er leise, zog sein Einstecktuch aus der Brusttasche seines Jacketts und tupfte sich den Schweiß von der Stirn ab, langsam, sorgfältig, offenbar auch, um Zeit zu gewinnen.
"Was tun Sie hier? Sie sind Entwicklungsingenieur. Sie gehören nicht in diese Abteilung."
Mit etas Mühe erklärte ich ihm dann, daß dieses Gerät neu sei, nur ich als Entwickler mich damit auskenne und dringend bis 17 Uhr diese Charge 'rausmüsse, widrigenfalls der Kunde mit Storno drohe & samt Folgeaufträgen einige 100 000 DM futsch seien. Meine Anwesenheit in einer 'Fremdabteilung' läge somit wohl im wirtschaftlichen Interesse der Fa.
Schiefer hätte es nicht laufen können. Die Chemie zwischen ihm und mir stimmte hinten & vorn nicht. Auch mit Kollegen geriet er zahlreich persönlich und in der Sache aneinander. Volle Kollision 2er Unternehmenskulturen. Neben Kostensenkungs- & Effizienzsteigerungsprogrammen, die das Gegenteil bewirkten, versuchte er auch unaufhörlich, uns zu Yuppies mit entsprechendem Outfit zu bekehren, vor allem sollte das für die SoftwareentwicklerInnen gelten, die ja operativ den ganzen Tag "nur" Sachen in Computertastaturen drückten. Die Aufhebung der Geheimhaltungsabteilungseigenschaft von F&E ("damit der Kunde sich von unserer Arbeit ein Bild machen kann", mein BF: "Wenn DAS Kunden sehen") hatte katastrophale Folgen, die ich mir wg. völligem off-topic erspare. Nicht wenige andere Kollegen machten ihm klar: Wer Anzug sagt, muß auch Klimaanlage sagen, von ihm brüsk erwidert: "Sie wollen wohl die Fa. erpressen, was??!!", damit kam er wg. der bereits erwähnten besonders hohen "Gebäudetemperatur" nicht durch.
Ende Juni/Anfang Juli '91 war es dann soweit (O-Ton, ein wenig an ein blökendes Kalb erinnernd):
"IN MEINER FUNKTIONALEN EIGENSCHAFT ALS IHR VORGESETZTER ERETEILE ICH IHNEN EINE VERBINDLICHE DIENSTLICHE ANWEISUNG, SICH SCHUHE & SOCKEN ANZUZIEHEN. SIE HABEN DIESER ANWEISUNG FOLGE ZU LEISTEN. GESCHIEHT DIES NICHT, WIRD SICH DAS IN IHRER PERSONALAKTE NIEDERSCHLAGEN etc. etc. !!!!!!! [brüll brüll]".
Am 03. September 1991 wurde die betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen. Herr Kern hatte sich zum Outsourcing der von mir beackerten Felder entschlossen (d. h. von anderen Firmen, z. B. aus China, Sachen zukaufen), genaugesagt machte er Outsourcing überall, wo er es konnte. In 2 großen Rausschmeißwellen (die 1. Juli/August, die 2. im September zum Jahreswechsel) wurde die Belegschaft von 1600 auf 280 reduziert. Den Verlust meines Arbeitsplatzes führe ich jedoch wesentlich auf die Globalisierung zurück, es kursieren auch Theorien, daß Hr. Kern seinen Stil absichtlich implementiert hat, damit möglichst viele von selbst gingen und keine Abfindungen fällig wurden. Soweit, daß er auch noch das Outfitverhalten von Mitarbeitern in der Freizeit bemeckerte, ging er allerdings nie. Das Arbeitszeugnis spricht von "völligem Versagen im Führungsbereich" (diese Papers sind immer untergliedert in die Leistungs- und Führungsdimension). In konkreten Worten wird mein ["bereits morgens erschien Herr NN barfuß am Arbeitsplatz"] natürlich nicht erwähnt, und winters hatte ich, wenn ich viel umher mußte, Clogs an.
So. Ich hoffe, daß die Admin diesmal ausnahmsweise beide Augen zudrückt, aber kürzer & mit weniger off-topic-Gehalt (zum Gesamtverständnis unerläßlich) war´s nicht zu machen & es blieb nur die Alternative, gar nichts zu schreiben. Für weitere Rückfragen in dieser Sache:
3061-154@online.de (Wichtig: in Betreffzeile BF3521 schreiben!)
Schlimmstenfalls tauschen wir die Tel.nrn. aus.
Sich die Finger wundgeschrieben habend, aber sich an den Zehen wohlfühlend, mfBFG, Jay