Barfuß in Karlsruhe (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Wednesday, 15.12.2004, 15:05 (vor 7227 Tagen)

Montag, 13.12.2004: Es war 2.10 Uhr in der Nacht und ich war mit der S-Bahn auf dem Karlsruher Hauptbahnhof angekommen. Eigentlich wollte ich mir einen Platz im Bahnhof aufzusuchen, wo ich mich hinsetzen kann, etwa um einen Brief zu schreiben oder auch nur vor mich hin zu dösen. Ich ging durch die Empfangshalle, in der keine Fahrgäste mehr waren, sondern nur Bahnbedienstete, die offensichtlich darauf warteten, daß der Bahnhof schnell geräumt wurde. Ein "Rotdeckel" sagte nur: "Nein!" , als er mich sah. Wieso? Ich war barfuß , und auch die übrige Kleidung war für die Jahreszeit eher unüblich. Ich MUSSTE so sein. Erstens, weil ich nichts anderes dabei hatte. Und zweitens, weil die Läden geschlossen waren, um mir was kaufen zu können. Hier konnte ich nicht bleiben. Meiner Meinung nach werden Bahnhöfe immer ungemütlicher. Früher, als Umsteigezeiten von 2 Stunden und mehr die Regel waren, gab es genügend Sitzplätze, wo man warten konnte. Heute, wo die Umsteigezeiten eher kurz sind, scheinen diese Sitzgelegenheiten nicht mehr nötig zu sein. Leute, die tatsächlich mal warten müssen, sind die Minderheit, und der kann man stehen zumuten. Das scheint wohl die Philosophie der Deutschen Bahn zu sein. Der wahre Grund wird wohl sein, daß man Pennern und Frauen mit aufgedunsenen Gesichtern das Leben schwer machen will. Und ich als Barfüßer mußte nun auch darunter leiden. Also hinaus in die kalte Nacht. Scheinbar zufällig ging ich an der Straßenbahnhaltestelle am Bahnhofsvorplatz vorbei. Lange verweilen konnte ich dort nicht, weil ich mich noch in der "Schußlinie" der Bahnbediensteten befand. Die könnten "ganz zufällig" zum Handy greifen und "richtige" Polizisten auf mich hetzen. Also nichts wie weg vom Bahnhofsvorplatz!

Barfuß schritt ich westwärts, bog jedoch bald ich eine Seitenstraße ab, wo die Wahrscheinlichkeit größer war, daß mich kein zufällig vorbeifahrender Autofahrer sieht und verpfeift. Und wenn ein Auto kam, dann hatte ich das Glück, daß ich an parkierten Autos vorbei ging, so daß der Autofahrer lediglich mein Oberteil sehen konnte, nicht aber meine nackten Füße. Obwohl ich wirklich nichts verbotenes tat, so wollte ich mitten in der Nacht jeglichen Kontakt mit den "Bullen" vermeiden. Schließlich erreichte ich einen Fußweg, dann einen Fußweg, der jedoch unangenehm zu begehen war. Ich versuchte ins Gras auszuweichen, was ein Knirschen verursachte. Vermutlich handelte es sich um Eiskristalle. Dann hörte ich komische Geräusche von irgendwelchen Tieren, als ich eine lange Fußgängerbrücke überquerte, die ein eingezäuntes Gelände überspannte. Vielleicht handelte es sich um den Zoo. Etwa bis 3 Uhr ging ich noch durch verschiedene verkehrsberuhigte Straßen, dann fand ich eine Bank neben einem Kinderspielplatz, wo ich mich hinsetzte. Zufällig entdeckte ich eine Zeitung, die jemand auf dem Erdboden liegen gelassen hatte, ferner trockenes Laub. Ein Teil der Zeitung diente als Sitzunterlage, ein anderer Teil als Fußunterlage. Die Füße hüllte ich in Laub und deckte sie noch mit weiterem Papier ab. An Schlaf war so nicht zu denken, aber wenigstens gelang es mir zu verhindern, daß ich an den Füßen fror. Limitierender Faktor war nun meine dünne Sommerjacke, unter der ich lediglich ein kurzärmeliges T-Shirt trug. Hier würde mich wohl keiner finden, wer geht hier schon durch mitten in der Nacht!

Etwa eine Stunde hielt ich es so aus, dann machte ich mich wieder auf den Weg. Ich kam an einem Fahrkartenautomaten vorbei, wo ich mir eine 24-Stunden-Karte im Stadtbereich Karlsruhe löste. Als ich den Hauptbahnhof erreichte, rollte auch gerade eine Straßenbahn ein - meine Bahn! Es war die Linie 2 nach Rappenwörth. Daß diese Linie gemäß "the best of" auf beim Winterbarfußtreffen in Karlsruhe benutzt wurde und auch die letzte Hamburger Tramlinie die 2 war, war mir in diesem Augenblick so was von egal. Hauptsache ins Warme! Das moderne Fahrzeug war eher überheizt, so daß ich es für sinnvoller hielt, die Jacke auszuziehen. Wozu soll die Heizung im Tram erst die Jacke aufwärmen und dann mich, wenn sie auch beides gleichzeitig kann? Nur wenige Fahrgäste waren im ersten Tram, niemand bemerkte meine Barfüßigkeit, wer rechnet zu so früher Stunde schon mit so was. Eigentlich fahre ich gerne mit der Straßenbahn, aber ein Bett wäre mir sicher lieber gewesen. Sehen konnte man ja auch nicht viel in der Dunkelheit und bei dem Nebel, der sich den ganzen Tag nicht auflockerte. Also blieb ich sitzen, bis das Tram nach Rappenwörth, zur anderen Endhaltestelle in Wolfartsweier und wieder zum Marktplatz gefahren war, dann stieg ich aus. Alle Leute, die draußen standen, waren fassungslos (obwohl ich natürlich die Jacke wieder übergezogen hatte).

Mit dem nächsten Tram ging es weiter. Es war ein älterer Triebwagen der Linie 5 Richtung Rheinhafen. Als ich die Endhaltestelle erreicht hatte, blieben etliche Fahrgäste drinnen. Dann rollte der Zug vorbei an abgestellten Fahrzeugen und Hallen und hielt wieder, jetzt stiegen etliche Leute aus, offensichtlich handelte es sich um Betriebsangestellte. Hoffentlich geht es gut! Das Tram fuhr weiter bis zu einem Gebäude, dann stieg auch der Fahrer aus! Würde ich nun hier sitzen bleiben? Würde er mich allein zurücklassen und ich müßte mich barfuß vom Depot entfernen. Der Fahrer stieg wieder ein und fuhr weiter, aus dem Depot heraus wieder zur nächsten offiziellen Haltestelle. Glück gehabt! Mit demselben Tram fuhr ich noch einmal zur anderen Endhaltestelle in Rintheim bis zurück zum Marktplatz, wo ich wieder ausstieg.

Während ich auf die S-Bahn in Richtung Blankenloch wartete, fragte eine Frau, ob alles in Ordnung sei, was ich bejahte. Ich fuhr bis zur Stadtgrenze, dann wartete ich auf den Zug in Gegenrichtung. Viele Schulkinder, die meine Barfüßigkeit nicht registrierten, benutzten die S-Bahn, die im Grunde genommen nur eine "bessere Straßenbahn" ist und teilweise auf Eisenbahn-, im Stadtbereich jedoch oft auf Straßenbahnschienen verkehrt, nicht Fisch und nicht Fleisch, aber trotzdem faszinierend. Wegen eines Zwischenfalles mußte mein Zug sogar umgeleitet werden. An der Messehalle stieg ich wieder aus, wobei ich bemerkte, daß ich diesmal wirklich was verbotenes getan hatte: Ich hatte die Tarifgrenze überschritten. Die Haltestelle war sehr zugig, die Bahnsteige waren kalt, die benachbarten Grasflächen mit Rauhreif bedeckt. Wegen der Panne mußte ich auch besonders lange auf den Gegenzug warten. In der Innenstadt wechselte ich in eine S-Bahn nach Grötzingen, hier hatte ich keine Probleme mit meinen Füßen, als ich auf den Gegenzug wartete. Ein Fahrgast fragte mich, ob ich aus finanziellen Gründen keine Schuhe trage, was ich verneinte. "Dann ist es ja gut! Ansonsten müßte man was dagegen tun. Schon fingen ältere Fahrgäste an, sich darüber zu unterhalten, daß früher auch im Winter Schulkinder kurze Hosen trugen, allerdings nicht barfuß waren, sondern Schuhe und überlange, kratzige Wollstrümpfe.

Im Stadtzentrum wechselte ich in die "berühmte" Linie 3. Ich fuhr bis zur Endhaltestelle im Westen, die jedoch keine Wendeschleife, sondern ein Wendedreieck besitzt. Als meine Bahn ihren Endpunkt erreicht hatte, entdeckte ich im anderen Ast noch ein weiteres Tram, dieses wollte ich erreichen. Also stürmte ich über den Bahnsteig der Bahn entgegen. Der Fahrer schaute etwas komisch, wie ich barfuß dort längs lief. Dann setzte sich das Tram in Bewegung. An einer Haltestelle sagte der Fahrer durch den Lautsprecher: "Kleinen Moment, es geht gleich weiter!" Kurze Zeit später hielt ein Polizeifahrzeug neben der Haltestelle. Zwei Beamte stiegen ins Tram, gingen zielstrebig auf mich zu und forderten mich auf mitzukommen, was ich auch tat. In der "Bullenschleuder" wurde ich zur Wache gefahren in der Weststadt. Wieder die üblichen Formalitäten, dann durfte ich entweder noch etwas in der warmen Wache bleiben oder mit der Straßenbahn weiterfahren, wobei ich letzteres vorzog. Auch hier fanden die Polizisten die Idee eines Barfußtreffens ganz lustig.

Als nächstes benutzte ich die reizvolle Linie in die Waldstadt, auch hier wimmelte es von Schulkindern, die mich aber nicht registrierten. Lediglich eine Frau fragte, ob ich gerade streike, was ich so beantwortete: "Nein, ich habe offiziell bei meinem Arbeitgeber freigenommen." Noch einmal benutzte ich die ab Durlach neue Linie nach Wolfartsweier, ich wollte sie mal im hellen benutzen. Und zu guter Letzt noch einmal nach Rappenwörth und zurück zum Hauptbahnhof. Ich hatte noch etwa 30 Minuten Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges kurz nach 15 Uhr. Während ich wartete, mußte ich abermals den Ausweis vorweisen, diesmal den Bahnpolizisten. Auch meine Fahrkarte wollten sie sehen. Dann kam auch noch eine Frau von der Bahnhofsmission vorbei und fragte, ob ich Kleidung benötigte, was ich verneinte.

Als ich die Treppe zum Bahnsteig hinaufstieg, gab es erstaunte Blicke, nicht aber im Zug selbst. Mit dem Interregioexpreß fuhr ich bis Offenburg, wo ich in einen Regionalexpreß nach Basel umsteigen mußte. Beim Umsteigen hörte ich etliche sagen: "Nein! Das gibt es doch nicht!" In Basel stand mein Anschlußzug nach Zofingen bereits. Hier gab es kaum erstaunte Blicke, weder am Bahnhof, noch im Zug. Auch als ich in Zofingen den Zug verließ gegen 19.30 Uhr, gab es keine Bemerkungen. Das Thermometer zeigte -1°C an, als ich mich aufs Fahrrad schwang und auch noch den letzten Kilometer überstand. Dann war ich zu Hause, total müde. Halali! Die Jagd war zu Ende, der Täter entkommen. Mich kriegt keiner mehr, denn am nächsten Tag werde ich zur Arbeit fahren und einen "normalen" Menschen vortäuschen, mit Krawatte, hellem Hemd, langen Hosen und geschlossenen Schuhen, mit Socken!

Mit rückblickenden Grüßen

Michael aus Zofingen


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