Toleranz (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo Andi,
Ich möchte Euch mit dieser Email, die ich nun nachfolgend einkopiere und die eigentlich das Wichtigste zu dem Erlebten beinhaltet, zu einem neuen Meinungsaustausch "einladen".
Die Einladung nehme ich einmal an.
Wie denkt Ihr über das, was mir da widerfahren ist?
Zunächst einmal zu Deiner Erfahrung und zu der Konsequenz, die Du daraus ziehst (nämlich der Disco künftig ferzubleiben): Ich kann Deinen Ärger verstehen und nachvollziehen und hätte unter Umständen genauso gehandelt, Alternativen gibt es vermutlich ja ausreichend. Ich selbst bin weder Dauer-, noch Vollzeit-, noch Extrembarfußläuferin und habe vermutlich in puncto barfuß eine solche Erfahrung noch nicht machen müssen, ich gehe barfuß nach Lust und Laune (derzeit außerhalb der Wohnung gar nicht, innerhalb fast immer). Trotzdem verstehe ich, wie gesagt, Deinen Ärger.
Die Mail aber, die Du hier öffentlich machst, hat mich ein wenig schockiert, denn Du misst doch sehr stark mit zweierlei Maß: Einerseits beklagst Du Dich über mangelnde Toleranz, "Hintenrumaktionen" und Ungerechtigkeit, auf der anderen Seite aber praktizierst Du genau das, was Du den anderen Leuten zum Vorwurf machst: Du beurteilst Menschen nach ihrem Äußeren, wirfst mit Vorurteilen um Dich und stellst Dir Dein eigenes Wertesystem zusammen, nach dem andere schonungslos abgeurteilt werden:
Er meinte, ich sei nicht normal und ich sagte zu ihm, dass es für mich nicht normal sei um welchen Scheißdreck sich die Leute kümmern, denn immerhin würde ich ja nichts Verbotenes oder Anstößiges machen, ich liefe ja nicht mit entblößten Intimzonen herum, dann könnte man es selbstverständlich verstehen!
Das Thema gab's hier ja neulich zu Genüge.
Wo leben wir denn eigentlich? In Amerika, einem sehr prüden Land, voll mit Doppelmoral, wo an jedem Geschäft steht: "No shoes, no shirt, no service"? Unsere Gesellschaft ist oberflächlicher, aber dennoch auch toleranter geworden, leider allerdings allzu oft an der falschen Stelle, was wohl auch viel auf die zunehmende Oberflächlichkeit zurück zu führen ist, denn die Barfüßigkeit scheint z.B. immer noch ein Tabuthema zu sein, echt Schade!
Auch hier: Die "falsche Stelle". Man bekommt fast den Eindruck, als sei für Dich nur das gut und richtig, was Dir gerade "in den Kram" passt.
Haben die Leute denn wirklich nichts besseres zu tun, als sich daran zu stören? Wenn man zu diesen Gästen etwa so gesagt hätte: "Warum regt ihr euch denn darüber auf? Das ist doch seine Sache, wenn er sich dabei wohl fühlt, er schadet doch keinem damit, er macht weder etwas Verbotenes noch Anstößiges und ist ein sehr angenehmer und friedlicher Gast! Sprecht ihn mal an und ihr werdet es selbst erkennen, alles andere sind Vorurteile"...
Das wäre sicherlich die wünschenswerteste und diplomatischste Lösung gewesen, es ist vermutlich leider auch eine eher seltene. Der Mann ist nun einmal Gastronom und denkt in erster Linie wirtschaftlich, und deswegen riskiert er wahrscheinlich bewusst lieber den Verlust eines Gastes als den von fünfzehn oder zwanzig (einmal ins Blaue geschätzt). Das soll nicht heißen, dass ich das, was Dir passiert ist, in Ordnung finde, aber eine Handhabe wirst Du dagegen wohl nicht haben (zumal Du ja kein Hausverbot erhalten hast und de facto immer noch dort hingehen kannst, wenn Du möchtest). Die Intoleranz der anderen Gäste ist bedauerlich (und an der wird es wohl gelegen haben, nicht an der Abneigung des Wirtes gegen nackte Füße). Letztlich musst Du Deine Konsequenzen daraus ziehen, aber das hast Du ja bereits.
Ich sagte auch zu ihm, dass man es eher akzeptieren würde, wenn jemand von Kopf bis Fuß tätowiert oder gepierct sei und er meinte, solche Leute würde er schon selbst vor die Tür schicken, aber das ist doch überhaupt nicht wahr, denn gerade kürzlich sah ich noch einen Typ, der dem Anschein nach locker 10 Jahre Knast hinter sich gebracht haben könnte, das ist mit Sicherheit weniger vertrauenserweckend, als wenn sich ein gepflegter, anständiger, auch ebenso anständig gekleideter Mann barfuß in der Disco aufhält!
Soviel zum Thema Toleranz. Es ist wohl immer eine Frage des Standpunktes. Den eigenen Stil und das eigene Verhalten zu tolerieren ist immer sehr einfach, es ist auch nicht wirklich die Bedeutung des Begriffes. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man einerseits für die Toleranz gegenüber Barfußläufern werben und andere Menschen, die man nicht einmal kennt, im selben Satz dermaßen abwerten kann. Ich bin übrigens selbst tätowiert, wenn auch nicht am ganzen Körper, und auch gepierct (technisch gesehen sind Ohrringe/Ohrstecker ja auch nichts weiter als Piercings), und ich habe seltsamerweise noch nicht "gesessen" und bade auch des Nachts nicht im Blut meiner Opfer.
Daran sehen wir aber mal wieder, wie verdreht unsere Gesellschaft ist, eine verkehrte Welt ist das, in der wir leben, ich habe die Schnauze manchmal echt so voll, da wird doch ständig jedes Wort, das man sagt, gegen einen verwand, vor allem auf den Arbeitsstellen, da kommt kein "charakter- und rückgradloser, armer "Krüppel" mal auf dich zu und sagt dir von Mensch zu Mensch ins Gesicht, was er von dir oder einer Sache hält! Das ist doch echt das Letzte, was sind das nur für erbärmliche Jammergestalten, die es notwendig haben, sich ganz hinterfotzig über Leute zu beschweren?
Aber tust Du nicht genau dasselbe? Du schreibst eine Mail an Deine Freunde und setzt diese dann in ein öffentliches Forum, wo sie jeder Mensch lesen kann, dabei nennst Du auch den Namen der Disco und den Ort, wo man sie findet. Stell Dir einmal vor, der Discobesitzer oder beispielsweise der "Typ, der dem Anschein nach locker 10 Jahre Knast hinter sich gebracht haben könnte" lesen das hier zufällig. Wie würde etwa letzterer Dein Verhalten nennen. Hinterf*****?
Ich sagte dem Typ auch, dass solche "feinen" und "superanständigen" Leute, die sich an meiner Barfüßigkeit "aufgeilen", meist die Schlimmsten sind, es solle sich jeder an seine eigene Nase fassen, da wäre genug Rotz vorhanden! Ich sagte weiter, diese Leute würden "Einen auf "anständig"" machen, sich über meine Barfüßigkeit aufregen und/oder empören, aber selbst würden sie vielleicht in irgendwelchen Swingerclubs herum hängen, das sind nämlich doch meist genau diejenigen, die es selbst faustdick hinter den Ohren haben!
Wiederum: Du empörst Dich über die Intoleranz anderer Deinen nackten Füßen gegenüber, aber machst diese hier gleichzeitig dergestalt nieder, indem Du sie als vermeintliche Brecher Deiner eigenen, hohen Moral diffamierst.
Der Typ der Inhaberin meinte auch noch, das würde ich doch jetzt nur sagen um über den anderen zu stehen und ich erwiderte mit "Ja, das auch, aber, ich sehe es auch nicht ein, auf diese meine Freiheit zu verzichten" u.s.w.!
Zur Freiheit wurde hier neulich, glaube ich, Rosa Luxemburg zitiert.
Meine Email soll auch nicht den Anschein erwecken, dass ich meine Barfüßigkeit stur und mit jedem Mittel durchsetzen will,
Darum geht es ja auch gar nicht. Ich finde es auch bedauerlich und mitunter ärgerlich, was Dir und anderen hier im Forum in Bezug auf das Barfußsein zustößt, aber Deine Hasstiraden (ein hartes Wort, ich weiß, aber es mutet mir so an, wenn ich Deine Mail lese) und Moralpredigten spiegeln genau die Geisteshaltung wieder, die, auf das Barfußlaufen bezogen, dazu führt, dass Leute barfuß nicht eingelassen werden oder wie etwa Michael a.Z. unnötigen Ärger mit der Polizei haben.
es ist bloß so, dass ich nun mal mehr Lust auf das Barfußgehen verspüre und darum keine Schuhe anziehen will, somit also vor der Wahl stehe, die ich dann eben für mich getroffen habe!
Dass Du die Wahl überhaupt treffen musstest, ist ja auch ein kleines Armutszeugnis für manche Menschen in unserer Gesellschaft - es gibt durchaus noch größere.
Ein Freund meinte, der Inhaberin und ihrem Freund/Mann, sei es wohl lieber, nur den barfüßigen Gast zu verlieren, als die anderen Gäste, die sich beschwert haben, was im Grunde auch stimmt.
Es gibt jedoch zwei wichtige Überlegungen dabei:
1. Es kann erfunden sein, also die angeblichen Gäste könnte es gar nicht geben, sondern es kann von den Inhabern vorgeschoben sein.
In dem Fall halte ich das für eher unwahrscheinlich, da Du ja schon zuvor alles mit der Betreiberin abgeklärt hattest.
2. Sollte es diese gewissen Gäste doch geben und die Inhaber hätten nichts zu mir gesagt und mich weiter so in diese Disco gehen lassen, hätten sich diese Gäste zwar vielleicht empört und vielleicht sogar mit einem Fernbleiben gedroht, aber sie hätten es zu 90 Prozent nicht umgesetzt!
Vermutlich wollte der Betreiber es einfach einigen Stammgästen recht machen, während Du dort nur sporadisch auftauchst. Wie gesagt, wirtschaftlich gesehen kann man das sogar nachvollziehen.
Schöne Füße aus dem Saarland,
Andi
Viele Grüße aus dem stürmischen Norden
Charlotte
Ich möchte damit übrigens keinen Streit mit Dir anfangen. Ich muss aber ehrlicherweise gestehen, dass ich mir bei Deiner Mail mehrmals an den Kopf gefasst habe, als ich manches gelesen habe. Toleranz ist wichtig, gegenüber Barfüßern und auch noch in ganz anderen Bereichen. Ich persönlich glaube, dass die Toleranz barfüßigen Menschen gegenüber sehr viel größer wäre, wenn andere Ansichten, anderes Aussehen und andere Lebensstile generell mehr geachtet würden. Freiheit bedeutet nicht nur, die Schuhe auszuziehen, wenn man es möchte (auch wenn das serh schön ist), sondern auch, damit leben zu können, dass andere Menschen nun einmal anders sind, denken und leben.