Barfuss im 20. Jahrhundert (Hobby? Barfuß! 2)
Lieber Markus
Vorerst eine kurze Antwort zur off-topic Frage: Die Schweiz als rohstoffarmes Land litt besonders unter der Kohlenknappheit während des ersten Weltkrieges. Die ersten Schritte zur Elektrifizierung der Schweizerischen Bundesbahnen kam deshalb einer Feuerwehrübung gleich. Hauptobjekt war die Gotthardlinie. Die später berühmten Elektrolok Be 4/6 (Gotthardschnellzugsmaschine) und Ce 6/8 (Krokodil) (Gotthardgüterzugsmaschine) mussten bestellt werden, bevor die Prototypen erprobt waren. Knapp, aber recht gut gibt http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Schweizer_Eisenbahn Auskunft.
Ich wuchs in Buchs, Kanton St. Gallen, auf (deshalb auch das Bild) und zwar in den vierziger und fünfziger Jahren. In dieser Gegend, die damals noch stark landwirtschaftlich geprägt war (Kleinbauern), gingen alle Kinder barfuss. So dürfte es in den meisten ländlichen Gebieten gewesen sein (ausser in den hochliegenden Siedlungen der Berggebiete, wo der Sommer sehr kurz ist), denn das Barfusslaufen ersparte den Eltern die Anschaffung von Schuhen für die schnellwachsenden Kinderfüsse. Wer nicht barfuss ging, war Aussenseiter, deshalb trugen auch die Kinder wohlhabender Eltern keine Schuhe. Es war ein regelrechter Wettbewerb, wer seine Eltern im Frühling zuerst überzeugt hatte, dass es nun Zeit war, die Schuhe wegzulassen. Auch in der Schule wurden die nackten Füssen problemlos von allen Lehrern akzeptiert, das Gegenteil wäre auf völliges Unverständnis gestossen. Schuhe trug man in der Regel am Sonntag, für den Kirchgang (aber auch nicht allgemein). Seltsamerweise konnte man sich eine barfüssige Bergwanderung kaum vorstellen. Da quälte man sich dann mit den Skischuhen (die allerdings noch nicht die Folterinstrumente von heute waren), denn Wanderschuhe im heutigen Sinne gab es natürlich nicht. Erwachsene Männer hatten Militärdienst geleistet und waren deshalb im Besitz von (hohen) Militärschuhen, die als zweckmässige Berg- und Wanderschuhe dienten. Auch bei meiner Freizeitbeschäftigung, der Pfadfinderei, trug man zur korrekten Uniform stets hohe Schuhe, allenfalls wurde innerhalb des Sommerlagergeländes barfuss gelaufen.
Meine Mutter stammte aus dem Kanton Aargau, einem schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stark industrialisierten und deshalb wohlhabenderen Gebiet. Dort scheint das Barfusslaufen schon in ihrer Jugendzeit (also 10-er und 20-er Jahre) nicht mehr üblich gewesen zu sein.
Nein, meine Barfusskarriere hörte mit der Kindheit auf. Zur Ausbildung kam ich nach St. Gallen und in der Kantonshauptstadt im Gymnasium wäre natürlich (?) das Barfusslaufen undenkbar gewesen (die Regeln damals waren einfach noch strenger und wurden nicht hinterfragt). Auch meiner späteren beruflichen Tätigkeit und dem damit verbundenen Status wäre das Barfusslaufen in einer Kleinstadt wohl nicht gerade zuträglich gewesen. Es ist vielleicht ein Ausdruck der mit der Pensionierung zurückgewonnenen Freiheit, wenn ich mir heute gestatte, (fast) überall barfuss zu laufen, wobei ich nicht darauf aus bin, Leute zu beleidigen oder zu schockieren, d.h. also, dass ich von Fall zu Fall halt Schuhe anziehe. Meine guten Freunde und Bekannten kennen allerdings meinen Spleen und akzeptieren durchaus, wenn ich ihr Haus ohne Schuhe betrete.