Barfuß zwischen Holzfällern, Land- und anderen Jägern (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 29.11.2004, 14:13 (vor 7243 Tagen)

Nachdem es die Nacht zuvor geregnet hatte und somit die Temperatur nicht allzu stark abgekühlt war, entschloß ich mich, am letzten Samstag (28.11.04) eine Wanderung zu unternehmen. Bei noch bewölktem Himmel, 4°C und nassen Straßen zottelte ich los. Das Anziehen von Schuhen oder auch nur deren Mitnahme hielt ich für nicht notwendig. Ob ich mit der Entscheidung recht hatte, wagte ich bereits nach dem ersten Kilometer zu bezweifeln. Der rauhe feuchte Asphalt schmerzte, sogar die "Ahorn-Helikopter" empfand ich als störend. Als neben der Asphaltstraße eine Wiese war, wechselte ich sofort auf das nasse Gras über. Es folgte ein geschotterter Weg bergauf, ich benutzte aber das nasse Laub daneben, spürte jedoch jede Buchecker und jedes Hölzchen. Als dann eine total geschotterte Passage folgte, bog ich kurzerhand ab, da ich von der Existenz eines anderen Weges wußte. Mittlerweile waren meine Füße kalt geworden, aber die rosige Farbe war noch nicht dem Weiß gewichen. Vor mir tat sich eine trockene Moosfläche auf, klein, aber fein. Jetzt tat ich das, was wohl das richtigste in dieser Situation ist: Kräftig auf der Stelle treten, damit die Füße wieder durchblutet werden.

Nachdem ich nun wieder "normal" gehen konnte, spürte ich die Unebenheiten nicht mehr so stark. ich wußte: An diesem Tag wird mir die Temperatur keinen Strich mehr durch die Rechnung machen. Außerdem hatte die Sonne mittlerweile die Wolken besiegt, es konnte nur besser werden. Hinter dem Fröschengüllen überholte mich eine junge Joggerin. Sie reduzierte ihr Tempo auf das meinige und fragte ob ich aus Reiden käme. Ich verneinte und fragte, wie sie darauf käme. Die antwort war: "Weil ich Sie letzten Samstag dort gesehen habe, barfuß. So etwas habe ich im November noch gesehen." Darauf erzählte ich, daß es in Köln nicht unüblich sei, im Herbst barfuß zu wandern. Ich selber hätte mal an einem Barfußtreffen teilgenommen. Barfußlaufen wäre gesund. Im großen und ganzen fand sie es toll, daß es Leute gibt, die barfuß wandern.

Der Weg wurde jetzt noch angenehmer. Aufgrund von Holzfällerarbeiten war die matschigen Reifenspuren der Fahrzeuge die idealen Barfußpfade. Ein Jäger begegnete mir und schüttelte nur mit dem Kopf. Mir hat ein nicht ganz ernstzunehmender Zeitgenosse mal gesagt, daß man als Barfüßer im Wald leicht zum Jagdopfer werden kann, außer wenn man bellen kann. Weshalb? Viele Jäger sind heute derart alt, daß sie kaum noch sehen können. Wenn sich etwas bewegt und Schuhe trägt, dann ist es ein Mensch, also nicht schießen. Wenn das Objekt keine Schuhe trägt und kläfft, ist es ein Jagdhund, also nicht schießen. Wenn das Objekt keine Schuhe trägt und nicht kläfft, ist es Wild, Feuer frei. Also liebe Barfüßer: Bitte laut bellen, wenn ihr nicht das Opfer eines "blinden Jägers" werden wollt! Jägerlatein!

Kein Jägerlatein dagegen war, daß ich stur der Reifenspur folgte und dabei ganz vergaß, auf die Wanderwegweiser zu achten. So kam es, daß ich mich auf einem Weg befand, den ich eigentlich gar nicht nehmen wollte. Da ich aber kein festes Ziel hatte (außer abends heil wieder zu Hause zu sein), war mir das auch egal. Ich erreichte eine Bank, die von der Sonne beschienen war, als es 12 Uhr vom Turm der (von hier nicht sichtbaren) Richenthaler Kirche "prügelte" Ich setzte mich dorthin, um was zu essen. Die Sonne brannte so stark, daß ich mich genötigt sah, die Jacke im Rucksack zu verstauen. Das nennt sich nun November! Egal. Solch ein Wetter könnte mir in Düsseldorf nur recht sein. Etwa 45 Minuten verweilte ich an diesem lauschigen Plätzchen, verhühnerte meine Füße immer tiefer im Laub, spürte, wie es immer feuchter und kühler wurde, je tiefer sich meine Füße bohrten. Ein Gefühl, daß ein fett beschuhter Zeitgenosse gar nicht kennen kann, vielleicht auch gar nicht kennen lernen will.

Ich ging weiter, über Waldwege, erreichte einen asphaltierten Feldweg, kam an einem Bauernhof vorbei. Ein großer Hund kam knurrend auf mich zu, beschnüffelte meine Füße, kläffte. Der Bauer kam heraus, lächelte und sagte: "Dr macht nüt!" Wieder ging es in den Wald, ein steiler, nicht mehr benutzter und somit barfußtauglicher Weg führte bergab und endete hinter der Straße nach Richenthal. Das Trottoir war mit Feinschotter verunziert, teilweise benutzte ich die Wiese, teilweise mußte ich durch. Vorbeifahrende Autofahrer sahen mich fassungslos an. Bei der Richenthaler Kirche folgte ich dem Wanderweg Richtung Dagmersellen. Anfangs ging es gut, im Wald dagegen war der Weg reichlich geschottert, nur teilweise konnte ich auf Laub oder bei Holzarbeiten liegen gelassene Tannenzweige (keine Fichtenzweige) ausweichen. Dann mußte ich an einer Gruppe arbeitender Holzarbeiter vorbei. Einer fluchte wie wild, was ich mir einbilde, hier barfuß zu laufen, während sie dort arbeiten. Ich nehme einmal an, daß die Arbeiter nicht deswegen böse waren, weil ich barfuß war, sondern nur wütend darüber, daß sie samstags schuften mußten, während ich leichtfüßig das schöne Wetter genießen konnte.

Ich erreichte eine Asphaltstraße, sie fühlte sich an wie warmer Samt. Soviel Macht hatte die Sonne. Ich hörte Stimmen, sie kamen von einem Hornusserplatz. Kinder saßen in einer Hütte und unterhielten sich, sie interessierte nicht, was sich draußen abspielt. Erwachsene "mußten" spielen, ein Junge schaute denen zu. Ein Mann erblickte mich und sagte: "Schaut mal den, bei diesen Temperaturen!" Der einzeln stehende Junge rief laut: "Der läuft ja barfuß!" Plötzlich verließen die anderen Kinder die Hütte und starrten mich an. Als ich weiter entfernt war, hörte ich noch eine Männerstimme: "Mich wundert, daß die Bullen nicht dafür sorgen, daß solche Herumtreiber ..." Mehr verstand ich nicht, weil ein Flugzeug die Worte übertönte.

Wieder erreichte ich den Wald. Der Schotter wurde schlimmer. Als es eng wurde, hörte ich ausgerechnet hier das Geräusche eines Autos hinter mir. Dabei durfte man hier doch nicht fahren. Als ich mich umsah, wurde mir klar, daß die hier fahren durften. Es waren wieder Jäger! Jedoch keine "normalen" Jäger, sondern "Landjäger", wie man manchmal noch heute die Kantonspolizisten bezeichnet (ich weiß nicht, ob diese Bezeichnung eine ähnliche Beleidigung ist wie "Bulle" oder "Polizeischerge"). Die beiden Beamten verlangten sofort, daß ich ihnen den Rucksack übergab, damit sie ihn durchwühlen konnte. Auch die Hosentaschen mußte ich ausleeren. Sie zählten das Geld nach, das ich im Portemonnaie hatte und notierten alles. Alles, was ich an Papieren usw. dabei hatte, wurde sorgfältig aufgeschrieben. Sie wollten wissen, wo ich herkam, wo ich geboren war, Namen und Beruf meiner Eltern, Aufenthalt in der Schweiz, wann ich am Morgen gestartet war. Eine Visitenkarte von der Firma erstaunte sie doch, weil daraus hervorging, daß ich einen Doktortitel habe. Auf die Frage, ob ich verheiratet sei, antwortete ich: "Nein. Wenn ich eine Frau hätte, dann dürfte ich nicht ständig am Wochenende unterwegs sein, nicht mal mit Schuhen, worauf die Beamten lachten (Polizisten sind auch bloß Menschen). Lange Anrufe mit der Zentrale, alles negativ. Kommentar eines Beamten: "Sie haben ja alles dabei, Geld, um mit der Bahn zurückzufahren, eine Jacke, eine Regenjacke. Aber Schuhe konnte ich nicht finden." Die Beamten, die die ganze Zeit höflich blieben, wünschten mir noch ein schönes Wochenende und fuhren weiter.

Von hier war es nur noch ein kurzer Abstieg bis zu den Ausläufern von Dagmersellen. Dann folgte ich dem Wanderweg an der Wigger nach Hause, vielfach über Wiesen, teilweise samtartiger, teilweise etwas rauherer Asphalt. Es dunkelte, die Fußgänger und Radfahrer, denen ich noch begegnete, registrierten meine Barfüßigkeit nicht auf dem unbeleuchteten Weg. Erst zweihundert Meter vor meiner Wohnung, wo es wieder Straßenlampen gab, rief ein Junge erstaunt: "Der Mann läuft ja barfuß!" Worauf die Mutter einfach "Ja" sagte. Kein Unterton der Empörung oder Verwunderung, aber auch nicht der Gleichgültigkeit. Vielleicht hat sie mich schon öfters ohne Schuhe beobachtet.

Schöne Grüße vom ewig und alle Zeit gejagten

Michael aus Zofingen


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