Aus dem (Fein-)Staub gemacht! (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 06.02.2006, 08:46 (vor 6806 Tagen)

Feinstaub belastet die Schweiz schon seit Wochen. In einigen Kantonen wurde das Tempo auf 80 km/h auf Autobahnen limitiert. Und am Sonntag, den 5.2.2006 veranstalteten verschiedene Verkehrsbetriebe, etwa die SBB, einen Aktionstag: Man brauchte nur eine Einzelfahrkarte lösen, und diese berechtigte dann auch zur Rückfahrt am selben Tag. Man wollte damit erreichen, daß weniger Leute an diesem Sonntag das Auto stehen lassen und statt dessen die Bahn benutzen. Tatsächlich wurden ca. 10 % mehr Fahrgäste als an normalen Sonntagen gezählt, einer davon war ich. Da ich jedoch kein Auto besitze, auf das ich hätte verzichten können, verzichtete ich auf was anderes - auf SCHUHE!

Kurz nach 6 Uhr morgens verließ ich meine Wohnung und ging zu Fuß zum Bahnhof. Schuhe und andere echte Winterkleidung ließ ich zu Hause. Die Straßen waren trocken, aber trotzdem kam mir der Boden recht kalt vor. Als ich den Bahnhof erreichte, waren es gerade -4°C. Ein paar ungläubige Blicke am Bahnhof und im relativ leeren Zug, der in Richtung Süden fuhr. In Luzern und später in Arth-Goldau bestiegen etliche Leute den Zug, oft mit fetten Skischuhen. Sie wollten dem Feinstaub entrinnen, um in der Sonne Ski zu fahren. Ich aber erhoffte mir Sonne im wärmeren Süden. Weder die Skifahrer, noch eine zugestiegene Ordensschwester schien sich an meiner Aufmachung zu stören, nur die Kinder einer Familie machten große Glotzaugen.

Bei Gurtnellen machte der Nebel der Sonne Platz, ihre Strahlen drangen jedoch nicht ins Tal, wohl aber bestrahlte sie die verschneiten Alpengipfel. Auch die Felder wurden immer weißer, je höher der Zug kam. In Göschenen verließen praktisch alle Skifahrer den Zug, dann ging es durch den Gotthardtunnel. Die Sonne blendete, als der Zug wieder ans Tageslicht kam. Am Südportal lag wesentlich mehr Schnee als am Nordportal, an den Enden der Bahnsteige waren meterhohe Schneehaufen aufgetürmt. Wie würde es wohl an meinem Ziel im tiefer gelegenen Bellinzona aussehen? Noch hatte ich Hoffnung. Als der Zug aber in Biasca hielt und auch hier noch Schnee lag (und teilweise auch Rahreif auf den Grasflächen) und ebenso die Sonne hinter Wolken verschwunden war, stand fest, daß ich nicht mit hochsommerlichen Verhältnissen rechnen konnte.

Ich verließ den Zug um 10 Uhr, ebenso die Ordensschwester. Diese wurde von einer Frau in Zivil empfangen. Ich hörte zumindest eine der beiden Frauen hinter mir lachen. Mein Weg führte ich Richtung Altstadt http://images.google.ch/imgres?imgurl=http://www.sengers.ch/ticino/bellinzona/05.jpg&imgrefurl=http://www.sengers.ch/ticino/bellinzona/bellinzona.asp&h=216&w=325&sz=41&tbnid=3OmIkhozBKZJ7M:&tbnh=75&tbnw=114&hl=de&start=5&prev=/images%3Fq%3Dbellinzona%2Bkirche%26svnum%3D10%26hl%3Dde%26lr%3D%26sa%3DG. Ein Wagen fuhr an mir vorbei, darin saßen die Ordensschwester und die "Zivilistin". Letztere stieg aus und fragte mich auf schweizerdeutsch, ob alles in Ordnung sei. Ich erzählte das übliche, aber immer wieder sagte sie: "Aber Sie erkälten sich doch! Es ist doch kalt." Letzteres war natürlich nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ich hatte so den Eindruck, als ob sich die Leute in den Autos südlich der Alpen mehr nach Barfüßern bzw. für die Jahreszeit nicht übermäßig winterlich gekleideten Menschen umdrehen. Ich ging bis zum Fluß, wo die Reste einer vermutlich von den Fluten weggerissenen Brücke standen. Irgendwie reizte mich es, am Ufer barfuß über teilweise verschneite Wege zu wandern, aber ich hielt es für sinnvoller, dieses auf eine spätere Tageszeit zu verschieben.

Während ich eine Zeit am Brückenrest stand, sah ich, wie einige Leute mit Hunden beieinander standen, eine Frau telefonierte. Als ich bei der Gruppe vorbeikam, sahen sie nicht in meine Richtung. Ich war wieder in bebautem Gebiet, da kam das, was kommen mußte: Polizei! Zum Glück konnten sie deutsch. Die üblichen Kontrollen. Auch schien ich die Beamten überzeugt zu haben, daß barfuß laufen gesund ist. Sie fragten mich, ob ich derjenige war, der am Wochenende zuvor barfuß in Davos war, dieses konnte ich verneinen. (Vielleicht war der Barfüßer, den FrankX in Zürich gesehen hat, in Davos gewesen). Aber vom Stehen sind meine Füße doch recht kalt geworden. Sie wünschten mir noch einen angenehmen Aufenthalt in der Stadt.

Ich ging zur Stadtmauer, die man sowohl oben, als auch INNEN begehen konnte. Der obere Weg war verschneit, innen lag jedoch schöner Sand, wie in der Mark Brandenburg? Leider war es hier relativ dunkel, und ab und zu die "unvermeidlichen" Scherben. Die Mauer führte zum Schloß Castelgrande [image], hier genoß ich es, über den trocknen Rasen zu gehen, um immer wieder ein paar Schritte auf dem Schnee zu machen. Ich wurde zwar von Leuten beobachtet, aber die schien mein Treiben nicht zu stören.

Über eine Innentreppe gelangte ich hinunter zur Altstadt. Hier zeigte ein kleines Mädchen mit Handschuhen und Mütze mit den Fingern auf meine Füße. Ich aber wollte noch zu den anderen Schlössern. Ich entdeckte einen Wanderweg, der erst ganz gut ging, dann aber immer mehr verschneit bzw. vereist war. Da ich mich aber an Zäunen festhalten konnte, gelang es ohne Sturz. So erreichte ich das hoch über der Stadt gelegene Schloß Sasso Corbaro [image], das zwar eine Baustelle war, dadurch aber viel nackter Erdboden vorlag, der eine Wohltat für die Füße war. Mittlerweile schien auch die Sonne. Über eine Straße, deren Asphalt durch die Sonne angenehm warm war, schritt ich wieder hinunter bis fast zur Bahnlinie.

Ich wollte aber noch zum "mittelhohen" Schloß Montebello [image], dieses erreichte ich über einen ebenfalls teilweise vereisten Rundsteinweg. Auch hier trockener Rasen und Schneeflächen, die Wehrgänge haben allerdings teilweise Eisengitter, was weniger angenehm war. Auch hier fand meine Barfüßigkeit kein Grund zum Lästern. Über einen matschigen Kinderspielplatz und eine Straße schritt ich vorbei am Bahnhof wieder zum Schloß Castelgrande, wo ich noch einen Turm mit einer Eisentreppe (nicht gerade extrem angenehm) bestieg. Einige Kinder staunten, wie ich dann auf der Mauer auf den Steinen ging, während daneben Schnee lag. Alle Leute gingen auf den Steinen. Und alle wichen auf den Schnee aus und erwarteten es nicht von mir. Wären sie auch ausgewichen, wenn ich Schuhe angehabt hätte?

Nun aber ging ich in Richtung Tessin-Fluß. Zunächst wanderte ich auf dem asphaltierten Radweg parallel zum Fluß in Richtung Norden. Ich sah übrigens noch andere Barfüßer, diese waren nur in Badekleidung. Und nicht weit davon entfernt Leute auf Schlittschuhen! Des Rätsels Lösung: Es handelte sich um eine Badeanstalt mit Hallenbad und Freibad, letzteres schien im Winter zur Eisbahn umfunktioniert zu sein.

Da ging ich selber direkt ans Flußufer, wo eine Sandbank war. Ein Kind rodelte den Damm hinunter und kam unmittelbar vor mir zum Stehen. Als es meine nackten Füße erblickte, gab es große Glotzaugen. Dann wanderte ich weiter auf dem Damm, teils Gras, teils Eis, teils Schmelzwasser, genau die idealen Bedingungen für einen Kneipp-Pfad. Ich wanderte noch ein ganzes Stück auf dem Deich, dann auf dem asphaltierten Radweg zurück.

Mein Pensum hatte ich eigentlich erledigt. Da mein Zug aber erst um 18 Uhr fuhr, hatte ich noch Zeit, die verschiedensten Untergründe der Stadt zu ertasten. Zwei etwa 12-jährige Mädchen fingen an zu kichern, als sie mich sahen. Sie folgten mir durch die Straßen der Stadt. Ich begab mich wieder hinauf zum Stadtschloß, diesmal mit dem Lift. Die Mädchen trauten sich nicht, denselben Lift zu benutzen, sie nahmen den nächsten. Hinunter in die Stadt benutzte ich diesmal die Fahrstraße, sie folgten mir. Ich war nicht bereit, für diese albernen Gören die Verantwortung zu übernehmen, wenn sie ihren Weg nicht mehr gefunden hätten. Und wenn sie mir in den Zug folgen würden, hätte ich nicht die Schwarzfahrgebühr bezahlt. Im Innenhof des Rathauses betrachtete ich mir einige Kunstgegenstände, und sie taten so, als interessierten sie sich auch dafür. Interessant fand ich die Plastik einer jungen Frau mit Schafherde, auf den Schultern trug sie ein kleines Mädchen. Nur die Frau trug Schuhe, das Mädchen und die Schafe waren barfuß.

Irgendwann war ich die Gören aber los. Und eine Dreiviertelstunde vor der Abfahrt meines Zuges geriet ich abermals in eine Polizeikontrolle. Und auf dem Bahnsteig wurde ich auch noch von Bahnpolizisten kontrolliert. Aber alle Carabinieri blieben höflich, kein Verglich zu den Zofinger Schrotern oder den BGS-Fritzen im Bereich der Deutschen Bahn, denen ich schon begegnet bin.

Mit den Schaffnern im Zug gab es keine Probleme. In Arth-Goldau stiegen zwei besoffene Jugendliche dazu, die für meine Aufmachung keinerlei Verständnis hatten. Zwar glaubten sie mir das mit den gesundheitlichen Gründen, aber sie fanden es eine Unverfrorenheit, im Winter barfuß und in kurzen Hosen Bahn zu fahren. Andere Leute können sich daran stören. Daraufhin erklärte ich ihnen deutlich, daß man tun kann was man will, irgendwer stört sich immer dran. Dem einen stören fehlende Schuhe, den anderen die Farbe des Mantels, einem anderen die Form der Nase oder die Farbe der Haut. Man könne es nie allen recht machen, also solle man nicht lange überlegen sondern das tun, was einem gefällt, solange man nicht gegen irgendwelche Gesetze verstößt. Und es gibt kein Gesetz, das beim Bahnfahren Schuhe oder lange Hosen vorschreibt, wohl aber ist das Rauchen in den Zügen der SBB verboten. "Aber wir haben doch Winter!" Der Schaffner, der zufällig vorbei kam, konnte nur grinsen.

Gegen 21.15 Uhr erreichte mein Zug Zofingen. Das Thermometer zeigte -2°C. Mich erwartete übrigens keine Hundertschaft am Zofinger Hauptbahnhof. Es gab auch kein Klicken von Hand- und Fußschellen. Es gab nur ein paar große Glotzaugen, als ich aus dem Interregio stieg und über wenig befahrene Straßen nach Hause ging. Für einen Tag war ich mal dem Feinstaub entronnen. Trotz Polizeikontrollen ein schöner Tag, nicht zu warm, nicht zu kalt, sondern ideal zum Barfußlaufen.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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