Nochmal Sokrates (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo Kai!
Von Sokrates z.B., dem mir frühesten bekannten überzeugten Barfüßler, kann man wohl berechtigt sagen, er habe eine Weltanschauung gehabt.
Diese Aussage erscheint mir etwas problematisch. Die Sokrates-Figur wird uns, wie schon Pedro mal vor ein paar Wochen richtig bemerkte, vor allem durch die Schriften Platos vermittelt. Dieser benutzt Sokrates als einen Exponenten seiner eigenen, stark dualistisch ausgerichteten Philosophie (die in der modernen westlichen Philosophie und insbesondere im Christentum stärkstens nachwirkt). Was Sokrates als historische Person gewollt hat, wissen wir einfach nicht - wir wissen nur, wie Platon ihn im Sinne seiner Philosophie dargestellt hat.
Trotzdem kommt in dem, was er sagte, kaum jemals (nie?) was von seiner Fußbekleidung vor.
Das ist, soweit ich weiß, für Platon richtig. Das Barfußlaufen ist nur ein biographisches Detail in Platons Dialogen (die ja im Gegensatz zu modernen philosophischen Abhandlung über trockene Fachphilosophie weit hinausgehen), wird nicht funktional mit den philosophischen Zielen des Sokrates in Verbindung gebracht. Aber in einer anderen, nicht-platonischen Quelle, nämlich in den Memorabilien des Xenophon (1,6) setzt er sich mit der Frage des Antiphon auseinander, warum er so lebt wie er lebt und insbesondere barfuß geht. Er antwortet (speziell zum Barfußgehen), daß die Menschen Schuhe tragen, weil sie fürchten, daß sie wegen Dingen, die an den Füßen schmerzen, nicht überall hingehen könnten, daß er (Sokrates) aber stets überall hingegangen sei, wo er wolle, und daß man seinen Körper auf Bedürnislosigkeit hin üben bzw. trainieren könne. Er selbst habe andere, höhere Ziele als die Versorgung des Körpers mit Genußgütern.
Und diese Stelle erklärt m.E. ganz deutlich die gesamte antike und mittelalterliche Haltung zum Barfußlaufen: Es bedeutet Askese, "Abtötung" des "Fleisches" (um einmal eher christliche Terminologie zu verwenden), Abhärtung gegen körperliche Luxusbedürfnisse. Barfußlaufen als etwas positiv Sinnvolles etwa im Sinne eines harmonischen Seele-Körper-Verhältnisses zu verstehen, ist m.E. völlig unantik/ unmittelalterlich, vielmehr eine neuzeitliche "Erfindung". Plato hat den barfüßigen Sokrates als Exponenten einer dualistischen, äußerst leibfeindlichen Philosophie eingesetzt. Somit ist Sokrates gerade nicht Vorläufer moderner "Barfußphilosophien".
Hinsichtlich seines Barfußgehens ist also wohl genau das Barfußlaufen der entsprechende Teil seiner Weltanschauung, ohne jede weitere Theorie.
Ich fürchte, es gibt sehr wohl eine Theorie, das ist die dualistische platonische Philosophie, und der Herbwürdigung des Körpers in diesem Sinne dient das biographische Detail der Barfüßigkeit des Sokrates (und anderer asketischer Philosophen). Nicht, daß ich das persönlich so bejahen möchte, aber es scheint mir philosophiegeschichtlich so zu sein.
Gruß, Guenther