Ein neuer Rekord (Hobby? Barfuß! 2)

Ulrich (Berlin) @, Stammposter, Tuesday, 12.07.2005, 21:25 (vor 7077 Tagen) @ Michael aus Zofingen

Hallo Michael

Michael:
Ein Barfüßer "sieht" sogar mit verbunden Augen, ob er sich in der Altstadt oder in der City befindet. Altstädte haben nicht selten angenehmes Kopfsteinpflaster, während in der City Betonplatten überwiegen. Scherben kann es beiderorts geben, nur lassen sie sich vom Beton mit Kehrmaschinen erfolgreicher entfernen.

Ulrich:
Scherben halte ich auf Kopfsteinpflaster eigentlich für weniger gefährlich als auf Betonplatten, weil sie dort eher in die Ritzen zwischen den Steinen fallen und dann vom Fuß kaum noch erreichbar sind. Kehrmaschinen können zwar Betonplatten sicher besser reinigen, aber wann kommen die schon mal?

Ulrich:
Gerade als die Schaffnerin durchkam ... Ein geistig verwirrter Mann! Die Schaffnerin hatte das aber nicht bemerkt. ... Wir fanden sie schließlich und ich machte ihr die Situation klar. Bei dieser Gelegenheit sagte sie dann: "Sie sind ja barfuß" "Das ist unwichtig!" meinte ich darauf ... Sie begriff dann was los war, kümmerte sich um den Mann, ... informierte den Bundesgrenzschutz, ... zwei Beamte passten auf ihn auf, er konnte sich noch ... einen Kaffee kaufen, dann begleitete ihn die Schaffnerin wieder in den Zug nach Braunschweig.


Michael:
Deine Reaktion war richtig. Sicher ist es unwichtig, daß Du barfuß warst. Wie ich mich in solcher Situation verhalten hätte, kann ich nicht sagen. Meistens reagiert man nämlich, wenn man plötzlich mit einer Sache konfrontiert wird, anders wie wenn man Zeit zum Überlegen hat (und erst recht, wie wenn man gefragt wird, wie man sich verhalten würde).

Ulrich:
So plötzlich war das ja gar nicht. Er setzte sich zu mir, und es waren vielleicht noch zwanzig Minuten bis Magdeburg. Zunächst hatte ich nur den Eindruck, dass mit dem Mann was nicht stimmt. Ich unterhielt mich dann mit ihm und merkte dann im Gespräch, dass er offensichtlich betreut wird, weil er nicht "alle Tassen im Schrank" hat und abgehauen ist. Er befürchtete auch, dass sein Sozialarbeiter schimpfen würde, weil er nicht rechtzeitig nach Hause kommen könnte. Auch erzählte er, dass sein Heimplatz verloren ginge, wenn er ein oder zwei Tage weg sei. Ob das stimmen würde, konnte ich nicht beurteilen, aber ich war mir bewusst, dass ich mich um ihn kümmern müsste, damit er wirklich wieder zurückfährt, und nicht in noch größere Schwierigkeiten gerät. Was wäre wohl geworden, wenn er in Magdeburg einfach in den Zug nach Berlin gestiegen wäre, worüber er nachdachte. Er wäre dort ohne Geld zu einer Zeit angekommen, wo auch kein Zug mehr zurückfährt.

Michael:
Ein gutes Gewissen hätte ich nie gehabt. Einerseits macht man eine hilflose Person nicht im Stich lassen. Andererseits möchte man ihn aber nicht seinen "Feinden" in die Hände spielen. Manch einer sieht im Sozialarbeiter einen "Feind", der ihn bevormundet.

Ulrich:
Den Eindruck hatte ich eigentlich nicht. Natürlich wird er von seinem Sozialarbeiter bevormundet, wenn es heißt, dass er um acht zu Hause sein muss und er auf keinen Fall auf einen Bahnsteig gehen sollte, aber das war ja offensichtlich auch berechtigt. Genau wie man Kindern ihre Grenzen deutlich machen muss, ist es anscheinend auch bei diesem Mann nötig, und ihm schien es auch irgendwie normal vorzukommen. Eltern müssen ja auch ihre Kinder bevormunden und werden deshalb nicht gleich als Feinde betrachtet.

Michael:
Auch ist mit Beamten vom Bundesgrenzschutz nicht zu spaßen. Wenn man DENEN barfuß begegnet, besteht die Gefahr, daß sie einen selber für verwirrt halten und nicht den anderen.

Ulrich:
Mit den Bundesgrenzschützern hatte ich nichts zu tun. Als ich aber sah, dass die Schaffnerin den Mann zunächst stehen ließ, dann an mir vorbei zu den beiden Beamten ging und diese in meine Richtung zu dem Mann hinter mir schickte, hielt ich es doch für besser langsam und unauffällig hinter einem Kiosk zu verschwinden, um keine Verwechslungen zu riskieren. Ich beobachtete den weiteren Vorgang dann aus sicherer Entfernung. Ich bin mir aber sicher, wenn die mich für den Verrückten gehalten hätten, wäre das auch sicher schnell aufzuklären gewesen. Die Schaffnerin kam ja bald zurück, sie begleitete den Mann auch wieder nach Braunschweig und meinen Zug hätte ich auf keinen Fall verpasst, da er erst später abfuhr. Vielleicht wäre so eine Verwechslung auch eine interessante Erfahrung geworden. :-)

Michael:
Allein das Bild: Eine hilflose Person wird von ZWEI bewaffneten Uniformierten wie ein Schwerverbrecher bewacht. Wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit?

Ulrich:
So war das Bild aber nicht. Die beiden Uniformierten standen auf dem Bahnsteig, der Mann in der Nähe, und sie beobachteten ihn. Er durfte sich ja sogar im Kiosk noch einen Kaffee kaufen. Da ging er alleine rein. Man beobachtete ihn nur, damit er sich nicht "verirrt".

Michael:
Ich hoffe, daß Dir das Ereignis im Zug nicht den Tag verdorben hat ...

Ulrich:
Das hat es auf keinen Fall! Schade war nur, dass ich auch auf nette Gespräche mit meinen Sitznachbarn über meine Barfüßigkeit hoffte, aber der erste, der sich zu mir setzte war ein Verrückter. Im Zug von Magdeburg nach Berlin setzten sich dann irgendwann noch zwei hübsche Frauen zu mir, nur das brachte mir auch nichts, weil die kein Deutsch konnten. :-(

Michael:
Auf jeden Fall schönen Dank für den gelungenen Bericht.

Ulrich:
Gern geschehen.

Viele Grüße

Ulrich


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