Gedanken zum Barfuß-Look (Hobby? Barfuß! 2)

julia fiona, Monday, 23.10.2000, 22:28 (vor 8735 Tagen) @ Andreas S.

Hallo Julia,
aus Deinem Beitrag entnehme ich, daß Du die letzte "Tour" in einer größeren Stadt (wegen der Studentenkneipe) unternommen hast.
Hast Du auch bereits Barfußerfahrung in Kleinstädten sammeln können ? Universitätsstädte sind ja doch in der Regel toleranter als Kleinstädte.
Was sagen eigentlich heute Deine Eltern zu den Barfußauftritten ihrer Tochter. Ist es ihnen unangenehm, daß Du in deinem Alter immer noch barfuß läufst ? Verteidigen sie ihre Tochter auch vor dummen Bemerkungen von Bekannten und Verwandten ?
Es würde mich sehr interessieren.
Gruß und Fuß
Andreas

Hi Andreas,
ich bin in der Großstadt aufgewachsen und lebe noch heute da, aber ich habe mich viel in Kleinstädten und Dörfern aufgehalten, und zwar bei Besuchen bei meiner weitverzweigten Verwandtschaft in Irland, Frankreich, den USA und natürlich in Deutschland. Es ist interessant, wie unterschiedlich die Sichtweise der Leute ist.
In Irland habe ich einige Wintermonate verbracht, um meine Abschlussarbeit zu schreiben. Ich wohnte bei der Familie der Schwester meines Vaters. Ich genoss die rauhe Landschaft und das noch rauhere Klima bei ausgedehnten Spaziergängen, um mein armes Hirn durchzulüften. Meist trug ich landesüblich einen Tweedrock und einen Pullover und Leggins, wenn es sehr windig war (für die Stylisten in dieser Barfuß-Look-Diskussion). Die Leute waren in keiner Weise seltsam zu mir, aber fragten meine Tante zaghaft, ob das Mädchen aus Deutschland so arm sei, dass sie keine Schuhe habe (in "Angela's Ashes" könnt Ihr nachlesen, wir sie darauf kamen). Meine Tante stellte die Dinge klar, was man zwar seltsam fand, aber ohne weiteres hinnahm - eine Schrulle halt, und was exzentrisch ist, versteht man dort oben gut. In der Stadt wurde geschaut, aber das ist ja normal.
Als Studentin bin ich in Frankreich und in den USA in den Ferien, also ebenfalls länger, auch bei Verwandten untergekommen. In den USA war es "dörflich", also weit auseinanderliegende Farmen mit einem Städtchen als "Zentrum". Da war mein Barfußgehen so gut wie egal, keiner kümmerte sich um mich, im Winter gab es freundliche Verwunderung; sozial besetzt war das Thema nicht. Auch dort bevorzugte ich Tweed.
In der Kleinstadt in der nördlichen Provence, wo eine Cousine meiner Mutter wohnt, gab es schon mehr Aufruhr. Ich war im Sommer da, 21 oder 22 Jahre alt, trug meist ein leichtes, kleines Sommerkleid oder ein ärmelloses Longshirt mit einer Kordel als Gürtel. Die Jungs waren sehr nett und sehr interessiert an mir. Ich hatte bald den Ruf weg, eine kleine Schlampe zu sein. Die hatten wohl zuviel "Et dieu créa la femme" geschaut, den Film, in dem eine oft barfüßige Brigitte Bardot in einem südfranzösischen Städtchen eine kleine Schlampe spielt. Der Sohn der Cousine meiner Mutter (er war damals 19) hat sich schwer für mich geschlagen, um meine und die Ehre der Familie zu verteidigen. Am Ende war alles in Ordnung. Die "Alten" in der Familie hat das alles übrigens schwer amüsiert, sie fanden mich auf kindliche Weise "süß" (mignonne) und nannten den total in mich verknallten Sohn der Cousine meiner Mutter liebevoll "Idiot". Sie finden mich noch immer ok, es gibt lange kein Gerede mehr, "mignonne" ist jetzt meine Tochter. Der "Idiot" hat längst eine große, schlanke, dunkelhaarige Frau geheiratet, von der man sagt, sie könnte meine Schwester sein.
Mein Vater, den ich sehr selten sehe, ist extrem stolz auf seine Tochter, zieht leidenschaftlich gern mit mir umher, präsentiert mich seinen Freunden und Bekannten peinlicherweise immer zuerst als seine junge Geliebte und würde sich wohl auch für mich prügeln, wenn ich nicht gerade seine Tochter wäre. Er beklagt nur, dass ich größer bin als er, was noch viel auffälliger sei, weil ich nicht einmal Schuhe dazu bräuchte.
Meine Mutter nervt herum und nimmt mich nicht im Geringsten in Schutz. Aber das ist wohl ihr Problem, nicht meins, ich kann mich schon selbst in Schutz nehmen. Meine kleine Tochter folgt ihr brav und zieht Schuhe an, und wenn die Oma außer Sichtweite ist, oft auch wieder aus.
Das Problem "Was sollen die Leute denken" hat meine deutsche Verwandtschaft, wie auch meine Mutter, am stärksten. Ich bin's gewohnt, ich versuche lächelnd und locker damit umzugehen. Man stichelt, ich stichle zurück. Und wenn einer meint (was bei einem blöden Onkel und seiner Bagage manchmal vorkommt), er müsse mir sagen, ich sähe aus wie eine Bettelfrau aus der Gosse, rechne ich ihm, wenn er ganz humorlos ist, ganz arrogant vor, was die Klamotten gekostet haben, die ich gerade trage. Das ist aber das letzte Mittel, zu dem ich selten greife, und immer seltener, je erwachsener ich werde. In meinem Alter geht die Erwachsenheit schon oft eher weit.
Meine Devise: Locker&charmant bleiben.
Gruß
Julia


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