Nach dem Barfußtreffen: Die Jagd geht weiter! (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Wednesday, 15.12.2004, 08:40 (vor 7223 Tagen)

Sonntag, 12.12.2004: Das Barfußtreffen in Düsseldorf war zu Ende. Aber ich war noch immer in Düsseldorf. Und ich war immer noch barfuß. Ich MUSSTE es auch sein. Ersteres, weil mein reservierter Zug erst in etwa 5 Stunden fahren würde. Und letzteres, weil ich keine Schuhe dabei hatte und die Läden geschlossen waren. Aber ich mußte nicht nur, ich WOLLTE auch. An der Haltestelle "Heinrich-Heine-Allee" schritt ich langsam die Treppe hinunter zur Stadtbahn. Ich wollte noch meine Tageskarte ausnutzen, um die Zeit bis zu meiner Abreise gegen 21 Uhr zu überbrücken. Während ich den Fahrplan studierte, hörte ich irgendwas glasartiges klirren. Vor zwei Jugendlichen lag eine zerbrochene Flasche, ringsherum eine Pfütze. Ein Mann vom Aufsichtspersonal ging auf die Jugendlichen zu. Bei dem Aufsichtspersonal handelt es sich nicht um Angestellte der Rheinbahn, sondern um Leute, die eigentlich arbeitslos wären und dank eines Beschäftigungsprogramms (von der Stadt finanziert, nicht von der Bahngesellschaft) sitzen sie nicht auf der Straße. Ihre Aufgabe ist es, in den Bahnen und auf den Haltestellen dafür zu sorgen, daß sich die Fahrgäste wohler fühlen. Im Prinzip keine schlechte Idee. Was macht nun dieser "Schwarze Sheriff"? Er geht langsam in Richtung "Tatort". Die Jugendlichen sahen ihn, streckten ihm die Zunge raus und stürmten dann die Treppe hoch. Der Aufseher aber ging über den Scherbenhaufen hinweg und steuerte direkt auf mich zu. In einem ekligen Ton herrschte er mich an: "Was machen sie denn hier?" Aufgrund seines Aussehens und seiner Aussprache schien es kein gebürtiger Deutscher zu sein, vielleicht war er arabischer Abstammung. "Ich warte auf die Bahn nach Eller, und ich habe sogar eine Tageskarte" war meine Antwort. "Herzeigen!" befahl er. Nach langem Mustern sagte er: "Merkwürdig! Die Fahrkarte ist gültig. Aber so dürfen Sie nicht weiterfahren!" Über sein Handy (oder Funkgerät) gab er was durch, ich mußte warten. Eine junge Frau, die das mitbekam, sagte: "Junger Mann, dieser Herr möchte mit der Bahn weiterfahren, Sie dürfen ihn doch nicht hier in der Kälte festhalten!" "Es fahren auch noch andere Bahnen. Und wenn Sie noch mehr sagen, halte ich Sie auch noch fest", drohte er. Endlich kam ein "richtiger" Rheinbahnangestellter die Treppe hinunter. Der Hilfssheriff rief ihm entgegen: "Dieser Mann läuft barfuß und trägt kurze Hosen. Das ist doch verboten." Der Rheinbahner entgegnete: "Ob das verboten ist oder nicht, das sehen wir oben im Büro." Eigentlich ist der schwarze Sheriff selber ein armes Schwein. Vermutlich wird er manches Mal geärgert. Nun hatten Jugendliche Scherben verursacht, und er hatte nicht den Mut (und vermutlich auch nicht die Möglichkeit), die Täter zu verfolgen. Nun hatte er mich, den wehrlosen Barfüßer als "Ersatz" auserkoren, um seinen Frust zu befriedigen. Solche Leute sind meines Erachtens für den Job völlig ungeeignet.

Der Rheinbahner führte mich ins Büro der Haltestelle. Ein anderer Mann, der sich dort aufhielt, sagte: "Die waren zu dritt barfuß in der Stadt. Ich könnte es nicht, find ich aber toll." Noch ein anderer sprach: "War da nicht irgendwas in der Zeitung? Oder im Fernsehen?" Der Rheinbahner sprach: "Es tut mir leid, ich habe schon die Polizei verständigt. Aber das dürfte reine Formsache sein." Während wir auf das Eintreffen der Polizei warteten, zeigte ich ihm noch Zeitungsausschnitte über meine "Verbrechen" in Benrath und in Aarau, worauf sich der Bähnler köstlich amüsierte. Dann kamen gleich zwei Polizisten, die mich baten, mit zur Polizeiwache direkt am Eingang der Haltestelle zu kommen. Auf Handschellen verzichteten sie übrigens. Vielleicht deswegen, weil sie glaubten, daß ich barfuß nicht schnell fliehen könnte? Wie üblich mußte ich auf der Wache Personalausweis zeigen, ich zeigte ihnen auch Zeitungsausschnitte und erzählte vom Barfußtreffen. Der Beamte ging in den Nachbarraum, wo offensichtlich seine Kollegen Pause machten. Plötzlich hörte ich ein lautes Lachen, so wie wenn einer einen Witz erzählt hätte. Dann kam der Polizist wieder heraus, ich war frei!

Mit der Stadtbahn kam ich nun doch nach Eller, wo ich durch den historischen Ortskern wanderte. zurück wollte ich ursprünglich mit der S-Bahn fahren. Da aber der nächste Zug erst in 20 Minuten fahren würde, entschloß ich mich, wieder die Stadtbahn zu benutzen. Ein winterlich vermummter älterer Herr fragte mich, ob alles in Ordnung sei, was ich bejahte. "Aber Sie haben doch keine Schuhe an!" "Ich war bei einem Barfußtreffen in Düsseldorf." Irgendwie glaubte er es nicht. "Wenn Sie frieren, kann ich Sie zu einem heißen Tee einladen!" Ich lehnte ab mit den Worten: "Meine Stadtbahn geht in 3 Minuten." Als sie kam, stieg ich ein, was bei den überwiegend ausländischen Fahrgästen erstaunte Blicke hervorrief.

Am Belsenplatz in Oberkassel stieg ich aus. Früher befand sich hier der Oberkasseler Staatsbahnhof, das Gebäude steht noch heute, dient aber anderen Zwecken. Ich schritt durch Nebengassen und über autofreie Wege in Richtung Rhein. Eine Familie kam mir entgegen gerade als ich unter einer Gaslaterne durchging. Das Mädchen senkte den Kopf und rief erstaunt: "Der Mann läuft ja barfuß!" "Das darf er doch, wenn er nicht friert!" Ich folgte dem Rhein und überquerte die Oberkasseler Rheinbrücke, hier wehte es ziemlich stark, was dazu führte, daß ich meine Jacke schließen mußte. Aber meine Füße blieben warm. Das Dröhnen der Stadtbahnen, die über die Brücke fuhren, sorgte für eine zusätzliche Massage. Hinter der Brücke stieg ich die Treppe hinunter zum Rhein, ging direkt am Ufer bis zur nächsten Brücke südwärts und dann die oberer Promenade auf dem "Wellenlinienpflaster", was besonders angenehm begehbar ist zurück bis zum Schloßturm. hier begegneten mir kaum Leute. Das änderte sich aber schlagartig, als ich durch die Altstadt ging. Ich hörte Bemerkungen wie die Abende zuvor, in den meisten Fällen also keine negativen. An der Heinrich-Heine-Allee bestieg ich eine Straßenbahn, die südwärts fuhr. Am Karolingerplatz stieg ich aus, um zum Hauptbahnhof zu fahren. Das nächste Tram, das von "meinem" Bahnsteig abfuhr, war nicht meins. Ein ca. 30-jähriges Pärchen stieg aus, und der Mann fragte mich: "Junger Mann, ist es nicht ein bißchen kalt? Barfuß im Winter?" Ich verneinte. Als sie sich entfernten, hörte ich sie noch verständnislos lachen. Dann kam meine Bahn, die Linie 707. Dieses war die erste Rheinbahnlinie, die ich in Düsseldorf benutzte, und es sollte auch die letzte sein.

Am Hauptbahnhof die üblichen Blicke. Die Jugendlichen, die am Freitag bereits vor der Modellbahnanlage lungerten, lungerten schon wieder dort: "Der schon wieder!" hörte ich einen rufen. Ich ging zum Bahnsteig, von dem mein Zug nach Köln fahren sollte (es war ein Regionalexpreß mit Halt in Benrath, den ich eingeplant hatte, da ich nicht sicher war, ob das Barfußtreffen in Benrath endet oder am Hauptbahnhof). Wegen einer Weichenpanne in Dortmund gab es erhebliche Verzögerungen, auch mein Zug kam 15 Minuten zu spät. Somit gab ich auch noch der Bahnpolizei eine Chance, mich zu kontrollieren. Und prompt kamen sie auch die Treppe hoch. Die erste Frage war: "Waren sie nicht schon am Freitag hier auf dem Bahnhof?" "Ja, aber bald werde ich Düsseldorf wieder verlassen. Der "Grünrock" wollte noch meinen Ausweis und meine Fahrkarte sehen, dann fragte er: "Zofingen, wo liegt denn das?" "In der Schweiz zwischen Basel und Luzern!" "Haben Sie denn Schuhe und eine lange Hose im Gepäck?" "Nein! Und dieses Wochenende waren wir sogar zu dritt barfuß in Düsseldorf!" Äußerst ungewöhnlich, aber nicht verboten!" Er wünschte mir noch eine gute Heimfahrt. Der Zug kam bald. Als er abfuhr, verließ der letzte Barfüßer die Landeshauptstadt.

In Köln mußte ich in einen Intercity umsteigen, dieser hatte noch mehr Verspätung, so daß ich noch durch die Halle wandeln konnte, die etwas wärmer war als der Bahnsteig. Den Bahnhof wollte ich jedoch nicht verlassen. Ich kann zwar sagen, daß es in Düsseldorf im Dezember weniger Penner und Frauen mit aufgedunsenen Gesichtern, dafür mehr Polizisten gibt als in Köln Ende Oktober, aber einen direkten Vergleich kann ich nicht anstellen. Als ich vor der Krippe in der Halle stand (die meisten Krippenfiguren waren barfuß), näherte sich eine Frau mit "rotem Deckel". Sie hatte zwar kein aufgedunsenes Gesicht, erinnerte mich aber in ihrer Erscheinung an eine ältere russische Agentin in einem James-Bond-Film. Da dieses aber kein Film ist, kam sie nicht auf mich zu, um dann die vordere Schuhkappe zu entfernen und mich mit der freigelegten, vergifteten Metallspitze in den A.... zu treten, um mich, den barfüßigen Feind ein für alle Mal ins jenseits zu befördern. Sie herrschte mich an: "Wie laufen Sie herum!" "Das ist doch nicht verboten!" "Aber fast! Was sollen die Leute sagen? Wir haben doch keinen Hochsommer. Eigentlich müßte ich Sie auffordern, den Bahnhof zu verlassen." "Das werde ich auch. Aber nicht durch den Haupteingang, sondern mit dem Zug. Und ich hätte ihn auch schon verlassen, wenn die deutschen Züge genauso pünktlich und zuverlässig wären wie die bei uns in der Schweiz!" Grimmig verließ sie den Platz. Und ich ging irgendwann auf den Bahnsteig, um den Intercity zu besteigen.

In diesem Zug gab es keinerlei Reaktionen zu meiner Aufmachung. Am Frankfurter Flughafenbahnhof mußte ich umsteigen. Der Bahnsteig dieses modernen Bahnhofes war angenehm barfuß begehbar. Und glücklicherweise kein Kontrollpersonal. Dank der Verspätung meines Zuges verkürzte sich die Wartezeit auf den Anschluß. Eine Frau fragte mich, ob sie mir Socken geben könnte, damit ich nicht so friere, was ich aber ablehnte. Der Anschluß-Intercity kam zwar pünktlich, fuhr aber mit zehnminütiger Verspätung ab, weil er einen anderen verspäteten Zug abwarten mußte. Ich fuhr damit bis Bruchsal, wo die letzte S-Bahn nach Karlsruhe noch wartete. Im Laufschrift wechselte ich den Bahnsteig (wegen Bauarbeiten war er sandig, nicht steinig, ein gewisses "Strandfeeling"), um den gelben Triebwagen ja nicht zu verpassen. Die Karlsruher S-Bahn ist im Grunde genommen auch nur eine "bessere Straßenbahn", die teils auf Eisenbahn-, teils auf Straßenbahnschienen verkehrt, nicht Fisch und nicht Fleisch, aber trotzdem faszinierend. Wie barfuß im Winter! Nur wenige Fahrgäste waren im Zug, niemand stieg mehr zu, diejenigen die den Zug verließen, taten es etwa zur Hälfte in Durlach, der Rest an der Endstation am Karlsruher Hauptbahnhof. Es war 2.10 Uhr in der Nacht. Mir schwebte vor, einen Platz im Bahnhof aufzusuchen, wo ich mich hinsetzen kann, etwa um einen Brief zu schreiben oder auch nur vor mich hin zu dösen. Würde ich einen solchen Platz überhaupt finden? Oder erwartete mich schon der Chef der Irrenanstalt in Begleitung von vier Fettschwabbeln mit wenig Hirn, um mir eine Zwangsjacke zu verpassen?

Mit erwartungsvollen Grüßen

Michael aus Zofingen


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