Zürich in vollen Zügen (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Wednesday, 13.12.2006, 06:26 (vor 6493 Tagen)

Sonntag, 10.12.2006: Fahrplanwechsel! Im Zofinger Raum fahren statt der bisherigen postgelben Omnibusse die neuen weißen. Und in Zürich wird die Tramlinie 11 verlängert, als erste Etappe der Glattalbahn. Während ersteres mich weniger interessiert, reizte mich sehr wohl, die Zürcher Neubaustrecke auszutesten, selbstverständlich barfuß. Da gleichzeitig auch noch Weihnachtsmarkt war und der Zürcher Silvesterlauf stattfand, entschloß ich mich, zur Anreise nach Zürich auch die Bahn zu benutzen.

Also barfuß mit dem Velo zum Zofinger Bahnhof (bis nach Zürich mit dem Velo wäre es mir bei +2°C auch zu kalt gewesen), dort eine Citycard gelöst. Um 6.48 Uhr mit der Nationalbahn nach Lenzburg, beim Umsteigen in die S-Bahn ein paar ungläubige Blicke. Und am Zürcher Hauptbahnhof umgestiegen in die Straßenbahnlinie 11, die mich bis zur neuen Endhaltestelle "Auzelg" brachte. Dort verließ ich das Tram und wanderte ein Stück in eine Siedlung. Leute mit Hunden schien ich nicht sonderlich aufzufallen. Ich erreichte eine Bushaltestelle, von wo mich ein Bus zum Schwamendinger Platz brachte.

Drei Jugendliche standen dort und fragten mich, ob es ohne Schuhe nicht zu kalt sei. Ich antwortet, daß das gesund sei. Ein Mädchen fragte: "Gesund? hier ist doch überall Spucke auf dem Boden!" Dabei spuckte es auf dem Boden. "Das ist nicht so schlimm, die Scherben sind schlimmer", wobei ich mit dem Fuß auf die Überreste einer Flasche wies. "Oh je!" Die Unterhaltung, die dann folgte, bezog sich auf alles mögliche, z.B. ob ich verheiratet wäre usw. Schließlich gingen sie, und ich fuhr mit dem Tram "U-Bahnmäßig weiter nach Wollishofen.

Nach einigem Umsteigen erreichte ich die Tramhaltestelle Zoo. Von dort wanderte ich zur Bergstation der Dolderbahn.
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Ein Mann, der mir begegnete, sagte: "Sie sind aber abgehärtet!" Die Zahnradbahn brachte mich hinunter zum Römerhof. Mit Tram und Bus ging es über Albisrieden und Werdhölzli zurück ins Stadtzentrum. Da das Limmatquai wegen des Silvesterlaufes gesperrt war, wurde mein Tram durch die Bahnhofstraße umgeleitet. Am Paradeplatz stieg ich aus, um die Läufer zu beobachten. Die Sonne war durchgebrochen, so daß ich die Jacke im Rucksack verstauen konnte. Ab und zu vernahm ich das Wort "barfuß", meist aus Kindermund. Aber allzu sehr fiel ich doch nicht auf, da auch etliche Läufer "nichtwinterlich" gekleidet waren, nur halt mit Turnschuhen.

Nach einiger Zeit wanderte ich über die Seepromenade zum Bahnhof Tiefenbrunnen, auch am Ufer fiel ich nicht allzu sehr auf. Mit Tram und Bus reiste ich via Farbhof und Höngg zum Bahnhof Oerlikon. Da hier gerade ein Kobratram in Richtung Auzelg bereit stand, stieg ich ein. Noch nie habe ich in Zürich erlebt, daß so viele Fahrgäste über die Endhaltestelle hinaus im Tram sitzen bleiben. Ist halt eine Neubaustrecke. Ich blieb in dem Tram bis zur entgegengesetzten Endhaltestelle Rehalp.

Nun wollte ich partout mit der Forchbahn zurück in die Stadt. Da die nächste aber erst in ca. 20 Minuten fuhr, ging ich noch ein Stück im nahen Wald spazieren. Es wurde bald dunkel, ich benötigte eine Jacke. Auch kam mir der Waldboden etwas unangenehm unter den nackten Füßen vor. Meine Füße waren halt vom Tramfahren verwöhnt worden. Dann kam ein moderner Triebzug der Forchbahn.
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Es gab erstaunte Blicke, als ich das Überlandtram bestieg. An der Endhaltestelle Stadelhofen stieg ich aus und ging zuerst durchs Niederdorf, dann am Limmatquai zurück und hielt mich wieder beim Silvesterlauf auf. Die Reaktionen auf meine Füße waren in der Innenstadt häufiger als in der Nähe des Laufgeländes. Aber auch in der Innenstadt gab es eher weniger Reaktionen als etwa im Oktober.

Nach einem Gang über den Weihnachtsmarkt in der Bahnhofshalle (wenige Reaktionen) fuhr ich noch mit dem Tram nach Seebach, mit Bussen und Trams nach Stettbach, dann mit der S-Bahn nach Stadelhofen. Da ich noch eine Stunde Zeit hatte, ging ich von hier zum Bürkliplatz. Ich hörte die Stimme eines Kindes: "Der Mann ist barfuß, der friert doch sicher!". Ein Tramchauffeur blickte erstaunt in meine Richtung, als er sein schweres Fahrzeug über die Quaibrücke rollen ließ.

In der Bahnhofstraße war es ruhiger, die Barrieren für die Sportveranstaltung waren fortgeräumt. Ein junges Paar fragte, wohin ich wollte. Als ich sagte: "zum Hauptbahnhof", fragte der Mann, ob er mir Geld für ein Trambillett geben solle, damit ich nicht zu Fuß dorthin gehen müsse. Ich sagte, ich hätte eine Fahrkarte und ich wäre schon den ganzen Tag in der Stadt. Dann zog die Frau noch ihre Stulpen von den Beinen und meinte, daß die mir nützen würden. Aber ich lehnte ab. Irgendwie fühle ich mich in der Kombination kurze Hose, Stulpen und barfuß nicht gerade wohl, ungefähr so wie in der Kombination kurze Hose und lange Unterhose. In dieser Beziehung bin ich doch recht konservativ.

So erreichte auch ich den Hauptbahnhof, wo es von Militärs nur so wimmelte. Die "armen Sieche" mußten wieder in die Kasernen, um dem Vaterland zu dienen. Keiner der Soldaten nahm zu meiner Aufmachung lautstark Stellung. Ich habe den Eindruck, als ob sich Schweizer Soldaten in den Zügen anständiger verhalten als deutsche (nicht nur gegenüber Barfüßern und Ausländern). Das liegt vielleicht daran, daß die Reisewege zu den Kasernen in Deutschland vielfach länger sind, so daß man mehr Zeit hat, sich zu besaufen. Außerdem muß man in der Schweiz in der Regel öfters zum Militär, dafür aber kürzer. Vermutlich sind der Frust und die Gefahr der Verrohung größer, wenn man durchgehend für einen längeren Zeitraum "rödeln" muß als wenn man die Zeit in mehreren Etappen abdient. Und noch ein Unterschied: In der Schweiz ist es üblich, bereits die Fahrt zur Kaserne (und von der Kaserne zurück in den Wochenendurlaub) in Uniform anzutreten, während deutsche Soldaten meist im Zivil reisen. Vielleicht benimmt man sich im Zug anständiger, wenn man eine Uniform trägt.

Einen Vorteil hat aber die Anreise im Zivil: Man ist nicht gezwungen, bereits während der Fahrt Schuhe zu tragen. Erst beim Betreten des militärischen Bereiches können (und werden) die Militärposten einschreiten. Wer jedoch in Uniform anreist oder sonst wie außerhalb der Dienstzeit Militäruniform trägt (egal ob in Deutschland oder der Schweiz), der ist auch dort gezwungen, sie "richtig" und vollständig zu tragen. Die Kombination von Uniform- und Zivilkleidungsstücken ist verboten. Und die Kombination barfuß + restliche Uniform wäre auch unvollständig.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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