Hallo Tiziana

Vielen Dank, für deinen schönen Bericht. Solche Reiseerlebnisse lese ich immer wieder gerne.

Am Abend habe ich meine Patenkinder besucht. Das sind drei Jugendliche aus Albanien, die in Rom studiert haben und jetzt arbeiten, und die sich, abgesehen von der Temperatur des Untergrundes, nach wie vor nicht trauen, in Rom barfuß zu laufen.
Und doch sind sie als Kinder in ihrer Heimat viel barfuß gelaufen. Sie sagen, das hätten sie gern getan, was ich ihnen auch glaube. Ich habe ihnen angeboten, nach dem Abendessen einen kleinen Barfuß-Spaziergang mit mir zu machen, was sie aber abgelehnt haben. Sie erzählen, sie hätten früher Spaß am Barfußlaufen gehabt, wohl aber deshalb, weil sie sich als Kinder nicht bewusst waren, dass ihre Barfüssigkeit armutsbedingt war.

Das scheint ein typischer Fall von "Was sollen die Leute denken?" zu sein. Es ist immer wieder schade, wenn sich Menschen nicht trauen etwas zu tun, weil sie fürchten dann weniger geachtet zu werden. Dabei kann es einem eigentlich egal sein, was Leute denken, die einem völlig fremd sind. Kann man denn deinen Patenkindern überhaupt ihre albanische Herkunft ansehen? Die Menschen sehen doch in Albanien sicher auch nicht anders aus als in Italien, oder? Es mag ja sein, dass man an der Sprache Unterschiede hört, etwa durch einen Akzent, aber solange man den Mund hält, sollte das doch wohl keiner merken.
Wie alt sind denn deine Patenkinder? Vielleicht so Mitte 20? Dann besteht durchaus Hoffnung. Auch hier im Forum ist ja zu beobachten, dass die meisten erst so mit Mitte 30 oder um die 40 anfangen konsequent barfuß zu laufen. Ich glaube vorher ist das Bestreben nach Integration in einen Bekanntenkreis einfach größer als der Wunsch nach Befriedigung der persönlichen Sehnsüchte. Erst ab dem genannten Alter ist das Selbstbewusstsein ausgeprägt genug, damit einem die Ansichten fremder Leute egal sein können und man es auch wagt den Freundeskreis mit solchen Eigenarten wie Barfußlaufen zu überraschen.
Wenn deine Patenkinder also früher Spaß am Barfußlaufen hatten und du es ihnen auch weiterhin vorlebst, kommen sie vielleicht eines Tages doch noch darauf. Wer weiß?

Jetzt besteht das Problem aber darin, dass Albaner in Italien im Allgemeinen nicht sehr beliebt sind, und sie wollen deshalb lieber nicht auffallen. Dabei sind sie perfekt integriert. Den Spaziergang in der Altstadt haben sie zwar mitgemacht, aber beschuht, was ich durchaus respektiere, wie sie auch die barfüßige "Patenmutter" akzeptieren.
Sonst ist nichts Nennenswertes während meinem kurzen und barfüßigen "Roman Holiday" passiert.

Es freut mich, dass du eine so schöne Kurzreise hattest. Übrigens von der enormen Hitze in Italien hättest du uns ruhig ein wenig nach Deutschland schicken können.

Viele Grüße nach Italien

Ulrich