Neulich ging ich barfuss in die Stadt und unterschätzte die Temperaturen gewaltig (bin nicht so abgehärtet wie andere). Darum wollte ich meine Notschuhe anziehen - aber ich getraute mich nicht. "Ach das Weichei muss aufgeben." dachte ich mir dass sie denken. Aber die meisten denken sich sowieso nicht was ich denke. Die Schuhe blieben aber trotzdem in der Tasche "

Hallo Markus,

ich gehe einmal davon aus, daß Dich die meisten Leute, denen Du in Bern begegnest, Dich vorher nie gesehen haben und Dich auch später nie mehr sehen werden. Diese hätten also sicher nichts gedacht, wenn Du Schuhe angehabt hättest. Und die meisten von denen haben sich nichts gedacht, daß Du keine Schuhe anhattest.

Anders sieht es mit Leuten aus, die Dich teils persönlich, teils auch nur vom häufigeren Vorbeigehen kennen. Meistens sind es aber auch Leute, die Dich in verschiedener Aufmachung kennen. Sollten es Leute aber Leute sein, die Dich nur in einer Aufmachung kennen, dann kann es sehr wohl zu einer Bemerkung kommen, die in der Regel aber nur Spaß ist. Das trifft aber bei JEDER Abweichung zu. Also nicht nur bei einem Barfüßer, der plötzlich doch Schuhe an hat. Auch bei einem, der eigentlich aus Prinzip keine Mütze trägt und dann bei -30°C doch eine aufhat. Oder ein Krawattenmuffel, der plötzlich doch eine um hat. Oder den Bankdirektor, der auch in der Freizeit ständig im besten Anzug herumläuft und plötzlich ohne Krawatte erwischt wird. Ich möchte nicht wissen, welche Kommentare losgelassen werden, wenn Markus U. bei 50°C im Schatten plötzlich doch mal in kurzen Hosen auf die Straße wagt.

Noch anders ist die Situation, wenn man unter Zeugen den Zustand ändert. Kaum einer registriert, wenn einer mit Schuhen und bedeckter Kleidung in die Badeanstalt geht, und sich dort in Badekleidung aufhält. Grund: Es machen viele. Nur eine Minderheit reist barfuß und nur in Badekleidung an. Wenn jemand am Strand barfuß geht mit Schuhen in der Hand, dann fällt es auch nicht auf, wenn man die Schuhe wieder anzieht, wenn es steinig, dornig oder "glasig" wird. Wenn man bei einsetzendem Regen eine Jacke anzieht oder den Schirm aufspannt, stört es nicht. Wenn man mit dem Auto aus der kühlen Nordschweiz ins sonnige und warme Tessin fährt und auf dem ersten Parkplatz gleich Wollpullover durch T-Shirt, lange Hosen durch kurze, Halbschuhe durch Sandalen ersetzt sowie die Socken ausläßt, dann passiert auch nichts, weil viele das tun.

Wenn aber einer bei relativ tiefen Temperaturen noch barfuß läuft oder/und kurze Hosen trägt und dann bei weiterer Abkühlung sich wärmer anzieht, dann wird mancher sagen: "Jetzt wird es aber doch zu kalt!" Das ist mir auch mal passiert: Es war an einem Vorfrühlingstag sonnig gewesen, so daß ich zeitweise, solange ich in Bewegung war, durchaus barfuß, in T-Shirt und kurzen Hosen wandern konnte. Aber nur ich, für andere war es ein Grund, die Polizei zu rufen. Während der ca. 15 Minuten dauernden Kontrolle war die Sonne hinter den Bergen verschwunden und ich war auch noch der Bise ausgesetzt, weiterhin ist das Stillstehen auch nicht gerade förderlich. So blieb mir nichts anderes übrig als eine Jacke über zu ziehen, was die Polizeischergen mir übel nahmen. Mit anderen Worten: Wenn schon für die Jahreszeit zu leicht gekleidet, dann auch durchhalten.

Nachdenkliche Grüße

Michael aus Zofingen