Barfuß & Aberglaube (Hobby? Barfuß! 2)

Eugen, Stammposter, Thursday, 15.09.2005, 15:32 (vor 7016 Tagen) @ bix

Hallo bix,

jetzt muß ich aber mal ein ernstes Wort sprechen :-)))))

Lorenz hat ja schon seinen Standpunkt dargestellt. Und jetzt spricht noch ein Naturwissenschaftler, der mit Sokrates sagt: Ich weiß, dass ich nichts weiß -- und noch nicht einmal das!

Den Begriff ABERGLAUBEN gibt es in meinem Sprachschatz überhaupt nicht! Was soll denn das sein? Der Begriff Aberglaube wird doch wohl abwertend für einen Glaubenssatz oder ein Glaubensgebilde gebraucht, das dem eigenen unterlegen eingestuft wird. So wird der (pantheistische) Glaube an Elfen nach allgemeiner Meinung des christlichen Kulturkreises als Aberglaube einzustufen. Was für eine Arroganz! Man kann an Elfen -- Engel -- Trolle und was weiß ich glauben; Hauptsache man wird glücklich dabei und schädigt nicht andere Menschen (wie zum Beispiel der abartige Satans-Teufelsglaube im Mittelalter mit "Hexen" und Scheiterhaufen).

Wenn ich barfuss alleine im Wald sparzieren gehe, kann ich all diese archetypischen Heiden-Religionen nachempfinden. Stehe ich rücklings gelehnt barfuss unter einer großen Linde, Eiche oder Rotbuche, dann wird mir dieser Baum zu einem Tempel -- ja man möchte ihn umarmen um noch mehr neue magische Kraft zu schöpfen. Das Glaubensbekenntnis dieser Natur-Spiritualität wäre dann die Rede des Häuptlings Seattle von 1855 an den amerikanischen Präsidenten.

Jemand, der in seiner rationalen Welt noch Wissenschaft, Philosophie (kritischer Rationalismus) und Kunst als Religion hat, ist natürlich daran interessiert, herauszufinden, woher die über alle Völker ähnlichen Märchenmotive wie Hexen, Drachen, Höhlen, Zauberer, magische Fähigkeiten wie Fliegen, Verlust von Vertrautem, Rätselaufgaben,.. eigentlich kommen. Sie tauchen auch heute noch in Filmen wie Star wars, Herr der Ringe und Harry Potter in gewandelter Form immer wieder auf.

Eine Antwort darauf hat schon der Tiefenpsychologe C.G. Jung gegeben, aber die moderne evolutionäre Baby-Forschung (Alison Gopnik) liefert noch schlüssigere Antworten:

So sieht das Baby in den ersten Monaten nur im Bereich von zirka 20 bis 25 Zentimetern scharf, das übrige Blickfeld ist in ein rundes, unscharfes Hell-Dunkel getaucht - wie in einer Höhle mit Lichtreflexen. Wird ein noch nicht gehfähiger Säugling getragen, so hat er Reit- und Flugerlebnisse. Um den fünften Monat kommt es zu einer dramatischen Veränderung. Die Sehschärfe weitet sich, das Kind beginnt, auch entfernte Objekte und Details zu erkennen; insbesondere an seiner Mutter: deren Gesicht, Figur und Augen. Das Baby muß sich also von der bislang unscharfen und primär greifbaren "alten" Mutter trennen, um gleichsam seine "neue Mutter" zu entdecken.

Diese Trennung erzeugt Angstgefühle und zwingt zum Kampf. Das Baby lebt in den ersten Monaten "wie in einer endlosen Zaubervorführung". Nach etwa 18 Monaten ist diese vorsprachliche, magische Phase abgeschlossen und versickert in den Kanälen unseres Unterbewusstseins, lebt aber in unseren Träumen fort, auch als Erinnerung an ein Land, in dem man fliegen konnte und wo Dinge von einem Ort zum anderen zu wirbeln schienen, wenn sie nicht gerade auf unerklärliche Weise verschwanden. Es bleibt aber auch die Erinnerung an einen Ort der Finsternis zurück, an die Angst vor der Dunkelheit, in der Kämpfe überstanden werden mussten. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres beginnt die Logik der Sprache, auch die Gebotswelt und Verbotswelt der Eltern, die Wahrnehmung des Kindes stärker zu bestimmen.(Das verlorene Paradies; Alice im Wunderland)

Alle diese Dinge sind also real, sie leben in unserem Unterbewußtsein.
Sie haben damit zu tun, wie wir als Embryo allmählich mit der unbegreiflichen Natur in Beziehung getreten sind.

Vielleicht ist so auch das Barfußlaufen der Versuch, seine im Unterbewußten verloren gegangene Kindheit (Babyzeit) wiederzuentdecken. Ich empfinde es manchmal so. Oder wie sagte der französische Abenteurer und Dichter

Charles Baudelaire:

Genie, das ist die willentlich wiedergefundene Kindheit.

Beste Grüße

Eugen


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