Barfuß in Portugal (Hobby? Barfuß! 2)

Harald, Stammposter, Tuesday, 20.03.2007, 22:40 (vor 6460 Tagen)

Vor nicht allzu langer Zeit gab es ja hier einen Thread zum Thema "Barfuß in Spanien" mit einem kurzen Abstecher ins nachbarliche Portugal und dessen Hauptstadt Lissabon. Da mir dieses Land ja sehr am Herzen liegt, will ich ein bisschen meinen Senf dazu geben.

Zunächst einmal: Nie sollte man diese beiden Länder miteinander verwechseln, wenn auch ein erster Blick auf die Europakarte dazu verleiten könnte. Die beiden Sprachen sehen geschrieben recht ähnlich aus, klingen aber dann doch ganz anders, und damit sind die Gemeinsamkeiten auch schon ziemlich erschöpft. Ein genauerer Blick auf die Landkarte verrät, dass es ziemlich menschenleere Berglandschaften sind, die Portugal von Spanien trennen. Die portugiesische Kultur hat sich immer zum Meer hin orientiert, die Nachbarn sind also z.B. Marokko, Brasilien, Venezuela, die USA und England. Die Frage, ob Portugal überhaupt zu Europa gehört, wurde zwar durch den EU-Beitritt vor zwei Jahrzehnten beantwortet, aber noch immer gibt es recht enge Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien Angola und Mocambique. Und schließlich ist da auch heute noch trotz eines portugiesischen Wirtschaftswunders ein beachtliches Wohlstandsgefälle zwischen Spanien und Portugal. Freunde von mir leben an der Grenze in den portugiesischen Bergen, sie erleben das in vielen Alltagsdingen schon ein wenig wie die Grenze zwischen der 1. und der 3. Welt.

Jetzt aber langsam die Kurve zum Thema gekratzt... Ich versuche halt einfach, ein paar barfüßige Erinnerungen aus Portugal hervorzukramen...

Im Sommer 1989 komme ich auf einer Interrail-Tour quer durch Europa zum ersten Mal nach Portugal. Wir staunen über rostige Eisenbahnwagons hinter uralten amerikanischen Diselloks, Bauern, die mit Kühen die Felder pflügen, und über die Gastfreundschaft. Wir dürfen nicht nur in ländlichen Bahnhöfen übernachten, sondern werden dann in der Früh sogar noch mit Kaffee versorgt. Oft bin ich barfuß auf dieser Reise. Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemand gestört hätte.

1991 komme ich wieder und fahre in den Nationalpark im Norden des Landes. Ich erinnere mich an die Jugendherberge in der ehemaligen Kaserne, Bäuerinnen, die barfuß in ihren Gemüsefeldern arbeiten, und an ein Paar aus Lissabon. Sie zelten am Dorfrand, beide kommen am Abend barfuß ins Dorfgasthaus. Ich besuche noch ein paar Städte (Braga, Coimbra, Lissabon) und bin selbstbewusst genug, um auch dort barfuß zu sein.

Im Frühling 1993 wandere ich mit meiner damaligen portugiesischen Freundin durch die Provinz "Tras-os-montes" im Nordosten des Landes. Eine glückliche, ganz viel barfüßige Zeit.

Im Februar 1995 genieße ich nach dem Abschluss meines Studiums ein wenig die Sonne, die blühenden Mandelbäume und die reifen Orangen in Südportugal. Es ist meine einzige Reise in die vielen Touristen bekannte Provinz Algarve. Barfuß entlang der endlosen Sandstände ist herrlich. Das Leben der Leute ist hier viel moderner als im Norden. Vielleicht fallen auch deshalb meine nackten Füße (und erst die meiner Freundin) den Leuten mehr auf. Das Ende unserer Barfußzeit kommt aber erst am Heimweg - bei Nebel und Regen kann es in Lissabon tatsächlich recht ungemütlich kalt sein.

Auch bei einer Reise nach Madeira 1996 bin ich viel barfuß. Woran ich mich gut erinnere, sind alte Fotos, auf denen viele barfüßige Leute zu sehen sind. Barfüssigkeit ist hier offenbar ein Teil der noch recht frischen Erinnerung an die äußerste Armut weiter Bevölkerungsschichten.

2002 verbringe ich wieder ein paar Wochen im Winter in Portugal, v.a. im Alentejo, ein bisschen auch im benachbarten Spanien, in der Extremadura. Das Land hat sich sehr verändert, neben den alten Maultierpfaden führen Autobahnen durch die Oliven- und Korkeichenhaine, die Slums um die Großstädte wurden durch moderne Wohnblocks ersetzt. Auch meine Art zu reisen hat sich geändert. Ich genieße die Bequemlichkeit netter kleiner Pensionen und besuche Freunde, die längst Familie haben. Mit meinen alten Jeans und meinen Sandalen fühle ich mich da oft schon ein wenig "underdressed". Ich kaufe mir unterwegs sogar ein Paar Halbschuhe und eine schönere Hose... Ganz untreu werde ich mir aber nicht, in "Feld und Flur" ziehe ich meine Schuhe schon ganz gerne aus, auch wenn in den Bergwäldern die Schalen der Esskastanien eine ziemliche Herausforderung darstellen. Ein schöner barfüßiger Spaziergang führt zum Steinkreis von Almendres nahe der Stadt Évora - ein südliches Gegenstück zu Stonehedge. Ich besuche eine Botanikerin, die ich von einer Exkursion in Tschechien kenne. Wir treffen uns in der Altstadt von Lissabon. Dalila begrüßt mich mit: "Du trägst tatsächlich Schuhe???" Dann erzählt sie mir, dass sie früher bei der "Geländearbeit" meistens barfuß war. Ich erinnere mich, dass ich sie bei dieser Exkursion tatsächlich dazu inspiriert habe, es wieder einmal zu tun. Jetzt hat sie eine angesehene Stellung an der Uni und nicht mehr viel Zeit zum gemütlichen barfüßigen "Botanisieren".

Die Quintessenz: Barfuß gehen in Portugal ist nicht wirklich üblich, aber auch nicht unmöglich. Es muss wohl jede(r) Reisende(r) selbst entscheiden, wie weit es ein Problem ist, sich von den in der Regel recht schick gekleideten Portugiesen abzugrenzen und denen vielleicht ein kleines Rätsel aufzugeben. Die Polizei wird sicher nicht gegen Barfüßige einschreiten, die agiert im allgemeinen überhaupt geradezu britisch höflich und zurückhaltend, und gesetzliche Barfußverbote gab es nur zu den Zeiten der heute allgemein verhassten Salazar-Diktatur. Damals dienten sie wohl dazu, die ärmsten Bevölkerungsschichten aus den Stadtzentren fernzuhalten. Ein Unterschied zu Mitteleuropa ist aber sicher: Wer sich in Portugal über nackte Füße wundert, wird nicht den Kopf schütteln, sondern nachfragen. Das kann wunderbar kommunikationsfördernd sein. Manchmal aber auch nervig.

Wer noch etwas dazu nachlesen möchte: Vom Nobelpreisträger José Saramago gibt es das wunderbare Buch "Hoffnung im Alentejo", das die Armut in der portugiesischen Provinz vor der "Nelkenrevolution" von 1974 eindringlich schildert. Dort wird auch der Faustina Mau-Tempo, die es nicht gewohnt ist, Schuhe zu tragen, ein bescheidenes Denkmal gesetzt.

Im englischen Forum der ehemaligen "Dirty Sole Society", das ich aus Zeitmangel nicht mehr regelmäßig verfolge, schrieb oft ein gerne barfuß gehender Krankenpfleger aus Braga in Nordportugal.

Und dann gibt es natürlich noch die wunderbar melancholische Musik der meist barfuß auftretenden Cesaria Evora aus der Hafenstadt Mindelo auf den Kapverdischen Inseln, bis 1975 ebenfalls eine portugisische Kolonie. Und für mich bald wieder ein Ziel einer Urlaubsreise.


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