Meine Schuhe schauen mich so herausfordernd an (Hobby? Barfuß! 2)

Lotsi, Monday, 13.10.2003, 01:38 (vor 7658 Tagen)

... da liegen sie nun vor mir. Meine Schuhe. Diese No-Name-Sporttreter. Alt, aber kaum getragen. Eben habe ich sie aus dem Rucksack gekramt. Da waren sie während der letzten Wochen gut aufgehoben. In den Monaten davor wohnten sie im Schrank. Wo sie hingehören. Doch mir ist, als blickten mich die Dinger herausfordernd an. Trotzig schaue ich zurück. Aber nur kurz, dann weicht mein Blick wieder aus, sucht schönere Gegenstände in meinem Zimmer. Doch die Schuhe fixieren mich weiter unerbittlich, fast so, als wollten sie mir zurufen: Hier sind wir wieder, Lotsi, Du kommst uns nicht aus! Es hat lange gedauert. MORGEN KRIEGEN WIR DICH!
Vorhin, einen wagemutigen Moment lang, wollte ich alle beide unverzüglich wieder verschwinden lassen. In der Tiefe meines Rucksacks. Oder zumindest in den Schrank. Wo sie wie gesagt hingehören. Aber dann erneut dieser böse, fordernde Blick. Und diese drohenden Stimmen, ich vernehme sie wohl: Hallo, Lotsi, Hast uns wohl schon vergessen, hehe, aber nix da!
Scheiß Schuhe.
Fast hätte ich die Schuhe an die Wand geworfen. Von Frust geschüttelt. Mich trotzig der Vorstellung widersetzend, dass die wunderbare Barfußzeit morgen zu Ende ist. Traurig darüber, dass ich nun für Monate nicht mehr den warmen Asphalt, das Gras oder höckriges Kopfsteinpflaster unter meinen nackten Füßen spüren werden. Monatelang Radfahren, ohne dass mir der kühle Wind um die Knöchel streicht. (klingt kitschig, ist aber so). Unglaublich das Wissen darum, dass mich diese beklemmenden Treter nun wieder auf Schritt und Tritt begleiten werden.
Wehmütig betrachte den Rest meiner Schuhsammlung: ein Paar Joggingschuhe, also solche, mit denen man wirklich Sport betreiben kann, meine Bergstiefel und ein Paar halboffener flacher Lederschuhe, die ich seit April immerhin drei Mal getragen habe. Das war's. Ich besitze weder Sandalen (welche ich seit meiner Kindheit hasse) noch Flip-Flops oder so (ganz schlimm!). Der Anblick der Schuhsammlung vermag meine Wehmut nicht zu lindern.
Wie lange habe ich auf Euch verzichten können! Fast hätte ich die Dinger angebrüllt. Weiß Gott, was waren wir Barfüßer in diesem Jahr privilegiert!
Irgendwer in diesem Forum hat vor kurzem treffend bemerkt, dass viele Teilnehmer den Eindruck erweckten, als zählten sie ihre barfüßigen Tage und Kilometer für das Guinnessbuch. Ich muss zugeben: dabei ertappe ich mich auch. Es ist dies aber keine buchhalterisch-spießige Rekordmeierei, sondern die faszinierende Feststellung, über ein halbes Jahr, seit April! (plus wenige Tage im März), von nur ganzganzganz wenigen Ausnahmen abgesehen barfuß gewesen zu sein. Tag und Nacht. Beim Spazierengehen, in Biergärten, bei Treffen mit Freunden, bei Bekannten zu Hause, in Kneipen, während Kinobesuchen, in der Uni, in Österreich, Prag, Ungarn, Spanien, beim Einkaufen, beim Autofahren (!!), Aberdutzende von Kilometern barfuß auf dem Rad, nachts auf abgelegenen Wegen in der Natur, in Zug, Bussen und Trambahnen, auf einem halben Dutzend Festen und Festivals, undundund....
Privilegiert, ja. Ich habe gerade wunderbare Wochen in Spanien hinter mir. Eine traumhafte Zeit. Gestern bin ich zurückgekehrt. Bis heute ging es gerade noch mit dem Barfußlaufen. Jedenfalls tagsüber. Spanien war das grandiose Finale eines phänomenalen Barfußsommers. Und jetzt hocke hier in meinem Zimmer - sozusagen hinter der Ziellinie - und meine Schuhe glotzen mich blöde und böse an.
Immer noch herausfordernd. Drohend. Diese elenden Teile! Ihr Quälgeister! Gemeines Folterwerkzeug!
Was, wenn ich die Schuhe doch noch in den Schrank sperre? Dann werden eben ab morgen meine Mitbürger blöde schauen. Und vielleicht auch böse. Na und! Na und? Mal sehen. Oder auch nicht. Oder doch? Ne! Ja?
Barfuß von April bis Oktober. Das war ein Geschenk. Ich sollte dankbar sein. Und endlich Ruhe geben. ABER DIE KALTE ZEIT IST SO GRAUSAM!!

Traurig
Lotsi


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