Barfuß bei der Kantonsmitte (Hobby? Barfuß! 2)
Samstag, 18.11.2006: Die unbeständige Witterung hat bei uns manchmal Vorteile. Wenn in der Nacht eine Warmfront durchgezogen ist und dann Aufhellungen erfolgen, dann kommen wir um den sonst üblichen Nebel herum. Für November ist es eher selten, daß man in der Zeit von 11-17 Uhr (und solange war ich unterwegs) beim Radfahren keine Jacke benötigt. Ohne Schuhe und ohne Mütze dagegen schon. Erstere nahm ich aber sicherheitshalber mit, letztere beiden Sachen selbstverständlich nicht.
Der Himmel war stahlblau, nur wenige Wölkchen. Beides bildete einen interessanten Kontrast zu den verfärbten Laubwäldern, wirklich ein herrliches Bild. Die Tatsache, daß ich dabei barfuß war, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, außer daß man selber ein Teil der Natur ist und nicht durch Gummi-, Leder- oder Sonstwas-Sohlen von ihr abgeschottet ist.
Andere hatten jedoch nicht die Zeichen der Zeit erkannt, sie trugen nicht nur fette Schuhe (nicht selten gar Winterstiefel), dicke Mäntel und nicht selten Handschuhe und Mützen. Speziell kleine Kinder waren nicht selten tiefwinterlich vermummt, und das bei +13°C! Irgendwie verspürte ich heimlich Lust, die Eltern, die die Kinder derart dick vermummt nach draußen schicken, wegen "Kindesmißhandlung" bei der Polizei zu verpfeifen. Aber ich tat es nicht. Schließlich geht es mich einen feuchten Kehricht an, wie die Eltern die Gesundheit ihrer Kinder ruinieren. Dann wäre ich keinen Deut besser wie jene Spießer, die bei jedem Muckensäckeli gleich die Polizei rufen, und wenn es sich nur um ein paar Millimeter Sohle oder ein paar Zentimeter Hosenbeinlänge oder ein paar Kubikmeter Mützenmaterial handelt.
Als erstes radelte ich an den Aabach bei Boniswil, dort, wo ich im Sommer häufiger bade. Das tat ich allerdings nicht. Die Liegewiese eignete sich auch nicht für ihren ursprünglichen Zweck, sie war zu matschig. Aber ideal, um dort barfuß durchzustapfen und die Maulwurfshügel zu zertreten. Während ich etwas verzehrte, regnete es Blätter, es herbstet merklich. Da mein Velo auch etwas Öl an der Kette vertragen konnte, tat ich es auch gleich dort. Die nötige Infrastruktur (Abfallbehälter, Wasser zum Hände- (und gegebenenfalls Füße-)waschen) war hier vorhanden. Als Putzlappen diente der Rest einer Socke, von der Ferse aufwärts war der Stoff noch vorhanden. Ich hatte zwar noch andere Putzlappen, aber keine Socken. Da ich die Socke hinterher entsorgte, war ich den Rest des Tages wirklich "echt" barfuß unterwegs, was ich nach besonders strenger Interpretation der Ratinger Echtheitsregeln beim Mitschleppen eines Sockenrestes nicht war.
Während ich meine Velokette einfettete, kamen zwei Leute vorbei, vermutlich Oma und Enkelin. Die kleine betrachtete immer abwechselnd mein Fahrrad und meine Füße, bis Oma sagte: "Der ist barfuß. Der hat sich die Schuhe aufgezogen, das ist gesund." Dann gingen sie weiter. Kurzew Zeit später fuhr auch ich weiter. Vermutlich gingen sie aber einen anderen Weg, denn ich holte sie nicht ein. Was dann wohl die Oma gesagt hätte, wenn ich immer noch barfuß war?
Ich folgte dem Aabach in Richtung Lenzburg. In der Altstadt waren etliche Pfadfinder, von denen sich keiner für meine Füße interessierte. Pfadfinder scheinen wohl doch zum Barfußlaufen ein weniger gestörtes Verhältnis zu haben als andere Jugendliche im gleichen Alter.
Hier im Forum wurde sich schon gestritten, wo sich der Mittelpunkt Deutschlands befindet. Wo sich der Mittelpunkt des Kantons Aargau befindet, ist dagegen beschildert, im Wald zwischen Niederlenz und Wildegg. Ich folgte den Schildern und gelangte zu einem Platz, aus Schotter, in der Mitte ein Buckel aus barfußfreundlichem Kopfsteinpflaster mit einem Findling vom Reußgletscher:
Ich kletterte nun auf den Stein, und setzte mich drauf. Ich saß also barfuß auf der Aargauer Kantonsmitte, wer hätte das gedacht! Um diesen Findling waren im Kreis weitere Steine mit "Kimme" angeordnet, in sie waren die Namen der Aargauer Bezirke eingemeißelt, darunter Zofingen, Baden, Bremgarten. Bequem war der Aargauer "Königsthron" nicht, also dankte ich schnell wieder ab und radelte weiter.
Ich fuhr zur Aare, folgte dieser und überquerte sie auf einer Brücke östlich von Aarau, der zukünftigen Umgehungsstraße. Zwar waren Barrieren aufgestellt, die ein Überqueren der Aare über die Baustelle verhindrn sollten, jedoch kümmerte es längst nicht alle. Ich war nicht der einzige Mensch, der die Brücke überquerte, nicht der einzige Radfahrer - aber der einzige ohne fettes Schuhwerk.
In der Aarauer Altstadt gab es einige lästernde Bermerkungen von Jugendlichen und große Glotzaugen von kleinen Kindern. Aber das störte mich nicht. Als ich weiter der Aare folgte, waren recht viele Leute unterwegs. Manchmal hörte ich aus einem Kindermund: "Der ist ja barfuß". Auch später in Olten gab es erstaunte Gesichter, ebenso in der Zofinger Altstadt. Erst im letzten Augenblick dah ich, wie sich ein Stadtpolizist mit einem Ehepaar mit Kind im Kinderwagen unterhielt. Der Polizist kehrte mir den Rücken zu, so daß er mich nicht sah, und kurz danach bog ich links ab (nicht, um nicht vom Polizisten gesehen zu werden, sondern weil der Weg nach rechts in die falsche Richtung geführt hätte und der Versuch, geradeaus zu fahren, an einer Hausmauer gescheitert wäre).
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen