Barfuß am "Spektakel" (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 15.05.2006, 14:58 (vor 6707 Tagen)

Samstag, 13.5.2006, ca. 18.50 Uhr: Ich saß in einem Park zwischen dem Mülhausener Hauptbahnhof und der Haltestelle "République". Während ich was aß, bezog sich der Himmel, Wind frischte auf. Andere Leute zogen Wollpullover, Jacken usw. über. Als die ersten Tropfen fielen, ging ich zur Haltestelle, um mit dem nächsten Tram zu fahren. Komischerweise waren die Blicke der Leute skeptischer als noch kurze Zeit vorher, als die Sonne schien. Für die Leute scheint barfuß nur mit Sonnenschein kompatibel zu sein. Ein Zug der Linie 1 brachte mich zur Endstation "Rattachement". Dort sah ich, wie eine Junge Frau sich barfuß auf der Straße aufhielt und irgendwie tanzende Bewegungen machte.

Später (ich hatte abermals die Linie gewechselt) sprach mich ein Mann an. Als ich ihm sagte, daß ich kein französisch verstand, wechselte er auf deutsch, was er konnte, da er etliche Jahre in Österreich lebte. Erst fragte er mich, ob es nicht zu kalt war, dann, daß ich mich vor Scherben in Acht nehmen müsse. Als ich ihm erzählte, daß ich öfter barfuß bin und mit dem Fahrrad aus der Schweiz gekommen, um am Tramfest teilzunehmen, erzählte er etwas von etlichen Straßenbahnsystemen, darunter der "internationalen" Tramlinie 10 Dornach-Rodersdorf. Auch fand er es gut, daß ich barfuß unterwegs war. Sein Ziel war "Noveaux Bassin".

Hier wartete ich, um in Gegenrichtung zu fahren. Eine Gruppe weiblicher Teenager sprach mich an, zu einer vernünftigen Konversation kam es jedoch nicht. Soweit ich es interpretieren konnte, wollten sie wissen, ob es nicht zu kalt sei (ich trug immer noch lediglich ein T-Shirt und kurze Hosen, die Regenjacke wollte ich erst anziehen, wenn ich wirklich im Regen stand). Auch deuteten sie auf meine Füße. Einige fotografierten sie auch (burkfußverdächtig). Sie schienen mich für arm zu halten. Eine etwa 50jährige Frau, die mitbekommen hatte, daß meine Muttersprache deutsch war, sprach mich auf deutsch an. Als ich ihr sagte, daß ich barfuß mit dem Fahrrad aus der Schweiz gekommen war, fragte sie: "Fahrrad, was ist das? Auto?" "Velo", sagte ich, was man im französischen und schweizerischen Sprachgebrauch kennt. Da schien sie erstaunt zu sein, daß ich das barfuß gemacht hatte. Sie erzählte, daß sie eine Bekannte hatte, die in Baden gearbeitet hatte. Als sie mich nach dem Beruf fragte und ich "Chemiker" sagte, fragte sie: "Ingenieur?" "Nein, Doktor," sagte ich. Als die dann den Teenagern etwas auf französisch erzählte und das Wort "docteur" fiel, verzogen sich deren Mienen.

Dieser Zug endete. Der Fahrer sagte irgendwas französisches, und schon bewegte sich ein Troß von der Endhaltestelle "Coteaux" zur nicht weit entfernten Haltestelle "Nations". Als Barfüßer benutzte ich natürlich den Rasen eines Parks, was andere verwunderte. Aber der Troß bewegte sich nicht zur Tramhaltestelle, sondern zur Bushaltestelle, offensichtlich sollten die Trams ausgesetzt werden. Es kam aber kein Bus, dafür ein Tram, und alles bewegte sich im Laufschritt zum Zug. Hier lagen einige Unschönheiten auf dem Weg, so daß ich hier normalerweise nur langsam gehen würde. Aber in solcher "Notsituation"?

Das Tram brachte uns bis zur Haltestelle "Illberg", dort hieß es endgültig umsteigen auf den Omnibus, dazu mußte eine nicht übermäßig barfußfreundliche Treppe begangen werden. Der Bus rollte in Richtung Stadt, ich fuhr bis zur Haltestelle "Daguerre", wo ich ausstieg und eine Regenjacke überzog. Von hier aus ging ich im strömenden Regen über nasse und glatte Asphaltwege zu Fuß zur Universität, wo das Spektakel stattfinden sollte. Kein Tram überholte mich, erst als ich ankam, bewegte sich wieder was auf den Gleisen. Mein Fahrrad stand immer noch unversehrt im Ständer.

Es war 30 Minuten vor dem Spektakel, immer mehr Leute strömten herbei, viele mit Schirmen und anderer Regenkleidung, einige in kurzen Hosen, einige in Schuhen ohne Socken, aber außer mir keiner barfuß. Dabei kenne ich kein Schuhwerk, was bei Temperaturen um ca. 13°C auf nassem Rasen (die Wege aus rauhem Waschbeton überließ ich gerne der beschuhten Mehrheit) besser geeignet ist als gar keins. Einige Leute lästerten darüber. Es fragten mich sogar Rotkreuzhelfer (erst auf französisch, dann auf deutsch), ob alles in Ordnung sei. Als ich das bejahte und sie weitergingen, war mir doch etwas mulmig. Hoffentlich würden sie nicht das tun, was Schweizer Rotkreuzhelfer in den meisten Fällen tun würden: die Polizei rufen. Wenn die mich dann fragen, wo ich übernachten wollte? Aber ich hatte Glück: Trotz der hohen Polizeipräsenz interessierte sich keiner der Beamten für mich.

Um 22 Uhr erloschen die Lampen. Es folgte ein Feuerwerk, wie ich noch nie eins gesehen habe. Nicht nur die üblichen Raketen, sondern auch entzündetes Gas. Teilweise Schossen die Flammen aus dem Boden, teilweise aus erhöhter Plattform, teilweise aus einem aus einem Feuerrad, das an einem Kran hing. Ich vergaß den Regen, der immer stärker wurde. Und auch die Leute, die über meine Barfüßigkeit lästerten, freuten sich nun am Feuerwerk. Über eine halbe Stunde dauerte es, dann flammten die Lampen wieder auf.

Eine Menschenmenge strömte über die Wege zur Haltestelle, ein Tram nach dem anderen füllte sich und fuhr ab Richtung Stadtzentrum. Ich aber überholte die Leute, indem ich barfuß über den Rasen ging. Ich mußte nicht in die Stadt, sondern nur zum Fahrradständer. Mein Velo war noch da, ich fuhr los, erreichte den unbeleuchteten Radweg. Es war so dunkel und meine Brille war naß, so daß ich es vorzog zu schieben. Mit den Füßen konnte ich ertasten, wo der Weg war und wo nicht mehr. Das wäre mit Schuhen sicher nicht möglich gewesen. Es dauerte etwas, bis ich den ausersehnten Schlafplatz fand. Hier war der Boden weich, aber nicht matschig. Fahrrad angeschlossen, Sachen abgeladen, Isomatte ausgebreitet, Plastikfolie darüber. Alles weitere geschah unter der Plastikfolie, die einen großen Teil des Regens zurückhielt.

Und hier noch ein Nichtbarfußlink für Leute, die mehr zum Thema Mülhausen und ihre Straßenbahn wissen wollen:

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Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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