@Leo: Rheinsteigwanderung vor zwei Monaten (Hobby? Barfuß! 2)

Guenther, Tuesday, 29.08.2006, 08:40 (vor 6665 Tagen)

Hi Leo!

Deine Allegoriegeschichte mit der Polenreise ist ja wirklich gut ausgedacht, aber sie geht doch an dem einen entscheidenden Punkt vorbei: daß nämlich erwachsene Menschen grundsätzlich, auch wenn sie in einer organisierten Gruppe handeln (in diesem Fall: wandern), immer noch für ihr Handeln selbst verantwortlich sind. Wir sind doch keine Krabbelgruppe, bei der, wenn irgendeiner zu schaden kommt, die Kindergartentante nachher von der Mamma verantwortlich gemacht wird!
Bei der Polenführung hätte der Reiseleiter vielleicht auf das Problem mit den Zebrastreifen aufmerksam machen KÖNNEN, aber letztlich ist er doch nicht haftbar, wenn einer der Teilnehmer angefahren wird. Gehört es denn zur Pflicht des Organisators, auf ALLE möglichen Gefahren (sind diese überhaupt alle voraussehbar?) aufmerksam zu machen? Und wenn er dann eine übersieht, ist er der Schuldige? Unter solchen Voraussetzungen wirst Du niemanden mehr finden, der was für Dich organisieren will.
Daß "RheinSTEIG" mit Höhenunterschieden verbunden ist, kann sich doch wohl jeder vorstellen, und wenn es bei Dir so sensible Unterschiede bezüglich der Proportionen von Auf- und Abstieg gibt, mußt Du Dich eben vorher - entweder per Mail an die Organisatoren oder per Internet - schlau machen, ob das betreffende Stück für Dich geeignet ist.
Und insofern in der Mail stand, man soll im "Zweifelsfall" Schuhe mitnehmen, war jeder Teilnehmer aufgefordert, die Strapazierfähigkeit seiner Füße kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls Vorsorge zu treffen.
Die hier teilweise vorherrschende Mentalität, den Organisator einer Veranstaltung für alles und jedes verantwortlich zu machen, erinnert mich an amerikanische Schadenersatzklagen. Gerade diese Mentalität hat aber bekanntermaßen in vielen amerikanischen Einrichtungen zu "NSNSNS"-Schildern geführt: Die Leute lassen eben barfuß keinen mehr in ihr Geschäft rein, weil sie fürchten, daß er sich irgendwie verletzt und dann das Geschäft mit einer immensen Schadeneratzforderung überzieht.
Wir sind doch wohl schon alle öfters mal in irgendwas Unangenehmes barfuß reingetreten. Gehen wir da jedesmal zum Besitzer des Grundstücks/ Geschäfts und beschweren uns, daß da Scherben rumlagen? Dann kriegt man doch wohl mit einem gewissen Recht gesagt, daß man gerade das Risiko in Kauf nimmt, wenn man barfuß rumläuft. Ich bin zum Beispiel zu Studentenzeiten ohne Ende barfüßig in Reißzwecken reingelaufen, die auf dem Unigelände rumliegen, weil die Hausmeister die schwarzen Brette irgendwann am Semesteranfang mechanisch mit einem Gerät von allen Anschlägen befreien und die Reißzwecken nur so umherfliegen. Das könnte man in der Tat anders machen, so daß die Reißzwecken nicht überall umherflögen, aber mach ich mich als Barfußläufer nicht lächerlich, wenn ich mich über sowas bei der Verwaltung oder beim Hausmeister beschwere oder gar Schadenersatzanforderungen stelle (denn einen Beschuhten stören die rumfliegenden Reißzwecken garantiert nicht)?
Oder ein anderes Beispiel: Als hier in der Innenstaft umgebaut wurde, war in der Einkaufszone vor bestimmten Geschäften die Straße aufgerissen, das "Geröll" war barfuß nicht gerade angenehm zu begehen. Wenn ich in ein solches Geschäft hinein laufe und mich beim Besitzer beschwere, daß sein Geschäft nur "barfußunfreundlich" zu erreichen ist, wird ich da nicht mit Recht ausgelacht?
Was ich mit diesen "Allegorien" sagen möchte: Macht man sich als Barfußläufer nicht lächerlich, wenn man alle "barfußunfreundlichen" Wegabschnitte bei den verantwortlichen Stellen reklamiert? Und macht man sich nicht noch mehr lächerlich, wenn man beim Organisator einer als "mehr (2.Teil) oder minder (1. Teil) anspruchsvoll" (und der zweite Teil war anspruchsvoller als der erste!) deklarierten Barfußwanderung sich über Wegabschnitte beschwert, die noch anspruchsvoller waren als man es selbst in Unkenntnis der genauen Wegabschnitte erwartete?
Und ich gehe noch weiter: Wird jemand von "außen", der das hier liest, sich nicht kaputtlachen über Leute, die offenbar bewußt in der Natur barfuß laufen wollen und dann noch Wochen später darüber lamentieren, daß die Steine auf diesem oder jenem Wanderabschnitt doch noch "anspruchsvoller" waren, als man der warnenden Ankündigung des Organisators entnehmen zu können glaubte? Ist diese Sucht nach Beschwerden bei verantwortlichen Personen, diese Ablehnung der Eigenverantwortung seitens des Barfußlaufenden (der doch mit jedem Schritt das Risiko auf sich nimmt, von den Gegebenheiten des Untergrunds intensiver und ggfs. auch schmerzhafter betroffenn zu sein) nicht gerade die Mentalität, die Barfußlaufenden als unangenehm und gefährlich für ihre Umgebung erscheinen läßt und damit letztlich die "NSNSNS"-Schilder als nicht ganz unberechtigte Gegenmaßnahme provoziert? Wenn jemand ein Geschäft oder einen Supermarkt aufmacht, will er doch in der Regel einfach Geld verdienen, und ihm ist piepegal, ob die Leute, die dahinkommen, Schuhe tragen oder nicht. Erst wenn der erste sich barfuß an einer Scherbe in dem Geschäft verletzt hat und daraufhin Schadenersatz verlangt, fängt der Inhaber an (zumal in einem Staat mit einer Rechtssprechung, die solchen Ansprüchen eine Chance gibt), Aversionen gegen Barfüßer zu entwickeln. Was ich damit grundsätzlich sagen will: Man muß, wenn man verlangt, als Barfußläufer akzeptiert zu werden, auch die Bereitschaft mitbringen, kleinere Molesten (zumal wenn sie naturbedingt sind) einfach hinzunehmen - oder man muß halt Schuhe anziehen. Die Mentalität, einen Verantwortlichen zu suchen, der für die Bodenqualität "haftet", finde ich einfach befremdlich. Du (und jeder Barfußlaufende) haftet zunächst mal für seine Füße und seine Barfüßigkeit. Oder er muß eben Schuhe tragen bzw. sicherheitshalber mit sich führen. Das gilt auch dann, wenn es nicht ausdrücklich per Email empfohlen wird.
Daß Du Molesten nach der Wanderung hattest, tut mir das ehrlich leid. Ich selbst war auch nicht ganz beschwerdefrei, sondern litt a) unter juckenden Bremsenstichen vom zweiten Abschnitt und b) einer Gürtelrose, die erst später diagnsotiziert wurde und sich wahrscheinlich durch die UV-Einstrahlung an diesem Wochenende verschlimmert hat. Aber ich gebe dafür nicht den Organisatoren die Schuld, weil das einfach absurd wäre.

Gruß, Guenther


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