Zu früh gefreut! (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Monday, 31.03.2008, 19:50 (vor 6013 Tagen)

Nachdem ich als barfüßiger Zuschauer den Badener Limmatlauf beobachtet hatte und dabei auch einen zwar fett belaufschuhten, jedoch ansonsten völlig "vernünftigen" ehemaligen Arbeitskollegen nach Jahren wiedergesehen hatte, hielt ich mich nun auf dem Platz vor der reformierten Kirche in der Nähe des gebührenfreien Liftes (diejenigen in Bad Schandau und am Bürgenstock sowie das Senkeltram in Bern sind ja sauteuer) auf, um in den Strahlen der Sonne noch etwas zu verzehren, bevor ich barfuß gen Zofingen radeln würde. Immer noch war die schöne Stadt Baden voller Menschen. Die drei (oder waren es vier?) Leute, die so aussahen, daß sie, wenn sie mal zur Faust greifen, diese durchaus auch wirkungsvoll einsetzen konnten, saßen immer noch friedlich auf der Bank. Sie trugen immer noch dunkle Kleidung, und dem einen war es immer noch nicht zu kalt geworden, um barfuß zu bleiben. Seine Schuhe schienen immer noch an der selben Stelle zu stehen.

Meistens blickte ich hinunter zur Limmat, ins gegenüber liegende Ennetbaden, auf die Kinder, die hinter Tauben herjagten, auf Leute mit Hunden. Nur ab und zu fiel mein Blick in die Richtung der zum Drittel (oder war es zum Viertel) barfüßigen Gruppe. Da entdeckte ich, daß etwa im Abstand von 40 Metern vor der Gruppe zwei Polizisten standen und intensiv in deren Richtung blickten. Da die Polizisten barhäuptig waren und keine (Kalk-)Mützen trugen, fielen sie auf die Entfernung in ihren dunklen Uniformen gar nicht mal auf. Dann gingen sie weiter. Ich hatte den Eindruck, als ob sie nichts spezielles suchten, sondern durch bloßes Schreiten durch die Stadt den Stadtbesuchern Pseudo-Sicherheit übermitteln wollten.

Ich glaubte nicht, daß sich die Polizisten an meiner Barfüßigkeit oder Kurzhosigkeit stören würden, denn ich war ja weder der einzige Barfüßer, noch der einzige Kurzhösler auf Badener Stadtgebiet an diesem Frühsommertag. Trotzdem ließ ich die Beamten aber nicht aus den Augen. So bekam ich auch mit, wie der Blick des einen Beamten in meine Richtung fiel, dann auch der des anderen. Dann gingen sie auf mich zu. Ohne ein "Grüezi" fing der eine an zu fragen: " Wieso sind Sie barfuß?" Ich antwortete: "Das ist gesund, besonders an einem so angenehm warmen, jedoch nicht zu heißen Tag wie heute!" "Barfuß soll gesund sein? Im Sand vielleicht, aber doch nicht auf diesem harten Boden! Was sollen denn die Leute denken? Können Sie sich ausweisen?" entgegnete der Polizist.

Ich ging zum Velo, auf das ich meinen Rucksack mit den Papieren geklemmt hatte. Ob die Beamten das Schild "Nein, es ist nicht zu kalt" gesehen habe haben, kann ich nicht sagen. Zu dumm zum Lesen waren sie nämlich nicht, denn immerhin konnten sie aufgrund meines in Zofingen ausgestellten Ausweises erkennen, daß ich Schweizer Staatsbürger war. Der andere (ältere) Polizist sprach leise zum jüngeren Kollegen, so daß ich es vermutlich nicht mitbekommen sollte (oder glaubte er, daß ich seinen Dialekt nicht verstand?): "Wieder so ein Papierschweizer! Die in Zofingen bürgern wohl jeden ein!" Allmählich war meine gute Laune vergangen. Zwar kann ich mich über ein "künstliches Unterscheidungskriterium" zwischen "echten" und "unechten" Barfüßern amüsieren, aber wenn man lediglich die in der Schweiz geborenen Schweizer als "echt" bezeichnet und die "unechten" Schweizer mit Ausländern und Asylanten in einen Topf wirft und womöglich pauschal noch als "kriminell" bezeichnet, dann grenzt das an Rassismus. Da kann ich hässig werden. So etwas hasse ich, egal in welchem Staat so etwas passiert (nicht nur in der Schweiz).

"Ziehen Sie Schuhe an, Sie sind hier nicht im Busch, sondern in der Stadt!" befahl der ältere Polizeischerge, jetzt auf hochdeutsch. "Ich habe keine Schuhe dabei. Sagen Sie das zu jedem, der keine Schuhe trägt?" "Selbstverständlich, barfuß in der Stadt ist asozial." Darauf fragte ich: "Und wieso haben Sie den Gentleman auf der Bank nicht gebeten, Schuhe anzuziehen? Oder gehören ihm die Schuhe unter der Bank nicht?" Jetzt wurde der Beamte verlegen. Wenn er ehrlich gewesen wäre, hätte er gesagt: "Wir hatten Angst, daß wir dann zusammengeschlagen werden." Er sagte aber: "Der Mann trägt aber LANGE Hosen. Dann sieht man seine Füße nicht. Dann kann er von mir aus auch im Winter herumlaufen, das wäre mir egal!" Darauf sagte ich: "Ist es Ihnen denn auch egal, wenn jemand im Auto an einer roten Ampel wartet und Schnaps aus einer Flasche trinkt, die in einer Papiertüte eingewickelt ist, während Sie einen Menschen, der Schnaps aus einer als solche erkennbaren Schnapsflasche trinkt, zur Kasse bitten?" Darauf sagte der jüngere: "Das ist doch ganz was anderes. Alkohol am Steuer ist verboten, barfuß laufen aber nicht." "Wieso regen Sie sich dann so auf, wenn barfuß laufen nicht verboten ist. Oder ist das Tragen von kurzen Hosen etwa verboten? Dann hätten Sie heute etliche Leute beim Limmatlauf zur Kasse bitten können, die liefen übrigens dort unten am Ufer längs." Der jüngere entgegnete: "Das ist doch ganz was anderes! Wenn eine Sportveranstaltung ist, dann rechnen die anderen damit, daß die Sportler kurze Hosen tragen. Aber hier recht kein Mensch damit, daß einer zu dieser Jahreszeit barfuß oder in kurzen Hosen unterwegs ist. Die Leute erschrecken doch nur."

Allmählich merkte ich, daß es sinnlos war, mit diesen obrigkeitshörigen Beamten zu diskutieren. Ohne eine Antwort zu erwarten, fragte ich: "Gilt für Sie denn das, womit die Leute rechnen mehr als das Gesetz? Und wenn die Leute etwas sehen, womit sie nicht rechnen, handeln Sie so, wie wenn es verboten wäre?" (Den Ausdruck "Spießer" benutzte ich nicht, worüber ich mich im Nachhinein ärgerte. Beim Zusammenschiß durch "Dr. Simpel" besaß ich den Mut, etwa weil "Dr. Simpel" unbewaffnet war?) Es gab auch keine Antwort.

Der Ausweis wurde mir zurück gegeben, ich durfte, besser mußte gehen, und zwar sofort. Und nicht etwa zurück durch die Fußgängerzone, sondern ich sollte das Velo mit dem Lift hinunter zur Limmatpromenade befördern. Auch beschrieb er mir haargenau den Weg, wie ich aus der Stadt herausfahren sollte, ohne durch die Fußgängerzone zu müssen. Offensichtlich wollte er damit erreichen, daß ich nicht von allzu vielen fett beschuhten Spießern barfuß und in kurzen Hosen gesehen wurde.

Irgendwie war ich enttäuscht. Ich dachte immer, Baden wäre eine weltoffene Kleinstadt und hätte eine tolerante Stadtpolizei. So kann ich mich täuschen. Vielleicht bin ich ja zufällig an die fiesesten Beamten geraten. Vielleicht haben sich die Beamten auch über irgendwelche Leute geärgert, gegen die sie aus lauter Feigheit nicht vorgehen wollten. Oder sie mußten sich im Menschengetümmel irgendwelche lauten Beleidigungen gefallen lassen, etwa Jugendliche, die gleichzeitig aus mehreren Richtungen schrien: "Verdammte Bullen! Aufgeblasene Krötenarschkriecher." oder wer weiß nicht was. oder hatten sie sich etwa Blasen in die Füße gelaufen vom langen Patrouillieren, wobei sie viel lieber auch für den kürzesten Weg das Blaulicht-4rad verwenden würden? Und an mir haben sie sich nun abreagiert, weil sie mich für ungeschützt und wehrlos hielten? Wie dem auch sei, ich war verärgert. Erst als ich zu Hause war, hatte ich mich beruhigt.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen


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