Ganzjahres-Barfüßer (Hobby? Barfuß! 2)

julia fiona, Wednesday, 02.08.2000, 23:30 (vor 8881 Tagen) @ lothar

Hi Lothar,
Du hast natürlich recht: Ein barfüßiger Mann in Anzug und Krawatte sieht seltsam aus. Und ich habe ja schon bekannt, dass ich finde, dass lange Hosen auch bei mir selbst nicht so recht zu Barfüßen passen. Ich glaube wirklich, dass ich als Frau mehr gegen den Business-Dresscode verstoßen würde, wenn ich beschuht in dem kleinen, buntbedruckten Sommerkleid, in dem ich gerade am PC sitze, zu einem Termin ginge, als barfuß und professionell gestylt wie üblich.
Allerdings tun Männer auch sehr wenig, um die Konventionen zu brechen. Freilich schon seit Jahrhunderten, anders sind Eure Uniformen nicht zu erklären. Männermode ist tradidtionell sehr einförmig, wofür der Einzelne natürlich nichts kann.
Das ändert sich aber gerade. Als ich vor zwei Monaten einen Freund in London besuchte (er ist Geschäftsführer und Gesellschafter einer e-commerce-Firma), trug er im Büro und auf Terminen (ich hatte Geschäfte mit ihm zu erledigen, half ihm als Übersetzerin und Beraterin bei einem Deutschland-Deal) zwar den üblichen, dreiteiligen dunkelblauen Zwirn zu weißem Hemd und Krawatte. Nämlich Jackett, Weste und - Wickelrock! Du hast richtig gehört: Wickelrock, wadenlang, maßgeschneidert aus feinster Wolle. Ich hatte das zuvor nur auf dem Laufsteg bewundert und mich noch gefragt, wer das wohl tragen solle.
Als Schuhwerk trug er dazu superteure, aus feinster Pflanzenfaser (Papyrus? irgendsowas) handgeflochtene japanische Flip Flops (die sicher einen Fachnamen haben) an den ansonsten mit japanischen Socken (denen mit den freistehenden ersten Zehen) bekleideten Füßen. Ich habe niemanden offen Beschwerde führen oder auch nur dumm gucken sehen bei unseren Meetings. Wir waren allerdings alle jung, Mitt-Dreißiger. Aber außer uns beiden verstieß niemand gegen den Dress Code.
Doch unter Bankern, denke ich, hätte er so nicht bestehen können.
Ich gebe auch zu, dass mein Freund mir erzählte, er habe, als er anfing, Rock zu tragen, sein "zweites Coming out" gehabt: Viele, denen das vorher egal gewesen war, sagten ihm in entwaffnender Direktheit auf die Nase zu, dass er schwul sei, oder fragten ganz unverblümt danach. Er ist zufällig schwul, aber so direkt angegangen zu werden, dürfte auch nicht für alle Schwule besonders angenehm sein.
In seinem Rock kam er übrigens ohne Schwierigkeiten in seinen snobistischen Club hinein. Als ich dort hinein wollte - ich hatte keine Lust, einmal im Regen draußen auf ihn zu warten, als wir verabredet waren - wurde ich abgewiesen. Ich fragte warum. Der Türsteher sagte: "I do not care for you being barefoot Madam, and I would not even care for anyone being in the nude, as long as the person concerned wears a tie and is male. That is our club policy, Madam. I'm very sorry." Mit anderen Worten: So lange Du nur eine Krawatte trägst, kommst Du bei den Briten - egal wie - als Mann in den exklusivsten Laden. Wenn das kein Trost ist (or isn't it?).
Julia


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