Sokrates und Franz von Assisi: Asketen?? (Hobby? Barfuß! 2)

Guenther, Wednesday, 27.09.2006, 08:55 (vor 6571 Tagen) @ Pedro

Hi Pedro!

Zunächst muß man mal sagen, daß ein Großteil der griechischen Philosophie (und daran anknüpfend wohl auch die christliche Moralphilosophie) so stark dualistisch angelegt ist, daß sie die von Dir beschriebene Situation eines harmonischen Miteinanders zwischen Körper und Seele im Verzicht kaum jemals fokussiert. Der Körper ist eben der böse "Kerker" bzw. das "Grab", welches die Seele von ihrer eigentlichen Tätigkeit abhält. Nach Plato soll sich die menschliche Seele mit der Ideenwelt beschäftigen, und davon wird sie durch alles Körperliche einfach abgehalten. Für ein Miteinander zwischen Seele und Körper ist in diesem System einfach kein Platz.

Die von Dir beschriebene rationale Übereinkunft zwischen Körper und Seele im Verzicht könnte man im antiken System der Philosophie am ehesten noch im Epikureismus unterbringen. Weil dieses System von den anderen antiken Philosophenschulen relativ weit entfernt ist, wird es in der Polemik immer wieder - zu Unrecht - als bloße Rechtfertigung der Sinnenlust abgewertet. In diesem System ist die körperliche Lust das entscheidende, freilich in einer durchaus rational sublimierten Form. Hier wäre Raum für eine Überlegung der Art, daß man auf allzu üppiges Essen verzichtet, weil es für den Körper langfristig besser ist, oder (um es wieder ein bißchen on-topic zu machen) daß man auf Schuhe unter geeigneten Umständen verzichtet, weil es dauerhaft für die Füße von Vorteil ist.

Zum Askese-Begriff: Der Begriff wird in der Moderne sehr viel enger gebraucht als in der Antike. Modern würde man wohl nur ein solches "Vorenthalten", also etwas Negatives, als Akese verstehen. Auf Griechisch heißt askein aber einfach "üben", d.h. es liegt in diesem Begriff durchaus impliziert, daß das Vorenthalten durchaus zu einem positiven Ziel führen kann. Sokrates redet an der von mir zitierten Memorabilien-Stellen in der Tat auch im weiteren Zusammenhang der Barfüßigkeit vom "Üben" des Körpers (zwar verwendet er ein anderes Verbum, worauf hier aber nichts ankommt). Daß solche Askese auch zu erfreulichen Ergebnissen wie erhöhter körperlicher Widerstandsfähigekiet führen kann, wird auch in griechischer Philosophie nicht bestritten (lies z.B. im Gastmahl Platons das Lob des Alkibiades auf Sokrates mit dem Höhepunkt seiner barfüßigen Eiswanderungen, 220 b). Nur wird diese Kräftigung eben immer (zumindest in Systemzusammenhängen wie dem platonischen) als Ergebnis eines dem Körper von der Seele aufgezwungenen Verzichts angesehen, nicht als harmonische Übereinstimmung zweier Instanzen. Das ist eben alles unter dem Denkzusammenhang eines rigiden Dualismus zu sehen.

Natürlich wird kein moderner Mensch diesem rigiden Dualismus folgen. Wenn man platonisches Denken zu Ende denkt, ist der Mensch erst dann wirklich glücklich, wenn er sich vom Kerker des Körpers befreit und tot ist (der Gedanke begegnet im Zusammenhang mit Sokrates´ Hinrichtung mehrfach). Die Askese kann diesen Zustand nur insofern praeparieren, als sie die Seele schon im lebenden Menschen relativ unabhängig vom Körper macht. Wie es dem Körper dabei geht, ob er einfach nur vor sich hin leidet oder sich an der Askese stärkt, ist für den Platoniker eigentlich sekundär. Wie gesagt: Nicht als normative Vorstellung, sondern nur einfach als eine sehr wirkmächtige philosphiegeschichtliche Richtung auffassen.

Gruß, Guenther

P.S:: Ich sehe Figuren wie Sokrates immer sehr stark systemimmanent. Natürlich kann man sie auch einfach nur als große menschliche Vorbilder verstehen und einfach seine eigenen Vorstellungen hineinprojizieren. Im Prinzip hat das ja wohl schon Plato mit der historischen Sokrates-Figur so gemacht.


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