Sofort alles fallen lassen (3. Teil) (Hobby? Barfuß! 2)
Samstag, den 17.11.2007, 18.21 Uhr: Ich befand mich im Regioexpreß von Genf in Richtung Lausanne, ich war selbstverständlich barfuß. Einige Fahrgäste, vor allem junge Frauen mit viel Make-up, Piercings und Schuhen mit Pfennigabsätzen (und teilweise auch mit aufgedunsenen Gesichtern) starrten auf meine nackten Füße. Ich fuhr nur bis Renens, wo ich planmäßig um 19.06 Uhr ankam. Als ich auf dem Metrobahnsteig einen Zug nach Flon stehen sah, stürmte ich barfuß dorthin, um ihn noch zu erreichen. Aber das mißlang: Pünktlich um 19.07 Uhr fuhr die Stadtbahn ab. "Scheiße!" rief ich laut.
Eine junge Frau (sie konnte deutsch) fragte mich, ob ich Hilfe benötigte. Ich antwortete, daß ich mich nur ärgerte, daß mir die Bahn vor der Nase abgefahren sei. Da meinte sie, daß 15 Minuten später die nächste fahren würde. Also wartete ich. Der Bahnsteig war doch einiges kälter als der in Genf, aber längst nicht so kalt wie der in Zug am frühen Morgen. Jedoch empfand ich die Kälte an Füßen und Beinen nicht störend.
Die nächste Bahn (TSOL) rollte ein, ich stieg ein, nahm Platz. Auch andere stiegen ein, teilweise Jugendliche mit Bierflaschen, sogar mit ganzen Trägern mit Bierflaschen. Der lauten Unterhaltung nach waren sie nicht mehr ganz nüchtern. Ich verstand deren Sprache nicht, es war aber kein Französisch. Dann betraten zwei Beamte der Stadtpolizei Renens den Wagen. Sie sahen sich kurz um und gingen auf den zu den sie suchten: nicht etwa auf den mir der lallendsten Stimme, den mit den meisten Bierflaschen, den meisten Tätowierungen, den mit der dunkelsten Haut, sondern den mit den nacktesten Füßen und Beinen, also mich.
Die Polizeischergen zogen mich vor den Augen erstaunter Fahrgäste aus dem Wagen. Die Jacke, die ich im warmen Zug ausgezogen hatte und nun wieder anziehen wollte, wurde mir abgenommen. Ich mußte mich gegen den Polizeiwagen stellen, damit die Bullen meinen Körper nach Waffen, Sprengstoff, Drogen und wer weiß nicht was abtasten konnten. Das taten sie sehr unsanft. Daneben stand eine junge Frau. Ich glaubte zuerst, daß es sich um eine Frau gehandelt hatte, die sich Sorgen um mich gemacht hatte und die Polizei gerufen hatte. Erst später merkte ich, daß auch sie zur Polizei gehörte, jedoch Zivil trug. Vermutlich hatte sie die Aufgabe gehabt, den Bahnhof zu beobachten und verdächtige Personen ihren Kollegen zu melden. Eine junge zierliche Frau, völlig unauffällig (kein aufgedunsenes Gesicht, keine Schminke), die auf dem Bahnhof steht, ist für solchen Dienst sicher geeignet. Kein Möchtegern-Randalierer würde ihretwegen aufs Randalieren verzichten. Und ein feiger Triebtäter würde es vielleicht bei ihr versuchen. Ein Lockvogel, scheinbar unschuldig.
Einer der Bullen konnte etwas deutsch. Ich mußte in die Bullenschleuder einsteigen, der Rucksack wurde mir abgenommen, meine Papiere durchwühlt. Man fragte mich, was ich in dieser Stadt zu suchen hätte (als ob man sich nicht frei in der Schweiz bewegen dürfe). Meine Erklärung, daß ich für 39 SFR von Zofingen mit der Bahn in der ganzen Schweiz fahren wollte, konnten sie nicht nachvollziehen. Ich wurde zur Polizeistation gefahren und dort in eine Zelle eingesperrt. Sogar meine Uhr mußte ich abgeben (meine Brille nicht). Manchmal war ich alleine, manchmal waren die Bullen (auch die Frau in Zivil mit dem eiskalten Gesicht) bei mir und stellten die unmöglichsten Fragen, wie sie nur in einem totalitären Überwachungsstaat wie der Schweiz möglich sein können. Man fragte mich, warum ich keine Schuhe dabei hätte, ich gab gesundheitliche Gründe an. Wieder war ich alleine. Meine größte Angst bestand darin, daß ich nicht mehr am selben Tag nach Zofingen kommen würde. Sicher hätte die Polizei mir die Mehrkosten nicht erstattet.
Wieder kamen sie zurück, der eine Bulle sagte: "Ich weiß nicht, wie es im Kanton Aargau ist. Hier im Kanton Waadt sind Männer, die im Winter ohne Schuhe und in kurzen Hosen in der Stadt angetroffen werden, ein Problem!" Dieser Satz schockte mich doch. Wobei ich jedoch nicht weiß, ob der Beamte lediglich unpassende Worte in einer fremden Sprache gefunden hatte oder ob er es wirklich so meinte. Wenn einer, dessen Muttersprache deutsch ist, eine solche Formulierung verwendet, ist das ein typisches Zeichen für Beamtenwillkür und Diskriminierung: Ich fragte: "Nur Männer? Frauen nicht?" Schweigen!
Dann kam noch ein Scherge der Waadtländer Kantonspolizei vorbei, der kein deutsch konnte, ein Stadtbulle übersetzte. Ersterer verlangte daß ich ihm meine Fußsohlen zeigen sollte. Suchte er etwa was? oder war das ein Fußfetischist? Es dauerte einige Zeit, dann gaben sie mir die Sachen zurück. Alle Papiere wurden wild in den Rucksack geknallt. Ich wurde zum Bahnhof gefahren und solange beobachtet, bis die Metro um 20.22 Uhr abfuhr in Richtung Lausanne-Flon.
Meines Erachtens war der Einsatz dieser Polizisten unverhältnismäßig. Ich wurde wie ein Schwerverbrecher behandelt, dabei lief ich nur barfuß und trug kurze Hosen. Beides ist nicht verboten. Gegen andere Personen, die auf dem Bahnhof lärmten, gingen die Bullen nicht vor. Verkehrte Welt. Es ist eine Schande, daß derart unqualifizierte Menschen wie diese Stadtbullen so viel Macht über andere haben. Sie besitzen die Unverfrorenheit, einen ehrlichen und anständigen Menschen, der keiner Fliege was zuleide tut und nichts verbotenes tut, auf so eine schäbige Weise die Zeit zu stehlen. Während der Fahrt nach Flon überlegte ich mir, wie ich mich an den unfähigen Stadtpolizisten rächen konnte. Mein Entschluß war, mich bei den Stadtpolizei über diesen unverhältnismäßigen Einsatz schriftlich zu beschweren. (Ich tat es übrigens am letzten Montag per Mail, mit Blindkopien an die Stadtverwaltung von Renens und verschiedene Zeitungen, bisher noch keine Reaktion).
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen (Fortsetzung folgt)