Barfuß Eisenbahn- und Trolleybusresten nachgesäckelt (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 09.05.2005, 14:16 (vor 7144 Tagen)

Freitag nach Himmelfahrt: Ich hatte im Schlafsack an einem Flußufer übernachtet, zwischen Dino und Tesserete im Tessin. Es war kurz nach 7 Uhr, als ich meine Sachen zusammenpackte. Im riesigen Rucksack war so ziemlich alles, nur Schuhe suchte man dort vergebens. Der Aufstieg nach Tesserete war hart. kaum aus dem Schlafsack, dann ein paar nasse Stellen durchwatet und dann über einen Wanderweg, steinig und mit Maronis und Bucheckern garniert. Wenn ich Schuhe dabei gehabt hätte, wäre ich schwach geworden und hätte ich sie schon jetzt angezogen. Nun aber mußte ich barfuß weiter. Zu allem Übel mußte ich auch noch auf Scherben und Dornenranken aufpassen. Ich war froh, alos ich Asphalt unter den Füßen spürte. ich durchschritt den historischen Borgo, wo ich kaum auffiel, obwohl ich der einzige ohne Schuhe war. Es folgte eine Treppe, die jedoch aus ekligem Bruchgestein bestand, dazwischen Scherben, teilweise Brennessel.

Dann folgte eine Asphaltstraße zum Kloster Santa Maria. Ich hätte auch den mit Maronis übersähten Wanderweg benutzen können, aber das wollte ich mir nicht antun. Vor dem Kloster waren Leute damit beschäftigt, ein Zelt abzubauen, vermutlcih fand hier am Himmelfahrtstag eine kirchliche Veranstaltung statt. Scherben waren nicht vorhanden, lediglich die Papierkörbe waren voll (und wurden auch noch von den Zeltfritzen entleert, während ich dort Pause machte). Die Zeltfritzen grüßten freundlich, nahmen aber zu meiner Barfüßigkeit keine Notiz, ebenso die fett bewanderschuhten Leute, die hier vorbeikamen. Man sieht, daß nicht jede Festlichkeit in eine "Scherbenorgie" ausarten muß. Oder hatte der liebe Gott persönlich dafür gesorgt, daß hier nichts zertrümmert wurde? Mag sein! Allesdings sorte er aber nicht dafür, daß ich ohne Schmerzen die 4 Tage überstanden hatte. Oder habe ich etwa das falsche "Parteibuch"?

Ich wanderte wieder hinunter nach Tesserete, weitgehend auf der Straße, aber an einer Stelle war eine nagelneue Betontreppe zu einem Parkhaus. Mittlerweile war es heiß geworden. Der Rasen vor der Kirche von Tesserete sorgte für eine vorrübergehende Abkühlung meiner Füße, auch in den Gassen des Städtchens war es schattig. Lediglich eine Frau schien etwas erstaunt zu sein über meine Aufmachung. Aber am früheren Bahnhofsgebäude der längst stillgelegten Kleinbahn Lugano - Tesserete (heute wird das gut erhaltene Gebäude noch für vergleichbare omnibusspezifische Dinge genutzt) war es heiß, hier warteten einige Leute, darunter auch ein junges Paar, er lediglich mit Mütze Turnhose, Sandalen und dicken Socken bekleidet, sie mit Mütze, Bikinioberteil, langen Jeans und Flipflops. Ihre Füße waren dunkelgrau gefärbt vom Straßenstaub.

Ich verließ Tesserete, wollte wieder einen Wanderweg benutzen, der teilweise sogar über Wiesen führte. Leider führte er nicht dorthin, wo ich wollte. Ich konnte nur denselben Weg zurück, einen anderen Weg nach Tesserete oder nach Dino wandern. Da ich letzteres partout nicht wollte, ging ich wieder nach Tesserete auf anderem Weg, um dann der vielbefahrenen Hauptstraße Richtung Lugano zu folgen. Diese Straße war mit ziemlich viel Steinen verunziert, vermutlich infolge Kavalierstarts von Autos, die neben der Straße gehalten haben. In Lugaggia konnte ich in eine Quartierstraße ausweichen, der folgte ich, bis sie wieder an der Hauptstraße endete.

Hier stieß ich auf das frühere Wartehäuschen der dortigen früheren Bahnstation. Nun wollte ich es Ulrich nachmachen und barfuß auf dem früheren Bahndamm weiterwandern. zuerst ging es noch, Sand, teilweise Gras usw. Dann aber folgte eine Passage aus Bruchgestein, vermutlich hat man das Felsgestein als Gleisschotter verwendet. Ab und zu ein Stück über Betonplatten am Rand, in denen früher Kabel lagen, aber diese waren teilweise zerbrochen oder es wuchsen Brombeeren darüber. Besonders eklig war eine in den Fels gehauene Passage. Wo etwas Laub lag, trat ich hin, aber auch hier waren Maronistacheln und Bucheckern keine Mangelware. Einige böse Zeitgenossen hatten hier noch ihre Gartenabfälle, darunter Rosenreste, entsorgt (Im Tessin besteht vielfach noch die Unsitte, Gartenabfälle einfach in irgenwelche Schluchten zu kippen und dem nächsten Hochwasser die Entsorgung zu überlassen. Fairerweise muß man sagen, daß nur selten Plastik, Glas und Metalle so entsorgt werden, nur vergängliche Sachen. Aber was nützt das einem Barfüßer!). Endlich war der Bahndamm aber zum asphaltierten Feldweg umfunktioniert, sogar Häuser hat man dort errichtet. Der Asphalt war relativ neu und somit gut begehbar, aber sehr heiß. Das nächste Stück Bahndamm war völlig naturbelassen, Pflanzenbewuchs mit etwa kniehohen Brennesseln. Das mußte ich wirklich nicht haben, also folgte ich der Straße, die in Sureggio an der Hauptverkehrsstraße. Somit hatte die Kleinbahn"romantik" hier ein Ende. Ich kann mir an dieser Stelle nicht verkneifen zu schreiben, daß es wesentlcih mehr Spaß bringt, barfuß mit der Eisenbahn zu fahren als barfuß den Spuren vergangener Eisenbahnromantik nachzusäckeln.

Ich erwischte einen Wanderweg, der hinunter zum Fluß Cassarate führte. Ich ging jedoch nicht nach Dino, sondern durch ein Industriegebiet zu einer romantischen Stelle am Fluß, wo ich länger verweilte. Hier sah ich den ersten, wenn auch "unechten" Barfüßer an diesem Tag. Ein Mann mit Hund zog sich die Schuhe aus, watete durchs Wasser und zog sich die Schuhe wieder an (der Hund machte es weniger kompliziert). Bereits gegen 17 Uhr verschwand die Sonne hinter den Bergen, also ging ich weiter. Es waren anfangs dieselben Wege wie am Vortag, nur empfand ich vieles als schmerzhaft, was am Vortag noch nicht der Fall gewesen war. Ich spürte jeden Ast, jedes Steinchen.

In Cannobio verließ ich das Flußufer und wich auf eine Straße aus. Als "Trost" für die vergleichsweise kurze Wanderung auf dem Bahndamm hatte ich nun die Möglichkeit, barfuß den Resten vergangener Trolleybusromantik zu folgen. In Lugano wurden nämlich kürzlich zu meinem Mißvergnügen die Trolleybusse durch Kraftomnibusse ersetzt. Besonders spannend ist das aber nicht. Was macht es aus, ob man durch eine Straße geht, in der noch die Fahrleitungsmasten stehen (weil sie gleichzeitig der Straßenbeleuchtung dienen) oder nicht. Der Asphalt fühlt sich unter den nackten Füßen doch gleich an. So gelangte ich nach Einbruch der Dunkelheit noch Lugano.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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