Hallo Nicole und alle im Forum,
auch ich möchte noch kurz meinen "Senf" zum Thema "Barfußbücher" beitragen. Wie hier schon mehrfach erwähnt, ist der Titel "barfuss" bei einem Buchroman meistens irreführend -- ist nur eine Metapher für "Überwindung von Ängsten -- Armut -- Sadomasochismus -- etc..."
Ich würde mir wahrscheinlich nie ein Buch kaufen, nur weil im Titel der Begriff "barfuß" vorkommt. Bei einem Buchtitel wie: "Nackt unter Wölfen" oder -- schlimmer -- "Nackt unter Kannibalen" erwarte ich keineswegs ein Buch über den FKK-Naturismus -- Leben in Harmonie und mit den Gefahren in der Natur. Nein--Nein!!
Aber ich habe mir kürzlich antiquarisch ein tolles Buch gekauft (7 Euro) -- ein Abenteuerbuch des 19. Jahrhunderts. Das Buch führt den Titel Taipi und wurde 1846 von dem amerikanischen Schriftsteller Hermann Melville als romanhafter Reisebericht seines Aufenthaltes auf den polynesischen Inseln verfaßt. Der Autor war schon um 1900 vergessen und wurde erst um 1920 wiederentdeckt -- insbesondere durch seinen späteren Roman Mobby Dick, der ja auch von Hollywood verfilmt wurde. Wie seine Zeitgenossen Whitman und Thoreau war Melville ein Naturbursche und versuchte, geistiges und handwerkliches Leben zu vereinigen.
Melville war in jungen Jahren Matrose auf einem Walfängerschiff, konnte aber die Zustände auf einer Fahrt an Bord nicht ertragen und desertierte, als das Boot vor Nukuhiva (Marquesas-Inseln) lag, mit einem Freund auf diese Insel und versteckte sich dort. Er lebte dann mehrere Monate bei den Insulanern und schildert sehr genau die damals noch fast ursprüngliche Lebensweise dieser Menschen (die auch zu Kannibalen werden konnten, wenn es darum ging, einen getöteten "Feind" einer Nachbarinsel zu "beerdigen"..!!!).
Ohne nun irgendwie an Barfuß zu denken, kann man in diesem über 400- seitigen Büchlein plötzlich lesen (in deutscher Übersetzung), als es um die Beschreibung von sehr alten Bewohnern von Nukuhiva ging:
Ihre Köpfe waren schon kahl, die Gesichter von tausend Runzeln durchfurcht und ohne die Spur von einem Bart. Aber das Merkwürdigste an ihnen waren die Füße; die Zehen wiesen wie die Striche auf dem Kompaß nach allen Himmelsrichtungen. Zweifellos war dies darauf zurückzuführen, daß die besagten Zehen während ihrer nahezu hundertjährigen Existenz niemals einem künstlichen Zwang unterworfen waren und, einer zu engen Nachbarschaft abgeneigt, im hohen Alter die offene Formation bevorzugten.
Also hier ein autentischer Bericht über bare Füsse, wie sie aussehen, wenn sie fast hundert Jahre über Felsen -- Sand -- Kanus -- etc. gewandert sind. An anderer Stelle berichtet er über ein polynesisches Mädchen, von der er irgendwie angetan war. Man ließt:
Aus dem Kattun, den ich von dem Schiff mitgebracht hatte, schneiderte ich für das hübsche Mädchen ein Kleid. Ich muß gestehen, sie sah darin wie eine Balleteuse aus. Die Bekleidung dieser Damen beginnt gewöhnlich etwas oberhalb des Ellbogens, die meiner Inselschönheit begann an der Taille, und sie reichte nur so weit, daß sie die bezauberndsten Fußgelenke des Universums sehen ließen.
Da fragt sich der Naturwissenschaftler nur noch, ob das Universum unendlich groß oder nur endlich groß ist -- im ersten Fall müssen die Fußgelenke dieses Mädchens von 1845 unendlich schön gewesen sein! Und als Letztes noch eine dritte Stelle, wo er mit ihr im Kanu fährt:
Als ich das Kanu wendete, schien Fayaway, die bei mir war, einen glänzenden Einfall zu haben. Mit einem wilden Freudenschrei nahm sie das weite Tapagewand ab, das über ihrer Schulter zusammengeknotet war -- um sie vor der Sonne zu schützen --, breitete es wie ein Segel aus und stand aufrecht mit erhobenen Armen im Bug des Kanus. Wir amerikanischen Seeleute brüsten uns gern mit unseren geraden, sauberen Spieren, aber ein hübscherer kleiner Mast, als ihn Fayaway darstellte, ist nie an Bord eines Fahrzeuges gekommen.
Was für eine Leichtigkeit des Seins. Barfuß war normal - kein Thema. Und ob die Frauen das Taparöckchen wegen Zweckmäßigkeit mal ablegten -- kein Thema. Niemand fühlte sich, weil er barfuß oder nackt war, den anderen Blicken "schutzlos" ausgeliefert -- niemand wurde von einem "Meister" ausgepeitscht wie im Roman "Barfuß" von Kleeberg, wo der "Sklave" schließlich zu Tode gepeitscht wird. Pervers -- auch im hedonistischem Sinne! Fehlentwicklung der "modernen" Zivilisation, wie sie übrigens auch von Melville, der calvinistisch erzogen wurde, in seinem Buch TAIPI schon klar gesehen werden.
Resumee: Mit alten Büchern kann man Zeitreisen machen -- kein Aibus 380 kann einem das bieten -- und man kann sich plötzlich in eine Welt träumen, die schon längst vergangen ist.
Grüße an alle Bücherliebhaber,
Eugen