Zofinger Verhältnisse in Mülhausen (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Wednesday, 18.10.2006, 08:15 (vor 6550 Tagen)

Samstag, 14.10.2006: Ich radelte vom Stadtzentrum Mülhausens parallel zum Trassee der Tramlinie 2 in Richtung Universität. Kurz vor der dortigen Haltestelle wußte ich einen Platz mit Fahrradständern, dort, wo ich auch bei der Trameinweihung mein Velo stehen gelassen hatte. Wie damals war der Velostand leer. Auch liegt er scheinbar an einem für zwielichtiges Gesocks unattraktiven Platz, auch war er von der viel befahrenen Straße gut einsehbar. Mit anderen Worten: Hier war die Wahrscheinlichkeit recht groß, daß ich das Velo anketten konnte und nach Stunden auch unbeschädigt wieder finden würde. Allerdings gab ich mir Mühe, allfälligen Plünderern das Handwerk zu erschweren. Aber gegen solche, die nicht stehlen, sondern "nur" zerstören wollen, ist selbst die beste Sicherung nicht sicher genug. Ich war auch froh, daß mich keiner näher beobachtete. Denn wenn man als Barfüßer oder sonst wie durch Kleidung oder sonstiger Andersartigkeit den in Frankreich leider häufigen kriminellen und frustrieren Jugendlichen beim Anschließen des Fahrrades beobachtet wird, könnten diese ihren Frust am Fahrrad ihres Feindes auslassen, während sie ein angekettetes Fahrrad an sich nicht interessiert.

Über neuen Asphalt wanderte ich auf dem Fuß- und Radweg, der durch das Tram auf eigenem Trasse von der Straße abgetrennt ist, vorbei an Sportanlagen in Richtung Stadtzentrum. Gerne wäre ich barfuß auf dem begrasten Gleisanlagen gegangen, aber da kam andauernd eine "blöde" Straßenbahn, die einfach nicht ausweichen wollte. Wieso kann man nicht alle Bahngleise mit barfußfreundlichem Gras anstatt mit dem fiesen Schotter versehen? Spätestens nach der Stilllegung der Bahn wird jeder, der gerne barfuß Resten stillgelegter Bahnen nachsäckelt, dankbar sein. Aber eine Bahn sollte doch eigentlich eingerichtet werden, daß sie fährt und nicht dafür, daß Barfüßer nach ihrem Ableben (dem Ableben der Bahn, nicht der Barfüßer) auf den ehemaligen Dämmen wandeln.

Ich erreichte die schöne Altstadt, komische Blicke von älteren Leuten, lästernde Töne von Jugendlichen. Aber die meisten Leute schien meine Aufmachung nicht zu interessieren. Die Leute waren beim Einkaufen oder es waren Touristen. Das "echte" Gesocks hält sich nicht in der Altstadt auf. Die Mülhausener Altstadt ist aber nur klein. Sehr schnell erreicht man die weniger attraktiven Viertel. Ich folgte dem Gleis der Tramlinie 1 in Richtung "Noveau Bassin". Direkt an der Endhaltestelle ist ein gewaltiger Gebäudekomplex mit Kino. Hier kurvten drei Kinder von ca. 11 Jahren (vermutlich arabischer Herkunft) mit ihren Fahrrädern auf dem Perron, überquerten bei Rot Ampeln und schrieen nur: "Pieds nuit" (oder schreibt sich das anders?). Auch fuhren sie haarscharf an mir vorbei, beinahe wäre einer dabei auf die Gleise geraten und mit einem Tram zusammengestoßen. Wäre doch schade gewesen - ums schöne gelbe Tram.

Ich überquerte die Straße und begab mich dorthin, was der Haltestelle ihren Namen gab. Es gab eine schöne Grünanlage, jedoch gab es auch Äste, auf die man aufpassen mußte (In der Schweiz mit ihrem Sauberkeitsfimmel hätte man derartige Äste sicher schon entfernt). Ich setzte mich auf eine Bank, um was zu essen. Zwei Männer, ein schwarzer und ein weißer, die so aussahen, als würden sie sich gerne prügeln, gingen durch die Grünanlage. Aber sich sagten nichts zu meiner Barfüßigkeit, der "Neger" sagte nur: "bon apetit", was wohl soviel bedeutet wie "a guete" in der Deutschschweiz.

Ich verließ die Anlage und folgte der Linie 2 bis zum zentralen Knotenpunkt, um dann der Linie 1 in Richtung "Rattachement" zu folgen. Je mehr ich mich vom Zentrum entfernte, desto "fremder" wurde die Bevölkerung. Spätestens nach dem Automuseum, von wo ein asphaltierter Weg zur Haltestelle "Doller" führte, war es mit dem gewissen "schweizerischen Flair" Mülhausens vorbei. Das Trottoir über die Eisenbahn bestand aus baufälligem Asphalt auf der alten Straßenbrücke, das über die Autobahn aus neuem Asphalt auf der neuen Trambrücke.

Vor einem Kiosk im Stadtteil Bourtzwiller nahe der Sportanlagen lungerte ein Haufen gelangweilter Halbstarker scheinbar nicht französischer Herkunft. Einer sah mich, zeigte auf meine Füße, ich ging vorbei. Einer der Idioten rannte aus dem Pulk und versetzte mir einen Tritt in den Hintern, der einzige Teil von mir, der eine "natürliche Polsterung" ausweist. Hätte er mit seinen fetten Stiefeln auf meine Füße getreten, wäre das sicher schmerzhafter gewesen. Vielleicht war das Tragen einer Hose mit nicht gerade überreichlichem Bedeckungsgrad der Grund, mir ausgerechnet in den Hintern zu treten und nicht woanders hin. Ich hatte jedoch meinen Sprechapparat nicht unter Kontrolle und schrie: "Arschloch!" In Deutschland oder der Deutschschweiz hätte das wohl dieses kriminelle Pack noch mehr gereizt. Dann rief ich auch noch: "Kameltreiber!" Ich sah mich noch öfters um, um sicher zu gehen, ob die mich nicht verfolgten.

So erreichte ich den gegenwärtigen Tramendhalt, danach nahm die Qualität der Bodenbeschaffenheit rapide ab, wird wohl bei der geplanten Tramverlängerung auch durch guten Asphalt ersetzt. Zurück ging ich durch ein Wohnquartier. Eine junge Autofahrerin hielt an, fragte erst etwas, was ich aufgrund mangelnder Französischkenntnisse nicht verstand. In gebrochenem deutsch sagte sie, sie würde ihre Mutter fragen, die könne besser deutsch. Die Mutter saß im nachfolgenden Auto. Sie fragte mich, ob ich Hilfe benötige. Ich erklärte ihr, daß ich öfter barfuß sei und es nicht zu kalt sei. Als ich dann noch erzählte, daß ich in gut 4 Stunden mit dem Velo aus der Schweiz nach Mülhausen gekommen sei und nun zu Fuß durch die Stadt wanderte, war sie zufrieden.

Wieder überquerte ich Auto- und Eisenbahn auf denselben Brücken wie vorher und folgte dann dem Radweg in Richtung Automuseum. Die Leute, die das Museum verließen, beachteten mich nicht. Es folgte ein kurzes Stück Straße mit "Hinterhofromantik", bevor das Geschäftsviertel beginnt. vor den Häusern lungerten fremdländische Gestalten. Führten auch die etwas gegen mich im Schilde. Zumindest beäugten die mich argwöhnisch. Einige kleinere Kinder schielten auch um die Ecke, traten dann wieder hervor. Ich ging langsam weiter. Plötzlich verschwanden die älteren Kinder, nur die jüngeren blieben stehen. Ein Polizeifahrzeug kam angefahren. Ich nahm an, das die Jugendlichen wohl irgendwas verbrochen haben und nun die Polizei ihnen auf der Spur war. Würde ich nun Zeuge werden, wie sich kriminelle Jugendliche mit Polizisten prügeln?

Was die nächsten Stunden passierte, paßt nicht in diesen Beitrag. Gegen 18 Uhr war ich wieder bei meinem Fahrrad, es stand unversehrt dort. Es hatte etwas geregnet. Ich hatte keine Lust, noch länger in der Stadt zu bleiben, obwohl ich am Fuße des Illbergs einen Schlafplatz wußte. Also radelte ich in Richtung Stadtzentrum, schob mein Velo da durch, um aber Hauptbahnhof auf Straßen in Richtung Veloweg am Kanal zu fahren. Hier war weit und breit kein Mensch. Nach Basel radeln wollte ich im Dunkeln auch nicht mehr. Aber kurz vor Kembs fand ich ein Waldstück, das sich als Schlafplatz anbot (danach würde es nur Felder am Kanalufer geben). Es war etwas mühsam, das Fahrrad in den Wald zu schieben, da einige umgestürzte Bäume den Weg versperrten. Aber hier war ich ungestört, keine kriminellen Jugendlichen mehr, nur noch Natur. Und ich war mit ihr direkt verbunden, ohne Abschottung durch lästige Schuhsohlen.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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